DJ Ronfa: Ein Leben für 33rpm
DJ Ronfa ist der beste DJ der Schweiz. Offiziell. Er legt in Taipei und am Open Air St. Gallen auf. Doch wer ist Cyrille Imbach, der Informatiker und Mann hinter Ronfa?
Feierabend. Cyrille Imbach loggt sich aus und verlässt sein Büro an der Uni Fribourg. Beim Überqueren der Rue de Rome – er ist auf dem Weg zur Bushaltestelle «Fribourg, Université» – setzt sich der 36-jährige ein Cap auf die leicht angegrauten Haare. Dann steckt sich der schlaksige Mann, der halbtags als Informatiker arbeitet, seine Airpods ins Ohr.
Cyrille verschwindet. An seine Stelle tritt der DJ. Nicht irgendein DJ, sondern DJ Ronfa, der beste DJ des Landes.
Tags ackert er auf dem Uni-Server. Nachts jubeln ihm Hunderte zu. Er bewegt die Massen. Lässt sie alles und jeden um sie herum vergessen. Das ist sein Job. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang. Ronfa ist gross, bis auf den schwarzen Schnauz glattrasiert und von eher dunkler Hautfarbe. Ein schwarzes, schmales Brillengestell sitzt auf seiner grossen Nase.

Irgendwann wird Ronfa nachts nicht mehr an die Stelle Cyrilles treten. Die tobende Menge wird dann ohne ihn auskommen müssen. Das weiss Cyrille. Aufhören ist ein konkreter Gedanke, den der Informatiker immer dann zurückholt, wenn der DJ ihn wegzuschieben versucht.
Ronfa, der gescheiterte Rapper
Momentan redet DJ Ronfa, nicht Cyrille. Er steht in seiner kleinen spartanisch eingerichteten 1.5-Zimmer-Wohnung. «Sein Bunker», so Ronfa. An den Wänden hängen Platten seiner Vorbilder. Cut Killer. A-Track. DJ Snake. Mehr nicht. Da ist auch noch ein Sofa, ein Fernseher. Auf einem kleinen Tisch steht eine leere Ice-Tea-Packung.
Aber Ronfas Stolz ist sein Mischpult Marke Rane. Es steht direkt neben dem Bett. Daneben ein Macbook. Hier entfaltet sich der Künstler. Hier lebt Ronfa. Woanders schläft er nur oder verdient etwas Geld.
«Einmal lag eine Frau in meinem Bett. Nackt. Sie hat geschlafen, und ich scratchte bis tief in die Nacht mit nichts als Boxer-Shorts am Leib. Irgendwann blickte ich zu ihr rüber und dachte mir: Was zum Geier mache ich hier eigentlich?» Der DJ lacht. «Aber so ist das Leben als DJ halt.»

Zur Musik kommt Ronfa mit 14 Jahren. Er und seine Freunde gründen im Jahre 1997 eine Hip-Hop-Band. Ronfa soll rappen. Das Vorhaben scheitert auf ganzer Linie. Nach einigen Versprechern, Stotterern und Gedankenaussetzern vor Publikum muss Cyrille sich eines eingestehen:
«Ich bin ein ziemlich mieser Rapper.»
Zusammen findet «17 connexion», so der Name Hip-Hop-Gruppe, eine Lösung: Sie stellen ihn hinter den Turntables – den Plattenspielern. Dort könne er weniger Schaden anrichten.
«Eigentlich hätte ich es wissen sollen», sagt Ronfa, der damals noch nicht Ronfa geheissen hat. Als kleiner Bub soll er im Radio ein Lied gehört haben, in dem gescratcht wird. Das hätte ihn so sehr fasziniert, dass er daraufhin auf dem Plattenspieler seiner Mutter geübt und vier Platten zerstört hätte.

Seine Leidenschaft sieht er als Sport. Training unter der Woche, Spiele am Wochenende. Besser gesagt Parties. «Nur, dass es damals keine Parties gab», korrigiert sich der DJ gleich selbst. DJ Ronfa ist Perfektionist. Cyrille auch. Bevor er an Partys geht, will er sein Handwerk beherrschen. Aber in den späten 1990er-Jahren gibt es kaum Internet und schon gar keine Youtube-Videos, bei denen er von den Profis abschauen könnte. Ronfa muss sich alles selber beibringen.
Tausende Stunden und eine ganze Jugend gehen drauf.
Und dann Sean Paul
Ronfa ist etwa 20-jährig, als er seine ersten Platten auflegt. Meistens sind es Studentenparties.
«Viele junge DJs verdienen ihr Geld beim Aufwärmen», sagt Ronfa mit welschem Akzent. Er vergleicht das Aufwärmen mit Vorbands an Konzerten: Sie sollen das Publikum auf Touren bringen, ehe der eigentliche Star der Show dran ist.

