Martin Feusi und sein Kino im Keller
Elektriker, Gipser, Schreiner. Martin Feusi ist nichts davon. Trotzdem hat er ein Kino im eigenen Keller gebaut – alleine. Dies ist seine Geschichte.
Das Kino. Es ist Martin Feusis Reich, und sein Thron der mittlere der drei dickgepolsterten Ledersessel, die sich in der hinteren Reihe des Raums befinden: Martin Feusi hat ein Kino gebaut. In seinem eigenen Keller.
Der Mann hat kurzes, blondes Haar und einen leichten Dreitagebart. Aufgeregt lehnt er sich vor. Die Aufmerksamkeit des Cineasten gilt gerade dem, was sich auf der etwa drei-mal-zwei Meter grossen Akustik-Leinwand abspielt: Agent 'K' und Replikant Sapper Morton liefern sich einen Faustkampf auf Leben und Tod – die Anfangsszene des Blockbusters «Blade Runner 2049». Nach der Szene macht er das Licht an. Sein aufgeweckter Blick wandert einmal quer durch den 25 Quadratmeter grossen Kellerraum.
Die Ledersessel haben steuerbare Fuss- und Kopflehnen. Sie sind weinrot, passend zu den Wänden. Ein in den Deckenkranz integriertes LED-Licht über Martins Kopf wirft ein violettes Licht auf die schwarze Decke. In den hinteren beiden Ecken stehen zwei Lautsprecherpaare von Klipsch. Das restliche Lautsprecher-Set-Up ist in einem Zwischenraum hinter der Leinwand versteckt. Dort, wo auch die Elektronik verstaut ist.
Martins Augen leuchten. Ein schelmisches Grinsen, sein Markenzeichen, breitet sich auf seinem schlanken Gesicht aus. Zufrieden trinkt er einen Schluck Bier – Adler Bräu, aus der Region – und stellt die Flasche zurück in den Getränkehalter des Sessels.
Das eigene Kino
Wenn Martin so dasitzt, dann ist er ruhig, beinahe unscheinbar. Vielleicht etwas, das der Beruf des gelernten Informatikers mit sich bringt. Aber der Stolz auf das, was er vollbracht hat, ist spürbar, wenn er spricht. Immer. Er ist Ehemann und Vater dreier Kinder, das Kino seine grosse Leidenschaft. Und der einzige Ort, wo er Filme schaut – einen Fernseher besitzt er nicht.
«Früher habe ich alle Kinotickets, die ich gekauft habe, gesammelt. Das müssen Hunderte gewesen sein», sagt Martin mit unaufgeregter Stimme. Das unterstreicht den subtilen Humor des Mannes mit dem hellgrauen T-Shirt, auf dem ein Captain America prangt. «Aber die brauch ich jetzt ja nicht mehr zu sammeln.»
Martin trennt Berufliches und Privates. Ein Umstand, der die Kino-Idee ins Rollen gebracht hat. Denn der Informatiker, der im urbanen Zürich arbeitet, aber im von Bergen umgebenen Netstal wohnt, mietet seit Jahren ein kleines Bürozimmer an, etwa 200 Meter von seinem Haus entfernt. Dort erledigt er sein Home Office, bezahlt Rechnungen und lässt Arbeit Arbeit sein. In Vergangenheit ist das Büro nicht nur Arbeitszimmer gewesen, sondern auch Hobbyraum. Mit Sofa, Beamer und Leinwand. «Eine Männerhöhle», sagt Martin. Da ist es wieder, das schelmische Grinsen.
Dann ein neues Projekt, vor etwa zwei Jahren: Der Bau des Eigenheims.
Der Familienvater nimmt einen Schluck Adler-Bräu-Bier. «Als ich während dem Bau den Keller zum ersten Mal betreten habe, grauste es mir davor, wie diese Rumpelkammer wohl mal aussehen wird, wenn all meine Sachen drin sind». Also hat er sich Gedanken gemacht. Dann die Idee: Ein Kino soll er werden, dieser kahle Raum im Keller mit Röhren an der Decke. «Eigentlich etwa das, was ich schon im Hobbyraum gehabt hatte, dieses Mal aber richtig.»
Gross überreden muss er niemanden. Seine Frau ist schnell von der Idee begeistert – von ihr spricht er als treibende Kraft, die ihm stets den Rücken freihält, während er seinen verrückten Ideen nachgeht. Die wahre Herausforderung sollte viel mehr darin liegen, sich das nötige Wissen anzueignen, um ein kleines, privates Kino im eigenen Keller zu bauen.
