Fakt oder Mythos? Vertikal montierte Grafikkarten leisten weniger
Ratgeber

Fakt oder Mythos? Vertikal montierte Grafikkarten leisten weniger

Kevin Hofer
21.3.2019

«Vertical GPU Brackets – Why NOT To Use Them!» titelt HardwareCanucks in einem Youtubevideo. Das Fazit: Vertikal montierte Grafikkarten laufen heisser, und takten deshalb etwas langsamer. Das will ich genau wissen und mache den Test aufs Exempel.

So eine vertikal montierte GPU sieht geil aus. Es ist mir seit langem ein Rätsel, wieso Grafikkarten-Hersteller die Lüfterseite der Karten so aufwendig gestalten, obwohl man die bei normalem Einbau überhaupt nicht sieht. Auf der «Rückseite» ist meist nur das PCB zu sehen. Viele Hersteller machen sich nicht mal die Mühe, eine Backplate mitzuliefern.

Öde: Bei meiner Grafikkarte ist nur das PCB zu sehen.
Öde: Bei meiner Grafikkarte ist nur das PCB zu sehen.

Die Prämisse

Wieso soll eine vertikal eingebaute Grafikkarte langsamer laufen? Der vorgebrachte Grund leuchtet ein: Weil sie näher am Seitenfenster ist, können die Lüfter weniger Luft ziehen, um die Karte zu kühlen. Ab einer gewissen Temperatur – das ist je nach Grafikkarte unterschiedlich, aber bei Desktopkarten ist 80 Grad Celsius ein Richtwert – drosselt sich die Grafikkarte selbst. Das nennt sich thermische Drosselung oder im Englischen thermal throttling.

Das will ich selbst ausprobieren und besorge mir zwei Halterungen zur vertikalen Montage. Als erste wähle ich die Fractal Flex VCR-25. Der Vorteil dieser Halterung ist, dass ich sie in meinem Fractal Define R6 Gehäuse ganz einfach einbauen kann, da ich vertikale Ausgänge auf der Rückseite habe und bereits Löcher unten am Gehäuse zur Befestigung gemacht sind.

Als zweite nehme ich die CableMod Verti PCI-e Bracket. Diese Halterung ermöglicht die Montage von vertikalen GPUs in Gehäusen, die keine vertikalen Ausgänge auf der Rückseite haben. Die Karte wird mit der Halterung vor den horizontalen Ausgängen montiert und versperrt diese dadurch. Das Teil ist also nichts für Leute, die mehr als einen PCI-Steckplatz brauchen. Der Vorteil der Cable-Mod-Halterung ist, dass die GPU weiter hinten im Gehäuse montiert wird und die Lüfter dadurch besser Luft ziehen können. Die Halterung macht die Karte jedoch um 3.1 Zentimeter länger.

Wie ich beim Abmessen feststelle, passt die Halterung von Cable Mod wegen meiner Wasserkühlung nicht in mein Case. Ich entschliesse mich deshalb dazu, sie Kollege Raphael Knecht für den Test zu überlassen. Leider passt sie auch bei ihm nicht. Philipp Rüegg hat ebenfalls keinen Erfolg, da bei ihm die Soundkarte, den Platz versperrt. Mist, was jetzt? Genau, wir haben ja noch den Streaming-PC, den ich für Phil zusammegebaut habe. Oh wait, dabei handelt es sich um ein Mini-ITX-Gehäuse. Da kann ich die Halterung definitiv nicht befestigen. Egal, ich mache den Test nur mit der Fractal Flex VCR-25. Ich habe bereits eine Idee, was ich mit der Halterung von Cable Mod anstellen kann. Ziehst du die Cable-Mod-Halterung in Betracht, solltest du dir der engen Platzverhältnisse bewusst sein.

Jetzt will ich aber die Fractal-Halterung montieren.

Knapp bemessen

Beim Fractal Flex VCR-25 handelt es sich nur um ein PCI-Riser-Kabel mit Halterung für unten. Dein Gehäuse muss bereits vertikale Aussparungen auf der Rückseite haben, sonst kannst du die Karte nicht montieren.

