«Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» ist der perfekte Fix für alle «Suikoden»-Fans
«Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» könnte glatt aus dem Jahr 1995 stammen. Eine lang verschollen geglaubte JRPG-Perle. So fühlt sie sich auch an – mit allem Positiven und Negativen. Wobei vor allem die tolle Welt und die Charaktere hervorstechen.
Mein erster Förderer ist ein Wolfsmensch. Die Jagdhütte ist in den Händen eines queeren Jägers. Die Kapitänin meines Wüstenschiffs ist ein weisser Hai. Der stärkste Charakter ist äusserlich ein Mädchen, innerlich aber ein jahrhundertealter Supermagier. Und sowieso kontrolliere nicht ich meine Handlungen, sondern eine Gräfin, die die Strippen im Hintergrund zieht. Der Cast des JRPG «Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» ist divers und schrill. Das Schöne daran: Das ist nicht aussergewöhnlich. Bereits der spirituelle Vorgänger «Suikoden» anno 1995 hatte ähnlich vielseitige und liebenswerte Charaktere zu bieten.
Die erwähnten Charaktere sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Ganze 120 Personen kann ich im Verlauf des Spiels für meine Sache gewinnen. Dass bei dieser Anzahl Figuren nicht alle eine tiefgreifende Charakterentwicklung durchmachen, ist klar. Dennoch haben die meisten mehr Persönlichkeit als so mancher Superheld im Marvel Cinematic Universe. Ungewöhnlich ist die Geschichte aber nicht. Sie könnte, wie das Gameplay auch, aus Mitte der 90er stammen. Für Fans der «Suikoden»-Reihe ist «Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» dennoch oder gerade deswegen ein Gedicht.
Ein «Suikoden», nur mit anderem Namen
«Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» erzählt die Geschichte von Nowa. Ein junger Mann, der zu Beginn des Spiels der «Etlisweiss Watch» beitritt – einer Bürgerwehr der Gräfin Perielle der League of Nations. Während einer gemeinsamen Mission mit dem Galdean Empire unter der Leitung des jungen Seign entdecken sie ein mächtiges, altes Artefakt: eine Primal Lens. Diese Artefakte haben bereits beim Ableger «Eiyuden Chronicle: Rising» von 2022 eine grosse Rolle gespielt. Es dauert nicht lange und aus der Zankerei um die Primal Lens entsteht ein Krieg zwischen dem Galdean Empire und der League of Nations. Nowa baut in der Folge eine Revolutionsarmee in einem verlassenen Schloss auf. Seign sieht sich derweil mit einem Konflikt zwischen seinen Verpflichtungen und moralischen Werten konfrontiert. Und die junge Kriegerin Marisa befindet sich plötzlich zwischen den Fronten.
Die Geschichte von «Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» führt damit die Tradition der «Suikoden»-Reihe weiter. Das Script ist das letzte Werk des kürzlich verstorbenen Yoshitaka Murayama. Auch wenn das Storytelling nicht auf der Höhe aktueller Topspiele ist, ist die Geschichte dennoch unterhaltsam und wird mir in Erinnerung bleiben. Ebenfalls wichtig zu wissen: Genretypisch ist das Spiel linear.
Die Basis wächst mit
Damit die Widerstandsarmee schlagkräftig ist, muss sich Nowa auf die Suche nach Mitstreitenden machen. Ich bin also während des ganzen Spiels damit beschäftigt, nach neuen Charakteren für meine Basis Ausschau zu halten. Dies hat auch schon den Charme der «Suikoden»-Spiele ausgemacht. Dabei schliessen sich einige als Teil der Story an, andere kann ich einfach fragen, ob sie mitmachen wollen. Bei wiederum anderen ist es nicht ganz so einfach. Um gewisse Charaktere zu rekrutieren, muss ich etwa Minigames spielen, die nebenbei auch noch eine eigene Storyline haben. Eines davon ist ein Beyblade-ähnliches Spiel namens Beigoma. Dort muss ich gegen Kontrahentinnen und Kontrahenten mit einem Kreisel antreten.
Meine Basis verändert sich, indem ich Personen rekrutiere. Bei der Architektin kann ich Gebäude bauen. Dafür sind aber entweder Personen oder Ressourcen nötig. Ressourcen finde ich in Dungeons oder indem ich Charaktere auf Gildenmissionen schicke. So errichte ich etwa einen Shop für Gegenstände oder Runen – der Magie in der Welt von «Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes». Aber auch ein Hotel, in dem ich schlafen kann oder ein Restaurant, das als Austragungsort von Kochduellen fungiert, stehen zur Verfügung. Das Spiel bietet viel Ablenkung abseits der Hauptstory, aber nicht so viel, dass ich damit nicht weitermache.