Der DJ stellt sich in die Box, packt seine Schallplatten aus und startet die Turntables auf. Er beginnt langsam. «Ein bisschen chillig halt.» Sein Plan ist es, das Tempo kontinuierlich zu steigern. Ein oder zwei Stunden lang. Aber der Club, in dem er auflegt, füllt sich. Füllt sich schnell. Viel schneller als gewohnt. Auf einmal steht der Clubmanager in seiner Box: «Hey du, gib Vollgas. Wir wollen den Gästen etwas bieten.»
Ronfa gibt alles. Scratcht und macht Übergänge. Ein kurzer Blick auf die Gäste. Hunderte. Sehr gut. Aber sie ziehen nicht mit. Sehr schlecht. Ronfa wird nervös.
Dann entdeckt er «Get Busy» von Sean Paul in seiner Playlist. Er weiss bis heute nicht, wie der Song dahin gekommen ist. Ronfa hasst Sean Paul. «Scheiss Sänger, scheiss Sound». Er verzweifelt. Die ersten Gäste fragen sich bereits, wo’s Bier gibt. «Ich habe genau zwei Dinge gewusst: Die Leute lieben Sean Paul und meine Karriere ist gerade dabei, den Bach runter zu gehen.»
Er wagt es. Wählt den Song an. Bereitet den Übergang vom aktuellen Track zu «Get Busy» vor. Ein Griff am Crossfader. Dann läuft Sean Paul. DJ Ronfa hat soeben all seine Prinzipien über Bord geworfen.
Das Publikum tobt. Vor Freude.
Ronfa nimmt im Jahr 2019 sein Red-Bull-Cap ab, streicht mit der Hand durch das schwarzgraue Haar und setzt sie sich wieder auf. Die Erleichterung ist ihm immer noch anzusehen. «Was soll ich sagen? Es hat genau fünf Sekunden gedauert, ehe ich alles, was ich über Sean Paul gedacht hatte, um 180 Grad gedreht habe.»
Der Betrug an seine Stil-Ideologien hat sich ausgezahlt. Und Ronfa lernt eine der wichtigsten Lektionen seiner Karriere.
«Weisst du, ein guter DJ schmeisst die Party in erster Linie für sein Publikum, nicht für sich selber. Die Energie, die es dem DJ in solchen Momenten gibt – sie ist unbeschreiblich. Es verändert alles, was du zu wissen glaubst. Damals wurde mir klar: DJ zu sein ist das, was ich den Rest meines Lebens machen will.»
Von den Partys ins Büro
Ronfa, der an seinen Partys vor allem Urban Music, Reggaeton, Dancehall, Afro Musik, ein bisschen Hip Hop und RnB auflegt, zupft an seinem Red-Bull-Pulli. Das macht er oft.
«Das Problem für mich als DJ war, dass ich mit meinen Auftritten trotzdem kaum Geld verdient habe.»
Die Turntables, die Schallplatten, die Lautsprecher – das alles kostet ein kleines Vermögen, das Ronfa nicht hat. «Vor allem die Schallplatten haben ein tiefes Loch ins Portemonnaie gerissen», erinnert sich Ronfa. Um sie sich trotzdem leisten zu können, nimmt er jeden Party-Job an, den er kriegen kann. Schlager-Parties etwa. «Ich habe mich oft verkaufen müssen, um den Traum aufrecht zu erhalten. Das löste Zweifel aus. Ein Scheissgefühl.»

In den 1970er- und 1980er-Jahren sei das Leben als DJ einfacher gewesen. Viele Plattenfirmen haben den DJs jener Zeit Schallplatten ihrer Klienten kostenlos zukommen lassen. Im Gegenzug legten sie die Platten auf und berichteten den Firmen, welche Songs gut ankamen und sich für eine Single-Auswertung eigneten. Feldforschung, sozusagen.
Ronfa bekommt in den 1990ern und auch später gar nichts geschenkt.
Er hat in den späten 1990ern kaum Geld um sich Kleider oder Schmuck zu kaufen. Wohnt bei den Eltern, Freunden oder in kleinen, günstigen Wohnungen. Wenn andere feiern, übt er Zuhause oder arbeitet im Club. Was ihm in seinen Jahren als durch die Schweiz pendelnder und relativ unbekannter DJ am meisten zu schaffen macht, sei nicht etwa fehlende Unterstützung gewesen, sondern fehlende Anerkennung. Anerkennung, die es braucht, um durchzuhalten.