Die Schweiz, das Entwicklungsland
Wenn sich Martin an diese Zeit im Februar 2018 zurückerinnert, dann rollt er die Augen, wischt sich mit der Hand übers Gesicht und zieht es lang. «Was Heimkinos angeht, habe ich mich in der Schweiz wie in einem Entwicklungsland gefühlt.» Das sagt er, weil es hierzulande kaum Anbieter gibt, die professionelles Equipment für den Kinobau anbieten. Und die wenigen, die da sind, haben ein zu kleines Angebot für Martins Bedürfnisse.
Bewaffnet mit Stift und Papier, auf dem der Grundriss des Kellers gezeichnet ist, durchforstet er wochenlang Webseiten, Foren und Youtube-Kanäle. Fragen wie «welche Leinwand», «wie breit und wie hoch muss die Leinwand sein» und «wie weit entfernt müssen die Sitze stehen» tauchen auf. Überhaupt: «Woher kriege ich Sitze» und «Stoff oder Lederbezug» sind genauso Teil der Recherche wie «was ist mit der Dämmung», «wie verstecke ich die Abflussrohre» und «was zum Teufel ist eine Vorsatzschale oder ein Absorber».
«Es war zum verrückt werden. Ich bin ja kein Handwerker, Elektriker oder Gipser», sagt Martin ein Jahr später in seinem Kinosessel. Im Februar 2018 hat er sich noch als Bürogummi gesehen. Martin lächelt. Verlegen.
Täglich wird Martin mit neuen Fragen konfrontiert. Fragen, deren Antworten neue Fragen aufwerfen. Nach Werkzeugen etwa. «Plötzlich habe ich mir eine Oberfräse oder Stichsäge besorgen müssen. Dann habe ich spezielle Aufsätze für meine Arbeiten benötigt. Das ist immer so weitergegangen und schien nie aufzuhören.»
Der Bürogummi hat keine Ahnung, wie er mit den Neuanschaffungen umzugehen hat. Von «harter Knochenarbeit» ist die Rede. «Etwa vier Monate lang habe ich Zeit und Geld investiert, aber mit der eigentlichen Arbeit hatte ich noch nicht einmal begonnen. Ich habe echt viel Geduld üben müssen. Aber es ist nötig gewesen, sonst hätte der Umbau in einer Katastrophe geendet.»
Im Juni 2018 ist es soweit: Baubeginn. Martin legt los.
Kinobau im Vaterschaftsurlaub
Der Familienvater fängt mit der Decke an. Sie muss schwarz angestrichen und die Abflussrohre durch eine Abkofferung – einer Art Kranz um die Decke herum – versteckt werden. Dort laufen auch die Kabel durch, die den Beamer und die hinteren zwei Lautsprecherpaare – ein Klipsch-Paar auf Ohrhöhe und ein zweites Klipsch-Paar für die Höhen – mit dem Receiver hinter der Leinwand verbinden.
Martin verbaut ein Auro-3D-Setup.
Im Oktober kommt auch sein drittes Kind zur Welt. Martin nutzt die Gunst der Stunde: Er bekommt vier Wochen Vaterschaftsurlaub. «Das ist mein Zeitfenster gewesen», sagt Martin und nippt an seiner Adler-Bräu-Bierflasche.
Die Leinwand, die über einen selbstgebastelten Holzrahmen mit Velours-Beflockung gespannt ist, hängt er an der selbstgebauten Gipskartonwand – einer Verkleidung vor dem unbehandelten Mauerwerk. Zwischen Verkleidung und Mauerwerk liegen etwa 60 Zentimeter. Genug Platz für den Receiver, zwei Höhen-Lautsprecher, zwei Subwoofer, ein Center-Lautsprecher, ein Lautsprecherpaar für Sound von links und von rechts sowie jede Menge Kabel. Alles Marke Klipsch. Ausser die Front-Left- und Front-Right-Lautsprecher. Die sind von Studer und Revox und leider nicht mehr käuflich zu erwerben.
Dann baut er das Podest: Eine Holzkonstruktion aus Grobspanplatten. Später wird die hintere Sitzreihe darauf stehen. Das Podest ist mit Mineralwolle gestopft. Das hat einen Grund: Die hinteren beiden Lautsprechersäulen, die Martin selber konstruiert hat, haben einen offenen Boden. So werden überschüssige Schallwellen direkt nach unten ins Podest reflektiert. Direkt in die Mineralwolle. Auch eine Form der Dämmung.
Auch die anderen Wände im Raum baut Martin aus Gipskarton. An den seitlichen Wänden montiert er je sechs Absorber-Panels aus Schaumstoff, die Schallwellen so schlucken, dass es im Raum nicht hallt. Die Wandfarbe entspricht genau dem Rot der Sessel.
