
Kritik
«Atomfall» im Test: Spannendes Konzept, holprige Umsetzung
von Philipp Rüegg
Das Openworld-Game macht durchaus Spass. Leider ist das Leben als Weltraum-Söldner in «Everspace 2» mit zu viel Fleiss und zu wenig Ausbeute verbunden.
Seit «Freelancer» warte ich darauf, dass mich eine Weltraum-Simulation wieder richtig packt. 23 Jahre ist das nun schon her. Nah dran kam vor ein paar Jahren «Rebel Galaxy Outlaw». Aber auch das wurde zu schnell repetitiv. Viel Hoffnung habe ich darum auf «Everspace 2» gesetzt. Schon am ersten Teil hatte ich viel Freude. Nur der Roguelike-Aspekt, durch den ich immer wieder von vorne anfangen musste, passte mir nicht so recht. Genau diesen tauscht «Everspace 2» nun gegen eine offene Spielwelt mit klassischem Fortschrittssystem. Perfekt, oder? Nicht ganz.
Im ersten «Everspace» kämpfst du dich von Sternensystem zu Sternensystem und versuchst, so lange zu überleben wie möglich. Stirbst du, beginnst du wieder vorne. Lediglich kleine Verbesserungen und neue Schiffe, die du dir nach Ewigkeiten kaufen kannst, erleichtern das Spielerlebnis. Die langsame Progression behält Teil zwei bei, sonst hat sich viel verändert.
Sechs riesige Sternensysteme mit über 100 von Hand entworfenen Arealen warten darauf, erkundet zu werden. Meine Neugier kennt keine Grenzen. In den ersten Stunden hindern mich versperrte Sternenportale daran, in die anderen Systeme zu reisen. Später kann ich jeden Winkel der Galaxie frei erkunden und mich von viel zu starken Gegnern innerhalb von Sekunden in tausend Stücke schiessen lassen. Aber das ist kein Problem, weil ich gleich am letzten Checkpoint, oder wo ich gespeichert habe, weitermachen kann.
Auch das erste «Everspace» hat eine Story. Ich kann mich an nichts davon erinnern. So wird es mir wohl auch im zweiten Teil ergehen. Nach über 15 Stunden bin ich zwar noch nicht allzu weit fortgeschritten, aber Spannendes ist bisher nicht passiert.
Die Geschichte dreht sich um den Klonpiloten Adam Roslin (den Namen musste ich nachschauen) und seine wachsende Crew. Adam ist auf der Flucht vor irgendwelchen Bösen. Dabei schliesst er Allianzen mit den lokalen Fraktionen, um einen epischen Raubüberfall zu planen. Das resultiert meist darin, dass ich von A nach B fliege und hiesigen Kartellbossen oder sonstigen Oberhäuptern Wünsche erfülle, bis sie mir geben, wofür ich gekommen bin. Was genau? Keine Ahnung.
Die Geschichte wird hauptsächlich über vertonte Dialoge während der Missionen erzählt. Dazu erhalte ich ein kleines Bild der Person, die gerade spricht. Ab und zu gibt es Zwischensequenzen aus halb-statischen Bildern. Hier war definitiv wenig Budget vorhanden.
Meine Crewmitglieder bleiben genauso blass wie ihre austauschbaren Profilbilder. Kommt hinzu, dass sie, wie viele der Nebenfiguren, emotionslos vertont sind. In einer Szene wird das Schiff meines Kamerads kurz vor dem rettenden Sprung durchs Portal aus dem Hinterhalt lahmgelegt. Der darauffolgende Satz: «Oh Mist, ich kann mich nicht mehr bewegen», klingt, als würde der Sprecher nebenbei die Zeitung lesen. Einzig beim Schiffscomputer sorgt ein David-Attenborough-Verschnitt für etwas Pep.
«Everspace 2» spiele ich aber auch nicht für die Geschichte. Ich will neue Galaxien entdecken, bessere Waffen finden und Aufträge erledigen, um mir mit der Belohnung mächtige Schiffe zu kaufen. Ich will hinterhältige Piraten jagen und mir schweisstreibende Duelle mit ihnen liefern. Das bietet «Everspace 2» auch. Sobald das Interface nur noch aus roten Warnpfeilen besteht, die mir Feinde aus allen Himmelsrichtungen anzeigen. Mir Drohnen im Nacken sitzen und ein mächtiges Kampfschiff eine Breitseite Raketen auf mich abfeuert, während im Hintergrund ein von der Sonne in gleissendes Blau getauchter Planet als stiller Zeuge dieser epischen Schlacht beiwohnt. In diesen Momenten rast mein Puls und ein verkrampftes Grinsen ziert mein Gesicht.