Wunderschöne Präsentation in Bild und Ton
Bin ich mal nicht mit dem Rekrutieren neuer Charaktere oder mit einem der Minigames beschäftigt, mache ich in der Story weiter. Dort erkunde ich Dungeons, Wüsten, Wälder oder Minen und muss zwischendurch Schalterrätsel lösen. Ich kann mich an den erkundbaren Landschaften gar nicht sattsehen. Sie sind allesamt liebevoll gestaltet und im schicken Retro 2,5D-Stil mit Blur-Effekt gehalten.
Die wunderbare Präsentation wird durch einen genauso tollen Soundtrack ergänzt. Jeder Ort hat seine eigene Musik, die seinen Geist wiedergibt. Der Ort Hishan, der an alte chinesische Städte erinnert, wartet etwa mit Erhu-Klängen, einem Violine-ähnlichen Instrument, auf.
Altes Kampfsystem, nervige Schlachten
Beim Kampfsystem ist ebenfalls das Vorbild «Suikoden» erkennbar. Die zufälligen Kämpfe laufen rundenbasiert und mit bis zu sechs aktiven Charakteren ab – drei in erster Reihe, drei in zweiter. Daneben kann ich noch einen Supportcharakter aufnehmen, der mir Buffs gibt. In den Kämpfen kann ich angreifen, Spezialattacken oder Magie ausführen, verteidigen oder Gegenstände nutzen. Je nach Waffenart – lang, mittel oder kurz – platziere ich meine Teammitglieder in der vorderen oder hinteren Reihe. Bei gewissen Bosskämpfen gibt es Gimmicks. So kann ich mich etwa hinter Steinen verstecken oder eine Harpune abfeuern. Das ist nett gedacht, ich hab es aber selten genutzt.
Nach den Kämpfen erhalte ich Erfahrungspunkte und die Charaktere steigen in Stufen auf. Sollte ich von der Story gezwungen werden, ein Mitglied in die Party aufzunehmen, das weit unter meinem Level ist, sorgt das System dafür, dass dieses schnell aufsteigt. So werden mir lange Grindsessions erspart.
Bei so vielen Personen in der Party ist es manchmal mühsam, Befehle zu geben. Ein Auto-Kampf-Feature erleichtert dies. Im Menü kann ich auch definieren, was beim Auto-Kampf erlaubt ist und was nicht. So kann ich etwa Magie ausschliessen. Trotz der neuen Features wirkt das System insgesamt altbacken.
Generell hätte ich mir weniger Schlachten gewünscht. Ähnliches gab es bereits bei «Suikoden» und ich mochte es nur bedingt. Die Schlachten sind ähnlich wie rundenbasierte Strategiespiele aufgebaut. Ich gebe meinen Einheiten auf einem Schachbrett Befehle und lasse sie gegen die Gegner antreten. Den Grossteil der Zeit kann ich aber nichts machen. Ich sage meiner Armee, was sie zu tun hat und danach verfolge ich den Kampf mehrere Minuten, ohne eingreifen zu können. Das macht keinen Spass.
Auch die aus «Suikoden» bekannten Duelle sind wieder mit von der Partie. Hier musst du bestimmte Aktionen aufgrund der Aussage der Gegner ausführen. Neu werden dazwischen Animationen gezeigt, was die Kämpfe cineastischer aussehen lässt.
«Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» ist seit dem 23. April für Nintendo Switch, Playstation 4, PlayStation 5, PC, Xbox One und Xbox Series X/S erhältlich.
Fazit
Eine Perle mit Ecken und Kanten
«Eiyuden Chronicle: Hundred Heroes» ist ein super Throwback-JRPG. Von der ersten Minute an fühle ich mich als alter «Suikoden»-Hase zuhause. Die quirligen Charaktere, spannenden Minigames, träumerischen Landschaften und der eingängige Soundtrack transportieren mich zurück in die 90er Jahre.
Weniger gelungen sind die Schlachten, die mich meist nur genervt haben. Die Geschichte ist zwar nicht weltbewegend, aber dennoch spannend und nimmt sich «Suikoden» zum Vorbild. Beim Kampfsystem hätte ich mir hingegen mehr Neuerungen gegenüber dem spirituellen Vorgänger gewünscht. Es wirkt altbacken.
Pro
- Geniale Präsentation und Soundtrack
- Schrille Charaktere
- Tolle Minigames
- Charme der «Suikoden»-Reihe perfekt eingefangen
Contra
- Schlachten sind ein nerviges Gameplayelement
- Altbackenes Kampfsystem
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.