Douglas Engelbart: Mehr als der Vater der Maus
Ratgeber

Douglas Engelbart: Mehr als der Vater der Maus

Kevin Hofer
24.6.2020

Douglas Engelbart und seine Erfindungen sind zentral dafür, wie wir heute Computer benutzen. Dem Vordenker verdanken wir die Maus und auch die Entwicklung des Internets und grafischer Oberflächen hat der Bauernjunge aus Portland vorangetrieben.

Das Jahr 1961 ist ein Jahr der grossen Ereignisse. Währenddem in Berlin mit dem Bau der Mauer begonnen wird und damit neue Grenzen einbetoniert werden, werden sie an anderen Orten durchbrochen: Juri Gagarin wird an Bord der Wostok 1 der erste Mensch im Weltraum. Der frisch gewählte US-Präsident John F. Kennedy will mit seiner Politik der New Frontier die Rassentrennung in den USA aufheben.

Für weitaus weniger Aufsehen sorgt Douglas Engelbart. Er sitzt eines morgens 1961 in einem Meeting zu Computergrafik am Stanford Research Institute – kurz: SRI – in Menlo Park, Kalifornien. Dabei überlegt er sich, wie er die Arbeit an Computern effizienter machen kann. Engelbart hat bereits eine grafische Benutzeroberfläche vor Augen, über die Computer gesteuert werden. Ihm kommt in den Sinn, dass zwei Räder, die über einen Tisch gezogen werden, die Lösung sein könnten. Ein Rad dreht sich vertikal, das andere horizontal. Der Computer könnte die Bewegungen der Räder verfolgen und dadurch den Cursor auf der grafischen Benutzeroberfläche bewegen. Die Idee zur Computermaus ist geboren. Eine Idee, die die Art und Weise, wie wir Computer bedienen, revolutionieren wird. Die Geschichte der Maus ist ebenfalls die Geschichte des Visionärs Engelbart, der seiner Zeit weit voraus war.

Bild: wikipedia.org
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Vom Bauernjungen zum Computervisionär

Engelbart wächst auf einem Bauernhof in der Nähe von Portland auf. Nach zwei Jahren Dienst als Radartechniker für die US-Marine auf den Philippinen im Zweiten Weltkrieg, macht er 1948 seinen Bachelor-Abschluss in Elektrotechnik an der Oregon State University. Seine Arbeit füllt ihn jedoch bald nicht mehr aus. 1951 findet er die Inspiration, die den Rest seines Berufslebens bestimmen sollte.

Er macht sich Gedanken über seine Lebensziele und wie er als Ingenieur dabei helfen kann, eine bessere Welt zu schaffen. Er liest über Computer und überlegt sich, wie sie der Menschheit helfen können, Probleme zu lösen. Engelbarts Traum ist es, mit Computern Menschen in einem Netzwerk zu verbinden. So könnten sie Informationen in Echtzeit austauschen und aktualisieren. Er kombiniert diese Idee einer kollaborativen Software mit seiner Erfahrung bei der Interpretation von Radarschirmen. Dadurch entsteht seine Vision von vernetzten Computern mit einer grafischen Benutzeroberfläche.

Was aus heutiger Perspektive selbstverständlich erscheint, ist Anfang der 50er Jahre für die meisten unvorstellbar. Computer sind raumfüllende Maschinen, die nicht wirklich mehr können als heutige Schultaschenrechner. Informationen ein- und ausgeben lässt sich nur per Lochkarte. In dieses Feld tritt Engelbart 1955 mit seiner Promotion an der University of California, Berkeley in Elektrotechnik ein. Später nimmt er eine Stelle am Stanford Research Institute – heute SRI International – an.

Bild: wikipedia.org
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Die Maus

Etwas mehr als ein Jahr nachdem Engelbart die Idee zur Maus hat, erhält er ein Forschungsstipendium am SRI. Der Titel seiner Forschungsinitiative: «Augmenting Human Intellect». Er stellt sich Personen an hochleistungsfähigen, interaktiven Bildschirmarbeitsplätzen vor, die Zugang zu einem riesigen Online-Informationsraum haben, in dem sie an wichtigen Problemen zusammenarbeiten können. Zugang dazu soll jedermann haben. Er stellt ein kleines Forschungsteam zusammen und richtet ein Labor ein.

Inzwischen gibt es mehrere Lösungen für das Bewegen eines Cursors und die Auswahl auf einem Bildschirm. Verlässliche Daten, welches Eingabegerät denn am effizientesten ist, fehlen jedoch. Engelbart erhält von der NASA einen kleinen Zuschuss, um dieser Frage nachzugehen.

Das Forschungsteam sammelt die damals besten Zeigegeräte zum Vergleich und baut einige hauseigene Prototypen, die sie ebenfalls testen. Darunter ist auch die Maus. Der leitende Ingenieur Bill English baut den Prototypen nach Engelbarts Notizen. Die erste Maus ist ein Holzblock mit zwei Rädern unten und einem Knopf oben drauf.