Bleiben wir noch beim Positiven. In «Everspace 2» kannst du dein Schiff nach Lust und Laune anpassen. Es gibt zahlreiche Waffen, Schilde, Generatoren und Gadgets, die individuelle Spielstile erlauben. Ich kann mir einen trägen fliegenden Panzer zusammenbauen oder eine flinke Wespe, die nichts einsteckt, aber enorm austeilt. Fast die komplette Ausrüstung lässt sich mit gesammelten Ressourcen verbessern und mit Spezialfähigkeiten versehen. Hinzu kommen Upgrades für Adam und seine Crew, wie schnellere Reparatur durch die Nanobots oder Bonusschaden beim Waffenwechsel.
Auch die Auswahl der Schiffe ist mit neun Modellen und je vier Unterklassen mehr als ausreichend. Schade ist nur, dass es viel zu lange dauert, bis das Spiel in Fahrt kommt. Erst nach 15 Stunden habe ich mir endlich mein erstes neues Schiff gekauft. Ein Liberator-B3. Dort kann ich sogar drei Waffen ausrüsten. Damit machen die Kämpfe deutlich mehr Spass als mit meinem alten Lotterkahn. Ein Slot mehr bedeutet, dass eine Waffe praktisch immer einsatzbereit ist. Bei zweien muss ich mich regelmässig zurückziehen, bis sie wieder schussbereit sind.
Bis hierhin habe ich praktisch immer mit der gleich langweiligen Kombination aus Pewpew-Laser und futuristischer Minigun gespielt. Das ist auf Dauer langweilig. Ein Spiel wie «Everspace 2» lebt für mich entweder durch einen motivierenden Upgrade-Loop, spannende Welten, die ich entdecken kann oder fordernde Duelle. Gänzlich überzeugt hat mich das Spiel bisher in keinem Bereich.
«Everspace 2» ist ein umfangreiches Spiel. Laut Hersteller benötigt die Hauptgeschichte mit wenigen Nebenaufträgen über 30 Stunden. Die vielen Zusatzaufgaben sollen noch mal 60 Stunden obendrauf legen. Ein typischer Auftrag sieht so aus, dass ich in ein bestimmtes Sternensystem fliege und dort einem Händler aus der Patsche helfe, indem ich eine Gruppe Piraten zu Weltraumschrott verarbeite.
Oder ich muss ein Paket sicherstellen, das hinter einer verschlossenen Tür in einer automatisierten Handelsstation liegt. Die Türe bekomme ich auf, indem ich einen Energiekern beim entsprechenden Türmechanismus einsetze. Solche kleineren «Rätsel» gibt es oft. Meist geht es primär darum, den richtigen Schalter oder Interaktionsgegenstand zu finden.
Leider ziehen sich diese Suchen oft minutenlang hin. Bei meiner letzten Aufgabe musste ich mal wieder eine Laserbarriere umgehen. Über 15 Minuten bin ich den Level abgeflogen, auf der Suche nach Hinweisen. Kurz bevor ich aufgeben wollte, habe ich gemerkt, dass sich auf der Rückseite der Barriere zwei Terminals befinden. Weil ich nicht nahe genug daran vorbeigeflogen bin, sind sie nicht auf meinem Radar aufgetaucht. Seufzend schiesse ich auf sie und die Barriere verschwindet. Solche Momente nehmen mir die Lust am Weiterspielen.
Dass es auch anders geht, zeigen Bosskämpfe wie jenen gegen einen gesetzlosen Bloodstar-Piraten. Dessen Schiff hat einen zusätzlichen Schild, den auch meine stärksten Energiewaffen nicht überwinden können. Dann bemerke ich den ganzen Weltraumschrott, der verdächtig in der Nähe herumschwebt. Indem ich ihn mit meinem Traktorstrahl heranziehe und auf das feindliche Raumschiff schleudere, kann ich den Schild kurzfristig ausser Gefecht setzen. Danach habe ich wenige Sekunden Zeit, aus allen Rohren zu feuern, bis der Schild wieder voll ist und mir neue Drohnen auf den Leib rücken. Hier muss ich für einmal umdenken. Das bietet Abwechslung.