Nach der Gipswand verlegt Martin den Vinylboden. Ein Teppich kommt gar nicht erst in Frage: Der wäre gar nicht mit dem System, mit der die Schallschutztüre die Übertragung von Schall aus oder in den Raum verhindert, kompatibel.
«Du glaubst nicht, wieviele Teppiche ich bereits angeschaut hatte, ehe ich dahinter kam», sagt Martin, «fünfzig Exemplare waren das. Mindestens.»
Das schelmische Grinsen ist zurück.
Die Nachtschicht
Die Deadline von vier Wochen reicht nicht.
Völlig übermüdet ackert er ganze Nächte hindurch; nach dem Ende des Vaterschaftsurlaubs bleibt Martin keine andere Wahl. Einfach aufhören und das Projekt für gescheitert erklären kann er nicht, denn die aufwendigen Bauten wieder abzureissen würde genau so lange dauern, wie das ambitionierte Projekt zu Ende zu bringen. Darüber hinaus hat Martin bereits mehr als 10 000 Franken und unzählige Arbeitsstunden investiert.
Aufhören? Nein. All diese Mühen konnten nicht für nichts gewesen sein.
Es gibt nur eine Richtung: Vorwärts.
Spätestens bei der Auswahl der Kinosessel liegen die Nerven blank. «In der Schweiz gibt es nur wenig Ausstellungen mit Vorführmodellen», erklärt Martin. Und die wenigen, die es gibt, genügen seinen Ansprüchen nicht. Der Informatiker hat die Wahl: Entweder für eine Sitzprobe über 600 Kilometer ins Ausland fahren und gegebenenfalls feststellen, dass der Sitz nicht taugt, oder sich alleine auf extrem subjektive Erfahrungsberichte in Internetforen verlassen, die von Menschen geschrieben worden sind, die er nicht kennt.
Martin entscheidet sich für Letzteres.
Über einen Händler in Deutschland bestellt er fünf lederne Kinosessel für insgesamt 8000 Euro. Die Lieferzeit beträgt drei Monate. «Stell dir vor», sagt Martin, seine Stimme wird höher, «du überweist eine Riesenstange Geld ins Ausland und musst dann monatelang warten, bis die Ware eintrifft, ohne zu wissen, was du genau bekommst». Martin fasst sich an den Kopf.
März 2019. Die Sitze sind da. Und sie passen. Martin fällt ein Stein vom Herzen. Voller Elan installiert er sie, setzt sich hin, durchstöbert seine Filmdatenbank – das ganze System hat er über eine Nvidia Shield mit seinem NAS verbunden; die Filme verwaltet Martin via Plex – und schaut den ersten Film im eigenen Kino.
«Interstellar».
Der Blick zu den Sternen
Martin lehnt sich zurück und denkt kurz nach. Das Problem bei solchen Projekten sei, so der Mann mit dem Captain-America-Shirt, dass es keine Anleitung gebe und keiner einem zeige, wie’s geht. Zudem sei es wichtig, halb- oder gar ganz missglückte Arbeiten von Neuem zu beginnen, statt sie einfach stehen zu lassen.
«Sei bereit, Lehrgeld zu zahlen. Eine Menge Lehrgeld», eine Lektion, die Martin hat alleine lernen müssen, «darum möchte ich anderen Kino-Enthusiasten dabei helfen, ihr eigenes Home Cinema zu bauen». Falls du dich angesprochen fühlst: Erreichen kannst du Martin via E-Mail unter cinema@martinfeusi.com.
«Dann gibt’s noch jene Ideen, die einem erst in den Sinn kommen, wenn man schon mitten im Projekt ist. Ambilight zum Beispiel», sagt Martin. Er deutet auf die Leinwand: Ein LED-Band wirft zum Bild passende Lichter auf die dahinterliegende Gipswand. Die Lichtfarben passen sich den Farben an, die gerade auf der Leinwand zu sehen sind.
«Zum Glück hatte ich wenigstens fürs Ambilight eine Anleitung», sagt er und schmunzelt.
«Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, was mich das ganze Projekt gekostet hat. Sonst hätte ich Vögel gekriegt. Sicher mehr als 20 000 Franken». Wieder sein Grinsen. «Ich meine aber, dass sich jeder einzelne Rappen gelohnt hat.»
Fertig ist das Projekt noch nicht. Er hat immer noch hunderte Fragen. Und hunderte Ideen. Der Familienvater blickt zur Decke hoch. Er könnte dort dutzende kleine LED-Lämpchen installieren. Martin nimmt den letzten Schluck aus seiner Flasche Adler Bräu.
«Sterne wären auch noch was.»
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»