Die Montage sollte ganz einfach sein. Mit Betonung auf sollte, denn in meinem Fall gestaltet es sich nicht ganz so einfach. Nebst dem Kabel sind zwei Abstandshalter und zwei Schrauben im Lieferumfang. Für die Abstandshalter habe ich in meinem Gehäuse bereits zwei Löcher. Ich befestige diese und montiere den Fractal Flex VCR-25 mit den Schrauben auf den Abstandshaltern. Jetzt muss ich nur noch meine GPU einstecken. Es klappt nicht. Sie will einfach nicht auf den PCI-Steckplatz passen.

Da fehlt nicht viel, aber trotzdem fehlen ein paar Millimeter, sodass ich die Karte einstecken kann.
Da fehlt nicht viel, aber trotzdem fehlen ein paar Millimeter, sodass ich die Karte einstecken kann.

Grafikkarten sollten eigentlich immer ganz leicht in den Slot passen. Wenn ich murksen muss, stimmt etwas nicht. Bei genauerem Hinschauen, stelle ich fest, dass ich die Karte nicht weit genug nach links schieben kann, die Gehäuserückseite ist im Weg. Was tun? Ich löse die Halterung etwas und versuche sie mehr gegen rechts zu ziehen. Das bringt leider auch nichts.

Wieso Fractal Design nicht breitere Löcher macht, damit die Halterung weiter verschoben werden kann, ist mir ein Rätsel. Nicht jede Grafikkarte ist genau gleich beschaffen und bei meiner ist das Metallende etwas breiter als von Fractal angedacht. Zum Glück bastle ich gerne. Mit einer Schlosserfeile bewaffnet, mache ich mich daran, die beiden Befestigungslöcher der Halterung zu vergrössern. Nach fünf Minuten ist das Loch breit genug und ich kann endlich die GPU einstecken.

Was nicht passt, wird passend gemacht.
Was nicht passt, wird passend gemacht.

Die Karte ist so leicht schräg zum Gehäuseverlauf. Hinten habe ich etwa drei Zentimeter zur Scheibe und vorne einen Zentimeter spatzig. Nicht gerade viel Raum für die GPU-Lüfter, um sich Luft zu ziehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich das negativ auf die Kühlleistung auswirkt.

Nicht viel Platz vor der Scheibe.
Nicht viel Platz vor der Scheibe.

Das Testszenario

Ich teste mit folgender Hardware:

  • Gehäuse: Fractal Design R6
  • Grafikkarte: Gainward GeForce RTX 2070 Phoenix GS
  • CPU: AMD Ryzen 5 2600
  • Kühlung: Zwei Corsair LL140 Lüfter vorne, ein Corsair LL140 Lüfter unten, ein Corsair LL140 Lüfter hinten, zwei Thermaltake Riing 120 mm Lüfter oben in Push-Konfiguration mit Alphacool NexXxoS ST30 Full Copper 240mm. Die CPU wird mit einem Alphacool Eisblock XPX gekühlt
  • Halterung: Fractal Flex VCR-25

Ich verwende zwei Programme: GPU-Z und den Heaven Benchmark. Damit ich einen Vergleichswert habe, mache ich den Test je zweimal. Einmal mit horizontal montierter GPU und einmal mit vertikal montierter. Zuerst öffne ich GPU-Z und logge die Daten. Danach starte ich den Heaven Benchmark und lasse diesen im Vollbild für zwei Stunden laufen. Bei der Qualität wähle ich Ultra, Tessellation stelle ich auf Extreme und Anti-aliasing auf x8. Stereo 3D und Multi-Monitor lasse ich deaktiviert. GPU-Z zeichnet im Hintergrund die Temperatur und Taktfrequenz der GPU auf. Selbstverständlich mache ich den Test mit angebrachtem Seitenpanel.

Der Vergleichstest

Jetzt geht’s endlich ans Eingemachte. Ich mache zuerst den Test mit horizontal montierter Grafikkarte. Bei meinem Gehäuse lässt sich die Fronttür öffnen. Das verbessert die Luftzufuhr. Den Test mache ich die erste Stunde mit geöffneter Fronttür und schliesse diese für die zweite Stunde.

Der Heaven Benchmark simuliert im Loop gut die Anforderungen bei zweistündigen Gaming-Sessions.
Der Heaven Benchmark simuliert im Loop gut die Anforderungen bei zweistündigen Gaming-Sessions.