Und wenn ich für einmal nicht im Weltall, sondern auf einem Planeten unterwegs bin, freut sich mein Auge. Gefechte in Bodennähe sind enger. Es gibt weniger Ausweichmöglichkeiten. Einige Missionen führen mich gar ins Innere von Minen. In so einer treffe ich einen alten Bekannten von Adam. Dieser wurde von einem gemeinsamen Widersacher in die Falle gelockt und dort von riesigen Spinnen gefangengenommen. Die möchten auch mich in eine klebrige Deckenleuchte verwandeln. Mein Pulslaser ist da anderer Meinung und tapeziert die Höhlenwände mit grünem Schleim.
Studio Rockfish wirkt bemüht, für Abwechslung zu sorgen. Für mich steckt in «Everspace 2» dennoch zu viel Fleissarbeit. Das Spiel kommt nur langsam in Fahrt und besondere Momente sind zu rar gesät.
«Everspace 2» ist ein verdammt hübsches Spiel. Das gilt bereits für den ersten Teil. Die unendlichen Weiten des Weltraums ansehnlich zu gestalten, ist nicht einfach. Rockfish gelingt das Kunststück mit einer Mischung aus band-designten Levels und dem geschickten Einsatz von Licht. Mal ist es das blaue Schimmern einer Aetheum-Kristall-Mine, mal prangt ein gespaltener Planet im Hintergrund oder ein oranger Nebel legt sich wie ein unheimlicher Vorhang über den Level. Mit einem Klick auf die Taste «H» kann ich das HUD, also das Interface, deaktivieren und perfekte Screenshots machen. Alternativ gibt es auch einen Fotomodus. «Everspace 2» ist ein echter Wallpaper-Generator. Aus fast jeder Szene lässt sich ein neuer, schöner Bildschirmhintergrund kreieren. Wenn Rockfish noch den HDR-Modus hinbekommt, der im aktuellen «Experimentell»-Status noch unbrauchbar ist, dann haut mich das Spiel erst recht aus den Latschen.
Ich bin etwas enttäuscht. Ich dachte, «Everspace 2» wird das perfekte Spiel für mich. Eine frei zu bereisende Spielwelt, ein umfangreiches Waffen- und Upgradesystem, freischaltbare Raumschiffe und spannende Missionen sollten den perfekten Spieleloop bieten. Leider fällt «Everspace 2» besonders bei letzterem Punkt ab. Das heisst, es gibt durchaus interessante Missionen, nur muss ich dazwischen zahlreiche langweilige Sammelaufgaben absolvieren. Die Story ist bisher auch belanglos und die gelangweilten Sprecherinnen und Sprecher machen es nicht besser.
Mit 15 Stunden Spielzeit liegt zwar noch viel vor mir, aber der Spielfluss ist zäh. Bis ich endlich mein erstes neues Raumschiff gekauft habe, hätte ich mehrfach fast aufgehört. Weil ich aber diesen Test schreiben wollte, bin ich drangeblieben. Und meist kam dann auch eine neue Waffe, oder eine aufregende Mission, die mich wieder motiviert hat.
«Everspace 2» macht vieles richtig. Die Kämpfe sind fordernd, verschiedene Spielstile sorgen für Abwechslung und der Weltraum hat selten schöner ausgesehen. Da holt auch das James-Webb-Teleskop nicht mehr raus. Wenn nur die Zeit zwischen den Höhepunkten etwas kürzer wär, und mit besserer Ausrüstung nicht so gegeizt würde, ich würde das Spiel verschlingen.
Mittlerweile bin ich weit genug fortgeschritten, dass ich definitiv weiterspielen werde. Ob es bis zum Abspann reicht, wage ich jedoch zu bezweifeln. Gute Openworld-Weltraumspiele sind aber eine rare Spezies. Darum lohnt es sich durchaus, «Everspace 2» näher kennenzulernen.
«Everspace 2» ist erhältlich für PC und wurde mir von Rockfish zur Verfügung gestellt.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.