Dem Laufen auf der Spur: Von PECH und stabilen Sprunggelenken
Zwischen Fuss und Unterschenkel ist das Sprunggelenk ständig auf Ausgleich bedacht. Es ist so stabil wie beweglich und bei Fehltritten besonders gefährdet: Nirgends verletzen sich Sportler:innen häufiger. Über die grosse Bedeutung kleiner Bewegungen.
Während der Fuss mit seinen Gewölben ein filigranes Konstrukt ist, wird es knapp darüber klobiger. Knöchel stehen hervor, die Haut spannt sich darüber und was im Inneren passiert, bringt der landläufige Name nur teilweise auf den Punkt: Sprunggelenk. Natürlich spielt es eine Rolle, wenn du springst. Aber auch bei jedem Schritt, bei jedem Wippen, Schwenken und Drehen. Hier passiert viel, und streng genommen gibt es «das» Sprunggelenk gar nicht. Nach dem Motto: «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» besteht es aus zwei Teilen, die wiederum aus vielen weiteren Teilen bestehen.
Zum einen treffen sich Tibia, Fibula und Talus – also Schien-, Waden- und Sprungbein – um das obere Sprunggelenk zu bilden. Es lässt dich den Fuss heben und senken, und, sehr begrenzt, zur Seite bewegen. Darunter sitzt das untere Sprunggelenk als Teil des Fusses. Damit kannst du ihn etwas kippen und nach innen und aussen schwenken. In der Praxis lassen sich die Bewegungen nicht fein säuberlich abgrenzen. «Die Komplexbewegung des Fusses ist von Fick im Jahre 1911 sinnbildlich als 'Maulschellenbewegung' bezeichnet worden, deren Einzelkomponenten nicht streng voneinander zu trennen sind», heisst es dazu im Praxisbuch Unfallchirurgie. Also halte ich lieber meine Klappe und lasse ein Bild sprechen, das auch nur einen Teil der Bewegungsmöglichkeiten zeigt.
Umknicken? PECH!
Zwischen den Knochen spannen sich all die schönen Bänder, die wir uns ziemlich sicher irgendwann mal verletzen. Dann nämlich, wenn die Unterschenkelmuskulatur, die das Sprunggelenk in brenzligen Situationen aktiv stabilisiert, ihren Job aus irgendeinem Grund nicht machen kann. Wenn wir umknicken. Wenn das ganze schöne Gangsystem aus den Fugen gerät, uns zu Boden zwingt und sich in einem stechenden Schmerz entlädt.
Was einem zusätzlich durch den Kopf schiesst, hat vier grosse Buchstaben und wird nicht nur vom Sportmediziner Professor Scherr als Sofortmassnahme empfohlen: «PECH!», lautet seine knappe Antwort auf meine Frage, was im Ernstfall zu tun ist. «Pause, Eis, Compression, Hochlagern.» Wobei Kühlung nur für etwa zwei Stunden ratsam sei, um Schmerzen und die Schwellung zu lindern. Diverse Studien würden zeigen, dass längere Behandlung mit Eis kontraproduktiv sein könne. Dies liege daran, dass durch eine übermässige Kühlung Entzündungsprozesse unterdrückt werden, die für die spätere Abheilung relevant sind.
Weil die Strukturen des Sprunggelenks beim Umknicken so gewaltsam verbogen werden wie die Rechtschreibung in Mediziner-Merksprüchen, solltest du keinesfalls die Zähne zusammenbeissen und weiterhumpeln, selbst wenn du alleine auf weiter Flur bist. «Uber rufen!», empfiehlt Scherr mit einem Lachen, aber in der Sache meint er es ernst. Ein Problem bei weiterer Belastung sei, dass es zu repetitiven Verletzungen kommen und hierdurch das Gewebe übermässig vernarben könne. «Wenn man nicht ruhigstellt und es immer wieder aufreisst, kann es eine Dehiszenz geben und zu einer Hyperlaxibilität führen.» Tönt ungesund. Ist es auch. Das Gewebe weicht auseinander, das Gelenk wird lommelig. «Dadurch erhöht sich die Gefahr, sich immer wieder zu verletzen.»
Vorbeugen statt verletzen
Umgekehrt kannst du deine Chancen erhöhen, dich nicht zu verletzen. «In der Sprunggelenkskapsel haben wir, wie auch in den Muskeln und Sehnen, Sensoren eingebaut, die Fehlstellungen feststellen und dann vor allem über die Steuerung der Muskelaktivität korrigierend eingreifen können, wenn wir stolpern», sagt der Sportmediziner. «Wenn man die trainiert, dann passiert weniger.» Es gehe darum, die Propriozeption zu schulen. Diese körpereigene Superpower, eine tiefe Sinneswahrnehmung, die unser Gehirn über Position und Aktivierungszustand von Muskeln, Sehnen und Gelenken informiert.
Da wir von Natur aus zur Bequemlichkeit neigen, machen wir das fast alle nicht vorbeugend, sondern erst dann, wenn schon was passiert ist. Das entsprechende Training gibt ja auch keine vorzeigbaren Muskeln, sondern unsichtbare Skills. «Da geht es weniger um Kraft, sondern um Reaktionsfähigkeit», sagt die Physiotherapeutin Pascale Gränicher, die mit mir die kleinen, aber feinen Übungen absolviert. Während meine erste Stunde in der Fussschule noch auf festem Boden stattfand, wird es nun wackeliger. Aber nur ein bisschen.