Bild: wikipedia.org
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Die Maus gewinnt den Vergleich gegen Joystick, Fusspedal, Lichtstift und weitere Konkurrenten haushoch. Im weiteren Verlauf der Forschungsinitiative «Augmenting Human Intellect» gehört die Maus zur Standardausrüstung. 1967 stellt das SRI den Patentantrag unter dem Namen «x,y position indicator for a display system», 1970 wird dem Antrag stattgegeben. Daran, wer auf den Namen Maus kommt, kann sich Engelbart nicht mehr erinnern. 2004 sagt er jedoch in einem Interview, dass er erstaunt ist, dass der Name Maus noch heute bestand hat.

Die Mutter aller Demos

Bild:screenshot youtube
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Die Maus ist jedoch nur ein kleines Stück in der grossen Vision von Engelbart. Sein Ziel ist es, die Art wie wir zusammenarbeiten zu revolutionieren. Er sieht den Computer als ein neues Medium, um den Stand der Technologie in der Wissensarbeit voranzutreiben. Aufgrund der damals verfügbaren Technologie erfordert seine Forschungsagenda, dass sein Team an allen Fronten an die Grenzen des Machbaren geht. Es muss die Grenzen der Display-Technologie und des interaktiven Rechnens sowie der Mensch-Computer-Schnittstelle erweitern. Dazu gehören die Einführung des Netzwerk-Computings, Wissensmanagement, digitale Bibliotheken, computergestütztes Software-Engineering, Client-Server-Architektur, die Maus und so weiter. Engelbarts Vision erfordert auch die Erfindung völlig neuer organisatorischer Konzepte und Methoden an der menschlichen Front.

1968, im Jahr der sozialen Revolution, zeigt Engelbart seine Computer-Revolution. Statt auf der Strasse wie die Anhänger der 68er-Bewegung spricht er im Dezember in San Francisco an der Fall Joint Computer Conference. Mit seiner 90-minütigen Demonstration haut er alle Anwesenden von den Socken. Denn er präsentiert beinahe alles, was modernes Computing ausmacht: Videokonferenzen, Hyperlinks, vernetzte Zusammenarbeit, digitale Textverarbeitung und selbstverständlich die Maus. Engelbarts Präsentation geht als die «Mutter aller Demos» in die Geschichte ein. Diesen Titel erhält die Präsentation jedoch erst viel später. Denn niemand, selbst das SRI nicht, scheint zu erkennen, in welchem Masse die Erfindungen unsere Arbeitsweise revolutionieren werden.

Das kollaborative Echtzeit-Computersystem, oN-Line System – kurz NLS – genannt, ist für diese Zeit kaum vorstellbar. Mit Hilfe von NLS arbeiteten Engelbart und ein Kollege, der sich in Menlo Park befindet, in einem Fenster an einem gemeinsamen Dokument. Dabei nutzen sie Maus und Tastatur. Gleichzeitig hält Engelbart in einem anderen Fenster die weltweit erste öffentliche Computer-Videokonferenz.

Engelbart zeigt im Grunde genommen bereits 1968 die heutige Arbeitswelt. Das zu einer Zeit, in der noch nicht einmal die Hälfte aller Übertragungen im Fernsehen in Farbe ist.

Das Aus bei SRI und ein Deal mit Apple

Die Anwesenden und die Fachpresse sind begeistert von Engelbarts Präsentation. Dieser setzt seine Forschungen fort, baut immer raffiniertere Eingabe- und Anzeigegeräte und verbessert die grafische Benutzeroberfläche. Die Präsentation an der Fall Joint Computer Conference und damit verbunden die Tragweite von Engelbarts Erfindungen gehen jedoch schnell vergessen. Engelbart gelingt es nicht, das SRI, Investoren oder andere potenzielle Geldgeber von seiner Vision zu überzeugen. Wohl auch deshalb kürzt das SRI sein Forschungsbudget. In der Folge wandern viel seiner Forschungsmitarbeiter in andere Institutionen ab, wie zum Beispiel zum Technologiekonzern Xerox.

Engelbart bleibt dem SRI treu. Zumindest solange, bis das Institut sein NLS an das Telefon-Netzwerk-Unternehmen Tymshare verkauft. Engelbart glaubt weiterhin an den Durchbruch seiner Erfindungen und wechselt zu Tymshare, um sie weiterzuentwickeln.

1980 schliesst Engelbart einen Lizenzvertrag mit den beiden Apple-Gründern Steve Jobs und Steve Wozniak über das Patent der Maus ab. Als die beiden 1984 den Macintosh präsentieren, wird Tymshare an die McDonnell Douglas Corporation verkauft. Hier arbeitet Engelbart bis 1989 an Informationssystemen und gründet dann das Bootstrap Institute, ein Forschungs- und Beratungsunternehmen.

Bild: wikipedia.org
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Erst in den 1990er Jahren werden Engelbarts Verdienste anerkannt. Das Massachusetts Institute of Technology verleiht ihm einen mit 500 000 Dollar dotierten Erfinderpreis. 2013 stirbt der Computerpionier. Seine Vision einer vernetzten Computerwelt für jedermann ist da bereits Tatsache.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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