Der alte Kahn segelt geschmeidiger: Ich spiele lieber «Black Flag» statt «Skull and Bones»
«Skull and Bones» beschert dem zehn Jahre alten «Assassin’s Creed: Black Flag» einen zweiten Frühling. Dass wir Gamer lieber ein fast schon antikes Piratenspiel zocken, hat gute Gründe.
Die Ernüchterung liess nicht lange auf sich warten. Jahrelang habe ich mich auf «Skull and Bones» gefreut und trotz aller schlechten Omen die Hoffnung beibehalten. Doch bald war klar: «Skull and Bones» zeigt vor allem, wie ein Piraten-Game nicht sein soll. Mehr dazu liest du im Review meines Kollegen Phil.
Dass es vielen Spielerinnen und Spielern ähnlich geht, zeigen die Nutzerzahlen des «AAAA-Spiels». Bisher konnte das Live-Service-Piratenabenteuer die Marke von einer Million Spielern nicht knacken. Gleichzeitig wachsen die Spielerzahlen des spirituellen Vorgängers «Assassin's Creed: Black Flag». Diese sind während der Veröffentlichung von «Skull and Bones» um über 200 Prozent gestiegen. Gamer möchten also schon in die Haut eines Piraten schlüpfen, nur nicht in der Welt von «Skull and Bones».
Das bestätigt mein persönliches Gefühl und auch, was ich in meinem Umfeld höre: Wer ein ordentliches Piratenabenteuer will, spielt lieber «Black Flag» als «Skull and Bones» – trotz des Altersunterschieds. Ich glaube, «Skull and Bones» schafft vor allem eines: uns zu zeigen, wie gut «Assassin’s Creed: Black Flag» wirklich war.
Machtfantasie in der Karibik
Während «Skull and Bones» als Live-Service-Game das Publikum mit regelmässigen Seasons möglichst lang am Bildschirm halten soll, war «Black Flag» ein story-lastiges Einzelspieler-Game. Die Ausgangslage ist also schon eine andere. Ich würde sie auch gar nicht unbedingt miteinander vergleichen, wäre «Skull and Bones» zu Beginn nicht als «Black Flag»-Spinoff betitelt worden. Der Einfluss von «Black Flag» ist nicht zu leugnen. So wurden einige der Mechaniken sogar eins zu eins übernommen. Deshalb enttäuscht es mich umso mehr, dass ein Spiel mit zehn Jahren Entwicklungszeit und einem Budget von 200 Millionen US-Dollar seinem älteren Bruder nicht das Wasser reichen kann.
Nehmen wir die Filmsequenzen als Beispiel: «Black Flag» hat glaubhaftere Animationen, lebendigere Charaktere und überzeugendere Dialoge. «Skull and Bones» versucht, mit Dialogoptionen einen RPG-Aspekt einzubringen, doch diese beeinflussen die Handlung kaum. Egal was ich klicke, der NPC auf der anderen Seite handelt gleich.
Ein weiteres Beispiel ist die Welt, in der sich die Geschichten abspielen: Die Karibik in «Black Flag» ist atemberaubend schön, lebendig und beinahe nahtlos erkundbar. Das Steuerrad kann ich jederzeit loslassen, ins Meer springen und an Land schwimmen, um eine Insel zu erkunden. Ladebildschirme gibt es selten und auch andere Schiffe kann ich betreten.
In «Skull and Bones» steuere ich ein Schiff, keine Person. Ständig segle ich an bewaldeten Küsten oder scheinbar geschäftigen Giessereien vorbei und denke mir: «Diesen Ort würde ich gerne zu Fuss erkunden». Doch der Spielercharakter kommt nur in isolierten, hinter Ladebildschirmen versteckten Hubs zum Zuge und ist in seinem Handeln sehr eingeschränkt. Er ist gezwungen, lästige Dinge zu erledigen, aber dazu später mehr.
«Black Flag» konzentriert sich auf Dinge, die am (stark romantisierten) Piratenleben Spass machen: Segeln und dabei Seemannslieder singen, Handelsschiffe verfolgen, Kanonen abfeuern, mit dem Seil hinüberschwingen und entern, Inseln erkunden, Rüpel verprügeln, Forts erobern, Schiffswracks plündern, Schätze suchen, Wildtiere jagen und mit meinen Piratenfreunden Rum saufen. Die Welt steht mir offen und niemand kann mir etwas antun.
Diese Machtfantasie ist das Verlockende an «Black Flag». In diesem Spiel kann ich mich verlieren, die Zeit vergessen und – so simpel es klingt – Pirat sein.
Kochtopf statt Seeschlacht
Dieses Gefühl zu vermitteln, schafft «Skull and Bones» leider nicht. Statt wie ein Pirat fühle ich mich wie ein Handlanger. Ich suche mühsam nach Bauplänen, ernte in einem einfallslosen Minigame Ressourcen, crafte beim Schmied selber eine neue Schiffshülle und koche dann meiner Crew ihren verdammten Fisch. Während des gesamten Prozesses muss ich darauf achten, mein Inventar nicht zu überfüllen. Kannst du dir Captain Jack Sparrow – einen richtigen Piraten – vorstellen, wie er auch nur eine dieser Aufgaben erledigt? Eben.
Steche ich dann in See, bewege ich mein Schiff in Richtung eines leuchtenden Icons, um ein Paket zu liefern oder um mit jemandem zu reden. Keine sonderlich spannenden Aufträge für einen Piraten. Liefere ich mir doch einmal eine Seeschlacht, steht mir zwar ein breites Arsenal an Waffen zur Verfügung. Doch jedes Mal, wenn ich die Schadenszahlen meiner Angriffe und das stockende Dahinschwinden des gegnerischen Gesundheitsbalkens sehe, überkommt mich eine gelangweilte Traurigkeit. Ich will ballern, nicht grinden.
«Black Flag» erlaubt das: Ja, mein Arsenal ist sehr eingeschränkt. Und doch fühle ich mich um einiges mächtiger, wenn meine volle Breitseite das gegnerische Schiff durchlöchert und sich mein Oberdeck in Rauchschwaden hüllt. Flink richte ich die schwenkbaren, kleineren Kanonen auf die Schwachpunkte meines Gegners und ersteche in der folgenden Enter-Sequenz (nicht nur eine Cutscene!) den Kapitän.
Auch die Seeschlacht-Fantasie bedient «Assassin’s Creed: Black Flag» besser. Statt also darauf zu warten, dass sich der Stamina-Balken meiner Crew auflädt und ich wieder mit voller Geschwindigkeit weitersegeln kann, re-installiere auch ich lieber ein zehn Jahre altes Spiel.
Dieses könnte in den kommenden Jahren übrigens generalüberholt werden und als Remake neu erscheinen. Zumindest kursieren im Internet Gerüchte zu «Project Obsidian», von vertrauenswürdigen Quellen. Ob das Goldstück «Assassin’s Creed: Black Flag» tatsächlich ein Remake braucht, ist eine Diskussion für ein anderes Mal. Doch bis es so weit ist, steche ich wie tausende Gamer im Animus in die karibische See. Volle Fahrt voraus!
Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.