Ratgeber

FAQs zum Thema Esstisch – eine Expertin antwortet

Pia Seidel
12.3.2021

Wie wähle ich einen Esstisch aus vielen? Die Innenarchitektin Neshat Compani verrät mir, wie sie vorgeht und welche «Filter» sie bei der Suche setzt.

Die Qual der Wahl zu haben, ist toll und anstrengend zugleich. Manchmal wünsche ich mir ein Gerät, das für mich wie der «Tinda-Finger» automatisch klickt und einen Match findet. Nicht etwa einen Partner, sondern den perfekten Esstisch. Die Auswahl online ist riesig. Ich will wissen, wie ich da am besten zum neuen Esstisch komme und frage bei der Expertin nach. Die Innenarchitektin Neshat Compani setzt Interior-Projekte für den privaten und öffentlichen Raum um. Sie wird engagiert, wann immer sich Leute ein Home-Styling wünschen oder aber etwas in ihrem Zuhause umbauen wollen. Neshat lebt in Basel und arbeitet in ihrem Zürcher Atelier, wo ich sie zum Gespräch treffe.

Wie gehst du vor, wenn ich dich beauftrage, für mich einen neuen Esstisch zu finden?
Neshat Compani: Als Erstes beantworte ich mir die drei W-Fragen: Wo, wer und was? Dabei gehe ich zuerst vom Raum statt vom Tisch-Design aus. Für die erste Frage nehme ich den Grundriss zur Hand. Ich überlege mir, welche Proportionen für den Essbereich geeignet sind und schaue mir an, wie der Raum materialisiert ist. Dabei spielen die vorhandenen Farben im Raum eine zentrale Rolle. Als Nächstes sind die Personen, die den Tisch benutzen werden, ausschlaggebend: Wie viele sind es? Ist es eine Grossfamilie oder ein Paar, das oft zum grossen Dinner einlädt? Im Gespräch mit dir finde ich heraus, wofür der Tisch verwendet wird.

Was machst du im Anschluss mit den Informationen?
Ich beginne mit der Recherche. Durch meine jahrelange Erfahrung und viele Messebesuche habe ich bereits viele Hersteller im Kopf, die passen könnten. Ich weiss schnell, welchen Brand ich wegen des Stils in die engere Auswahl nehmen möchte. Trotzdem bleibe ich mit jedem neuen Projekt auch offen für neue Marken oder eine individuelle Lösung von Handwerksbetrieben.

Neshat entwirft und verwirklicht neue Innenräume. Sie hat jahrelange Erfahrung in der Leitung von Bauprojekten.
Neshat entwirft und verwirklicht neue Innenräume. Sie hat jahrelange Erfahrung in der Leitung von Bauprojekten.

Nun gut, du als Profi hast es da natürlich leichter. Was mache ich mit den gewonnenen Erkenntnissen, wenn ich nur wenige Marken kenne?
Wenn Fachmessen wieder stattfinden können, empfehle ich, sie zu besuchen. Dort ist die Auswahl bereits kuratiert. Du könntest dich aber auch in einem spezialisierten Möbelgeschäft beraten lassen. Plattformen wie Pinterest und Instagram sind die einfachsten Mittel, um sich online inspirieren zu lassen. Die Krux ist dabei nur, dass dich all die Bilder verwirren können. In ihnen werden oft vollkommen unterschiedliche Ansätze verfolgt. Ein Bild zeigt einen Neubau mit reduzierten Möbeln, das nächste einen Altbau mit Antiquitäten. Das führt zu Unsicherheiten. Meine Aufgabe ist es dann, die wichtigen Punkte herauszufiltern.

Angenommen, ich habe also einige inspirierende Bilder abgespeichert. Wie setze ich als Laie solche «Filter»?
Frag dich, was die Bilder gemeinsam haben. So kannst du gezielt einen Fokus setzen. Du solltest entscheiden, was dir an den Bildern am wichtigsten ist. Damit eine harmonische Stimmung entsteht, solltest es einen roten Faden geben, der sich durch alle Räume zieht. Mach dir vor der Recherche klar, was du bereits zu Hause hast. Mach ein Foto und schau: Was habe ich für einen Boden? Und was für Wände? Welche Materialien und Farben sind vorgegeben?

Kontraste kreieren eine angenehme Raumatmosphäre.

Wenn du einen Parkettboden hast, stelle ich beispielsweise selten einen Massivholztisch darauf. Das wirkt schnell zu monoton und rustikal. Stattdessen wähle ich lieber einen farbig lackierten Tisch oder ein Modell mit einer Steinplatte, um einen Kontrast zu setzen. Ob ich dann die bunte oder natürliche Version mit der Steinplatte nehme, hängt von dir als Person ab. Bei einem Plattenboden suche ich für den Kontrast ausschliesslich nach Tischen, die aus warmen Materialien wie Holz bestehen. Im Netz gibt es viele schöne Möbelstücke. Sobald du aber den Abgleich machst, merkst du, ob sie zum Raum passen.

Farb- und Materialkonzepte sind zum Filtern am Anfang besonders wichtig.
Farb- und Materialkonzepte sind zum Filtern am Anfang besonders wichtig.