«Du kannst die Sensoren in Muskeln und Sehnen schulen, damit sie sensibler reagieren und du früher merkst, wenn du anfängst zu knicken», sagt Pascale, während sie mit einem kleinen Holzbrett hantiert. Das Therapiestandbrett stammt aus einer geschützten Werkstatt in Bubikon und hilft dabei, Selbstschutzmechanismen zu verbessern. «Es ist nur ein Holzbrettli mit einem halben Rundholz und drei Klettstreifen, an denen man es auf diverse Arten befestigen kann. Damit lassen sich Knick-Situationen in einem geschützten Rahmen simulieren und so die Wahrnehmung schulen», erklärt Pascale. «Wenn das Hölzli quer angebracht ist, simuliert das die Dorsalextension und Plantarflexion.» Ersteres passiert, wenn du nach hinten auf die Ferse kippst, Letzteres bei der umgekehrten Bewegung in Richtung der Zehen.
«Du solltest mittig stehen und versuchen, zunächst mal deine drei Belastungspunkte zu spüren: Grosszehen-Grundballen, Ferse, Unterseite Aussenkante vom Fuss», lautet die Anweisung, um das Gewölbe und den «kurzen Fuss» wieder aufzubauen. «Am Anfang ist es gut, sich festzuhalten, damit du dich nicht aufs Gleichgewicht konzentrieren musst», sagt Pascale, und los geht es mit den simulierten Abrollbewegungen. Erst mit den Händen am Geländer, dann frei im Raum. Aber immer mit möglichst viel Feingefühl.
«Die Knie sind nicht ganz gestreckt, sondern leicht gebeugt in dynamischer Haltung. Aus dieser Position versuchen wir, nicht durch Gewichtsverlagerung nach vorne zu kippen, sondern die Bewegung aus dem Fussgelenk zu machen.» Es ist eine feine Bewegung, die das Brett nicht laut auf den Boden schlagen lässt und genau deshalb gut zu spüren ist. «Auch wenn es ein kleines Hölzli ist, musst du Kraft aufbringen und darfst dich nicht dazu verleiten lassen, einfach den Körperschwerpunkt zu verlagern», fordert Pascale. «Beim Rennen wollen wir uns auch nicht einfach nach vorne fallen lassen, es braucht aktive Mitarbeit aus den Füssen.»
Kippen über die Angst-Achse
Wer umknickt, tut das meist über die Aussenkante des Fusses. Die Folge ist ein Supinationstrauma, das häufig die Bänder in Mitleidenschaft zieht. «Danach haben viele Angst, dass es wieder passiert und eine Strategie ist, den Fuss einfach nicht mehr in eine Supinationsposition zu bewegen.» Eine bequeme Lösung, die sich irgendwann rächen kann. «Das heisst aber auch, dass die Muskeln keine Ahnung mehr haben, was sie machen müssen, wenn es mal wieder passiert», sagt Pascale. Es gehe also darum, den Fuss wieder an die Bewegung heranzuführen, und dabei gebe es mit dem Therapiebrett zwei Varianten. «Die sicherere ist die mit dem Hölzli vorne auf Seiten der Grosszehe, das ist die natürlichere Bewegungsachse.»
Dann folgt dasselbe Spiel wie vorher. Wieder geht es darum, das Brett kontrolliert zum Kippen zu bringen. Nun jedoch über eine Achse, die nach einer Verletzung andere Gefühle auslösen kann: «Für viele ist diese Bewegung schon ein leichter Angstmoment, weil sie die Supination andeutet», erklärt Pascale. «Aber sie kann nicht weitergehen, wodurch man sich rantasten kann und auch wieder die Umkehrbewegung hat.» Wie immer schön langsam und ohne, dass das Gewölbe kollabiert. «Diese Übung kontrolliert und in einer flüssigen Bewegung zu machen, ist schon schwieriger», sagt Pascale. Nach einer Verletzung werde sie erst nach der anfänglichen Immobilisation in der Akutwundheilungsphase durchgeführt. Dann sei das Bindegewebe des Kapsel-Band-Apparates bereits stabiler und in der richtigen Funktionslänge und -richtung verheilt.
Der Klassiker unter den Sportverletzungen
Ein Supinationstrauma, von dem die Aussenbänder betroffen sind, ist die wohl häufigste Sportverletzung. Ein Stein, eine Stufe, ein Foul, ein unachtsamer Schritt – schon ist es passiert. Seltener schubst dich das Schicksal in die andere Richtung. «Ein Pronationstrauma kann es auch geben», sagt Pascale. «Zum Beispiel, wenn du so stark umknickst, dass du wieder nach innen fällst.» Kein schönes Kopfkino. «Oder wenn du an einem Randstein nach innen knickst. Es ist seltener, aber ich habe das auch schon mal geschafft.»
Wohl dem, der davon verschont bleibt. Bis zu einem gewissen Grad hast du es selbst in der Hand, oder, besser gesagt: in den Fussgelenken. Indem du sie trainierst. «Das macht selten jemand präventiv, obwohl es sinnvoll wäre», weiss die Physiotherapeutin und Leichtathletin aus Erfahrung. Dafür brauchst du eigentlich nur Motivation: «Es gibt auch Trainingsvarianten ohne Zubehör, zum Beispiel die Fuss-Übungen auf unterschiedlichen Untergründen.» Du kannst sie mal auf der Wiese, mal auf der Finnenbahn oder im Kies machen und dich so vor neue Herausforderungen stellen. «Es braucht nicht unbedingt so ein Brett – aber viele machen ohne ein Gadget auch einfach nichts», sagt Pascale. Zumindest so lange, bis es irgendwann «Knack!» macht und nach dem PECH die Reha ansteht.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.