Ronfa nimmt 2019 wieder das Cap ab und zeigt auf die ergrauten Haare: «Wenn ich den Leuten erzähle, dass ich DJ bin, sagen sie Dinge wie “Was? Immer noch? Willst du nicht erwachsen werden, einen echten Job suchen und seriös sein?”».
Sein Blick senkt sich.
«Das tut weh. Denn ich investiere Zeit. Viel Zeit. Opfere heute noch alles und noch mehr, um das, was ich mache, gut zu machen. Das ist seriös. Und ich tue das, um meinen Traum zu leben.»

Mittlerweile arbeitet Ronfa nachmittags als Informatiker an der Universität in Fribourg. Während dieser Zeit ist er Cyrille Imbach. «So habe ich ein sicheres Monatseinkommen. Ich brauche des Geldes wegen keine Jobs an schlechten Schlager-Partys anzunehmen».
Ein erleichtertes Lächeln auf seinem Gesicht. Er krempelt die Ärmel seines Pullis hoch.

Meistens kommt Cyrille um etwa 18 Uhr nach Hause. Dann wird er zu DJ Ronfa. Zieht sich ein paar Tracks rein. Vorbereitung für die nächste Party. Etwa 40 000 Tracks zählt seine aktuelle Playliste. Er kennt sie alle auswendig. Um 23 Uhr geht der Job los. Er endet meistens um etwa 4 Uhr morgens. Ausruhen kann er sich bis 12 Uhr mittags. Dann geht’s wieder zur Uni.
Irgendwo dazwischen nimmt er sich ein paar Stunden, um Content für seine Social-Media-Kanäle zu produzieren. Mit Fans zu interagieren. Oder mit Veranstaltern zu reden, die ihn buchen wollen. Für manche Jobs muss er quer durch die ganze Schweiz reisen; Alkohol trinkt er deswegen kaum. Abgesehen davon muss er sich konzentrieren können. Vor allem während seinen Auftritten.
Die Energie, diesen Rhythmus durchzustehen, bekommt Ronfa damals wie heute vom Publikum selbst. Er erzählt, wie ihm an jenen Tagen, an die er nicht auflegen könne, regelrecht etwas fehle. «Wenn die Leute voll abgehen und die Party auf ihrem Höhepunkt ist, dann ist das für mich genauso gut wie Sex.»
Ronfa lacht.
«Darf ich das überhaupt so sagen?»
Zwei Worte: Mach weiter
Der DJ aus Fribourg ist über 30 Jahre alt, als er zum ersten Mal am «Red Bull Music 3Style» teilnimmt. Dort treten die besten DJs der Schweiz gegeneinander an: Während 15minütigen Sets präsentieren sie ihr Können. Der Sieger wird zum Schweizer Meister gekürt und vertritt das Land an den Weltmeisterschaften in Taipei.
Ronfa tritt an. Für viele Kenner in der Szene gar als Favorit. Aber er gewinnt nicht.
«Vielleicht habe ich es zu sehr gewollt. Ich habe vergessen, Spass zu haben. Und das ist das Wichtigste bei solchen Turnieren.»
Zum ersten Mal wird Ronfa bewusst, dass seine Zeit als DJ endlich ist. Denn in DJ-Kreisen ist er nicht mehr der Jüngste: Manche der weltbesten DJs sind kaum älter als 18. DJ Brandan Duke etwa. Der ist gerade mal 12, aber laut Ronfa aktuell der beste DJ der Welt.
Ein Jahr später, nach seiner zweiten misslungenen Teilnahme am 3Style-Wettbewerb, ist Ronfa am Boden. «Manche haben mir sogar geraten, ganz aufzuhören.»

Er denkt nicht daran. Noch hat er etwas, das vielen gescheiterten DJs fehlt: Hoffnung. Für Ronfa kein beliebiges Gefühl. Es ist vielmehr eine Lebenseinstellung. Ein Mantra. Bestehend aus zwei Wörtern.
«Mach weiter.»
Ronfa ist noch nicht bereit, das aufzugeben, was er liebt. Egal, wie ungewöhnlich oder abgefahren es auch sein mag. Selbst, wenn es Jahre dauert, die gesteckten Ziele zu erreichen – wenn überhaupt. Er rafft sich auf. Er startet sein Macbook. Er legt die Hände an die Turntables und mixt.
Er macht weiter.
DJ Ronfa, Schweizer Meister
September 2018. Das Red Bull 3Style Finale findet im Basler Club Viertel statt. Ronfa ist dabei – zum dritten und vielleicht letzten Mal. Sein Arbeitsgerät im schummrig-blauen Licht ist sein DJ Controller. Der besteht aus zwei Jogwheels – den beiden drehbaren Platten. Ronfa legt die Hand auf eine davon.
Im Club herrscht brütende Hitze. Die macht Ronfas Hände schwitzig und das Scratchen noch schwieriger – das Drehen an den Jogwheels, die den Song vor- und zurückspulen. Er lässt sich nicht entmutigen. Die Menge – Tausende – ist heiss, und sie will sehen, was Ronfa drauf hat. Er hat nicht vor, sie zu enttäuschen.
Nicht schon wieder.