Nach einer kurzen Aufwärmphase von fünf Minuten pendelt sich die Temperatur der GPU bei 62 Grad Celsius ein. Diese Temperatur hält sie während der ganzen ersten Stunde mehr oder weniger konstant. GPU-Z loggt die Temperatur jede Sekunde. Ausreisser gibt es sehr wenige, und wenn, dann fällt oder steigt die Temperatur nur um ein Grad für eine Sekunde. Ausreisser ist bei diesen Unterschieden etwas gar hoch gegriffen. Es handelt sich lediglich um leichte Schwankungen.

Nach einer Stunde schliesse ich die Fronttür. Nach zwei Minuten pendelt sich die Temperatur bei 63 Grad Celsius ein. Es verhält sich wie zuvor: Die Temperatur bleibt mit Ausnahme weniger, einsekündiger Schwankungen konstant.

Auch in Bezug auf die Leistung stelle ich keine Abnahme fest. Meine GPU bringt während der zwei Stunden um die 1900 MHz hin.

Sieht geil aus, aber wie sieht’s mit der Leistung aus?

Optisch gibt eine vertikal montierte Grafikkarte einiges her. Erstens siehst du endlich die schöner gestaltete Seite der Karte und zweitens verdeckst du damit die untere Hälfte des Mainboards, die optisch nicht viel hergibt. Leider gehen dir durch das vertikale Montieren einige PCI-Slots flöten. Das Riser-Kabel ist nicht lang genug, um es über mehrere Karten zu ziehen. Brauchst du mehrere PCI-Slots, musst du wohl oder übel bei der horizontalen Variante bleiben.

Jetzt wird’s spannend. Ich starte erneut den Heaven Benchmark, logge die Temperatur mit GPU-Z und lasse die Fronttür offen. Nach fünf Minuten pendelt sich die Temperatur bei 62 Grad Celsius ein. Wie beim Test mit horizontaler Montage habe ich nur wenige, einsekündige Schwankungen von einem Grad während der ersten Teststunde.

Nach einer Stunde schliesse ich die Fronttür. Innert weniger Sekunden steigt die Temperatur an und pendelt sich nach zwei Minuten bei 64 Grad Celsius ein. Auch so habe ich einsekündige Schwankungen von einem Grad mehr oder weniger. Bei der Leistung sind ebenfalls keine Einbussen festzustellen: Die GPU taktet immer um die 1900 MHz.

Bei geöffneter Fronttür bemerke ich keinen Unterschied bei der Temperatur im Vergleich zur horizontal montierten Grafikkarte. Auch bei geschlossener Tür steigt die Temperatur nur ein Grad höher als beim ersten Test. Leistungseinbussen bemerke ich bei diesen geringen Temperaturunterschieden keine.

Woran mag das liegen? Dank den zwei 140-mm-Fans vorne und dem 140-mm-Fan unten kommt viel kühle Luft ins Gehäuse. Die Lüfter der GPU werden gut versorgt. Dass meine RTX 2070 mit drei Lüftern bestückt ist, hilft sicher auch. Dass die Frontlüfter einen ordentlichen Beitrag leisten, zeigt, dass bei geschlossener Fronttür die Temperatur der Grafikkarte bei vertikaler Montage höher ist als bei horizontaler Montage.

Die Karte bleibt bei mir so drin – jetzt muss ich mich nur noch ans Kabelmanagement machen.
Die Karte bleibt bei mir so drin – jetzt muss ich mich nur noch ans Kabelmanagement machen.

Die Luftzirkulation in meinem Gehäuse scheint sehr gut zu sein und dass meine CPU Wassergekühlt ist, hilft sicher auch. Die CPU läuft nicht so heiss und produziert dadurch weniger Abwärme, die die GPU zusätzlich erhitzen könnte.

Fazit

Bei mir hat die vertikale Montage der GPU keine Leistungseinbussen ergeben. Das heisst aber nicht, dass das in jedem Fall so ist. Das zeigt der Test von HardwareCanucks. Je nachdem, wie du deinen PC kühlst, kann es sein, dass die Leistung einsackt.

Sorgst du aber für genug Luftzirkulation, sollte einer vertikal montierten Grafikkarte nichts im Weg stehen. Und seien wir ehrlich: Leute, die ihre GPU vertikal montieren wollen, legen sowieso Wert auf optimale Kühlleistung.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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