Dein Lieblingsspiel wäre ohne Crafting genauso gut
Kaum ein Crafting-System bereichert ein Spiel. Denn in Games Gegenstände herzustellen und zu verbessern ist entweder mühsam oder spielt keine wichtige Rolle – im schlimmsten Fall beides.
Ich stehe bei «The Elder Scrolls V: Skyrim» im Alchemielabor und kombiniere auf gut Glück verschiedene Zutaten, deren Wirkung ich nicht kenne, in der Hoffnung, dass am Schluss ein brauchbarer Trank entsteht. Die Ausbeute: Ein «Wundertrunk der Blitzresistenz», ein «Zaubertrank des Beschwörers» und eine «Essenz der Zusätzlichen Magicka». Der Haken: Ich werde in nächster Zeit wohl kaum auf einen Blitzmagier treffen. Und als Stealth Archer wirke ich keine Beschwörungszauber, deshalb brauche ich auch kein Magicka.
Die gecrafteten Items sind also nutzlos. Und genau dieses Phänomen beobachte ich in vielen Spielen. Ich habe zwar die Möglichkeit, Gegenstände herzustellen. In aller Regel sind diese aber schwächer als die Items, die ich als Quest-Belohnungen erhalte oder von erschlagenen Bossen plündere. Und habe ich doch mal die Pläne für eine nützliche Robe, fehlt immer genau eine Zutat, um sie zu schneidern.
Gamen soll kein Nebenberuf sein
Doch es soll sie wirklich geben, die Spiele, in denen du nützliche Items herstellen kannst. Wo du die Ressourcen für ein Flammenschwert findest, musst du aber selber herausfinden – also googeln, wenn wir ehrlich sind. In dem Moment, wo du Alt + Tab drückst oder das Handy zückst, verpufft die Immersion. Ich finde das schade. Du besorgst also die auf der ganzen Welt verteilten Materialien und arbeitest die Zwischenschritte ab. «Arbeiten» ist hier nicht übertrieben, denn genau so fühlt es sich an. Das Zocken wird zum Grind, was mich zum nächsten Punkt bringt.
100 Eisendolche herstellen, nur um meine virtuelle Schmiedefähigkeit zu verbessern? Dafür ist mir meine Zeit zu wertvoll. Und doch muss ich zugeben, dass die Repetition streng genommen Sinn macht. Denn um ein Handwerk zu meistern, muss man üben – auch im echten Leben. «Ich fürchte nicht den Mann, der 10 000 Kicks einmal geübt hat, sondern ich fürchte den, der einen Kick 10 000 Mal geübt hat», wie Bruce Lee sagte.
Entwickler geben sich Mühe, halbwegs realistische Crafting-Systeme zu etablieren. Beim Versuch, sich der Realität anzunähern, vergessen sie leider oft, dass die Dinge in Games gezwungenermassen eingedampft und vereinfach dargestellt werden müssen. Kämpfen, Gespräche führen, Reiten, Entdecken – all diese Dinge sind in der Realität unendlich viel komplizierter als in Spielen. Doch den Anspruch der Realitätsnähe stellen Entwickler vor allem ans Crafting.
Haaland in der Nike-Fabrik
Oft überfordern uns Games deshalb mit überkomplexen, aufgeblasenen Crafting-Systemen. Gegenstände haben nicht nur «Eigenschaften», sondern auch «Werte», «Spezialisierungen», «Verzauberungen», «Boni» und «Skins». Das führt dazu, dass du fürs erfolgreiche Crafting viel mehr lernen musst, im Gameplay aber kaum eine Verbesserung feststellst. Es gibt zu viele Ressourcen, zu viele Schaltflächen, zu viele gegenseitige Abhängigkeiten.
Dabei ist mein Charakter doch in erster Linie Abenteurer, in manchem Spiel gar ein Gott oder der Retter der Welt. Sich mit Schneidern, Schmieden oder dem Brauen von Tränken herumzuschlagen ist einer solchen Figur wohl kaum würdig. Ich würde sogar sagen, verantwortungslos. Schliesslich muss ich die Stadt vor Räubern schützen, Monster bekämpfen, Nekromanten erschlagen. Das Mindeste, was die NPCs im Gegenzug tun können, ist mir den Rücken freizuhalten und mich bestmöglich auszustatten. Von Erling Haaland erwartet auch niemand, dass er in der Fabrik seine eigenen Fussballschuhe näht. Er muss lediglich im richtigen Moment im gegnerischen Strafraum stehen und den Ball über die Torlinie wuchten.
Mittlerweile ignoriere ich Crafting in praktisch jedem Spiel. Materialien verkaufe ich, ohne mit der Wimper zu zucken, beim Händler, bevor ich mit leichtem Rucksack weiter durch die Welt hüpfe. Ein Zwang ist Crafting zum Glück in fast keinem Game. Während du wie Sisyphus in einer Endlosschlaufe der Animationen feststeckst, zeige ich meinem neuen Streithammer, wie die Gehirnmasse eines Banditenanführers aussieht.
Titelbild: Youtube/That'sCoolDudeMeine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.