Über die zwei Turntables laufen zwei Tracks. Durch den Crossfader bestimmt er, ob das Publikum beide gleichzeitig hört oder nur ein Track aufs Mal. Ronfa spielt an den Knobs herum – Knöpfe zwischen den Jogwheels, mit denen er Höhen-, Mittel- und Tieftöner beeinflusst. Dutzende weitere farbige Knöpfe lösen noch mehr Effekte aus. Ronfa spielt mit ihnen allen.
Er hat Spass. Ist im Element.
Gleichzeitig hat er einen Kopfhörer auf. Dort läuft der zweite Track. Momentan kann nur er ihn hören: Ronfa bereitet den Übergang von einem Track zum nächsten vor.
Mit dem Pitch beeinflusst er die Beats pro Sekunde. Beide Tracks müssen das gleiche Tempo haben. Dann dreht er an den Jogwheels und synchronisiert die Beats. So laufen sie nicht zeitversetzt. Gleichzeitig spielt er immer noch an den Knobs des ersten Songs herum. Scratcht. Winkt der Menge zu. Tanzt. Der Sound geht ab. Multitasking. Dann nimmt er den Hebel des Crossfaders zwischen Zeigefinger und Daumen. Abwartend. Urplötzlich schiebt er den Crossfader-Hebel von links nach rechts. Jetzt läuft Track Nummer zwei.
Es ist «Get Busy» von Sean Paul.
Das Timing ist perfekt. Der Übergang gelungen. Über 20 Jahre, nachdem er Sean Paul zum ersten Mal an einer Studentenparty in Fribourg aufgelegt hat, tobt die Menge erneut.
Ronfa wird Schweizer Meister.
Ronfa ist oben – und denkt nicht ans Aufhören
Ronfa selbst hat 20 Jahre harte Arbeit, stundenlanges Training und mehrere Teilnahmen am Red Bull Music 3Style gebraucht, um Schweizer Meister zu werden.
Die Anerkennung, die vielen Zusprüche und Briefe seiner Fans, die seine Videos auf Ronfas privatem Instagram-Kanal sehen, um ihm zu sagen, dass sie nur wegen ihm DJ werden wollen – es ist die Belohnung für alles, was Ronfa in die Erfüllung seines Traums investiert hat.
Ich habe mich den grössten Teil meines Lebens so sehr darauf fokussiert, als DJ besser zu werden, dass ich es immer noch total verwirrend finde, plötzlich so viel Aufmerksamkeit zu kriegen.

Immer wieder bekräftigt Ronfa, dass es ihm bei all dem nur darum ginge, den Leuten eine gute Zeit zu bereiten: «Sie sollen ihre Sorgen, Bedenken und Zweifel des Alltags vergessen. Und sei es bloss für zehn Sekunden, Minuten oder gar eine ganze Nacht.»
Dann passiert etwas Seltsames.
Auf einmal redet nicht mehr Ronfa, sondern Cyrille. Cyrille Imbach. Der Mann, der nach seinem Sieg beim 3Style nicht seine Freundin, seine Frau oder seine Kinder angerufen hat, sondern seine Mutter. «DJ Ronfa ist mein Kind», sagt er, «ich habe den grössten Teil meines Lebens und jede Entscheidung, die ich getroffen habe, auf DJ Ronfa ausgelegt».
Pause. Nicht lange. Aber lange genug.
«Ich habe Angst davor, nicht selber zu merken, wann ich DJ Ronfa gehen lassen muss.»
Der Fribourger seufzt. Dann beginnt sich ein Lächeln auf seinen Lippen abzuzeichnen.
«Aber noch ist es nicht soweit.»
Ronfa ist wieder da. Er stellt sich vor seinem Mischpult, drückt ein paar Knöpfe am Laptop, setzt die Kopfhörer auf und beginnt zu scratchen. Er übt für seinen nächsten Auftritt.
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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»