Du bist dank deiner Erfahrung stilsicher. Woher weiss ich, was gut zusammenpasst?
Die meisten Hersteller bieten Stoff-, Fliesen-, Parkettbodenmuster oder Online-Visualisierungen an. Bestelle sie dir nach Hause und arbeite damit. Erstelle haptische Collagen und halte die Einzelteile nebeneinander. Du siehst schnell, was geht und was nicht. Bei grossen Projekten im professionellen Bereich fertige ich Ein-zu-eins-Visualisierungen an. Reicht das für das Vorstellungsvermögen meiner Auftraggebenden nicht aus, klebe ich die Masse von Möbeln auf dem Boden ab. Das kann auch dir dabei helfen, Proportionen zu verdeutlichen und über zwanzig Zentimeter mehr oder weniger zu entscheiden.

Haptische Collagen sind die Alternative zum Pinterest-Board.
Haptische Collagen sind die Alternative zum Pinterest-Board.

Und die passende Form? Wie wähle ich diese aus?
Ich orientiere mich an der Raumgrösse und der Nische, wo der Tisch stehen soll. Ein rundes Modell mag hübsch sein. Ist es zu gross für dein Esszimmer, wirkt es unpassend – egal, wie schön und hochwertig es ist. In einer Nische braucht der Tisch beispielsweise einen Abstand von circa 80 bis 90 Zentimeter zu allen Wänden oder angrenzenden Möbeln, damit die Optik und die Bewegungsfreiheit stimmen.

Du hast bereits zahlreiche eigene Projekte umgesetzt. Welche Esstische sind in der Vergangenheit besonders gut angekommen?
Mit langen Tafeln mache ich bei Privatwohnungen gute Erfahrungen. Kundinnen und Kunden mögen es, wenn sie ab einer gewissen Länge einfach mal etwas auf einer der Seiten liegen lassen können. Eine Ecke nutzen sie vielleicht zum Arbeiten, die andere zum Essen.

Tischbeine können je nach Position mehr Beinfreiheit geben.
Tischbeine können je nach Position mehr Beinfreiheit geben.

Was hingegen bei runden Tischen geschätzt wird, ist, dass niemand benachteiligt sitzt. Es gibt keine «besten» Plätze. Niemand muss am Fuss sitzen. Ausserdem bevorzuge ich Tische mit eingerückten Tischbeinen. Das macht sie optisch eleganter und flexibler.

Normann Copenhagen Form (120 x 120 cm)
Esstisch
EUR2029,–

Normann Copenhagen Form

120 x 120 cm

In einem Büro kommen für gewöhnlich neutrale Tische gut an. Es muss passen, aber ich glaube, dass eine etwas mutigere Wahl die Botschaft eines Unternehmens unterstreichen kann. Mir persönlich gefallen aussagekräftige Designs besser, die über eine Büroatmosphäre hinausgehen.

Fehlen nur noch die Stühle... Kennst du Power-Duos, die immer gut zusammen passen?
Es ist schwer, hier ein Rezept zu nennen. Deshalb mache ich ein Beispiel mit dem skulpturalen Esstisch Pillar von HK Living, den ich für mein Büro ausgewählt habe. Weil er in seiner Farbigkeit so zurückgenommen ist, kann ich die Materialien bei den Stühlen wild miteinander kombinieren. Das lässt den Tisch weniger förmlich und ungezwungener erscheinen. Wäre sein Design farbig, würde es mehr dominieren. Dann würde ich zurückhaltende Stühle auswählen.

Falls der Tisch in einem förmlichen Kontext stehen soll, würde ich viermal denselben Stuhl nehmen. Dann sind alle Farben ausser Weiss denkbar. Weiss ist zu monoton und langweilig. Möchtest du auf der sicheren Seite sein, greifst zu vorgegebenen Sets, bei denen Tisch und Stuhl aufeinander abgestimmt sind. Allgemein sind es wieder Kontraste, die funktionieren: Also farbige Stühle zum unbehandelten Holztisch oder umgekehrt: ein Holzstuhl zur Beton-Tischplatte. Oder aber ein mit Stoff bezogener Stuhl zur Metall-Tischplatte.

Stoffmuster vom Stuhl helfen dabei herauszufinden, ob er zum Tisch passt.
Stoffmuster vom Stuhl helfen dabei herauszufinden, ob er zum Tisch passt.

Muss ich in Bezug auf die Proportionen etwas beachten?
Wenn du dir Stühle mit Armlehne wünschst, würde ich auf die Höhe und Beschaffenheit der Tischkante achten. Ist diese zu niedrig, geraten Armlehne und Tischkante ständig aneinander. Dieser Konflikt stört nicht nur optisch und nimmt Platz weg, sondern führt bei beiden Möbelstücken zu Schrammen.

Im Moment habe ich einen Esstisch mit einer beschichteten Holzplatte, die bereits einige Gebrauchsspuren aufweist. Gibt es Materialien, die sich besonders gut für einen Esstisch eignen?
Ein Tisch sollte auch ohne Tischsets und -decken funktionieren. Ich möchte keinem Gast sagen müssen: «Kannst du bitte deine Tasse auf den Untersetzer stellen?» Lieber finde ich einen Kompromiss. Holz ist nicht gefeit vor Gebrauchsspuren, aber altert schön. Auf lackierten Oberflächen hingegen bilden sich schneller Kratzer. Dafür lassen sie sich gut reinigen. Auf einer glänzenden Oberfläche wie Glas siehst du jedes Staubkorn und auf einer matten jeden Fettfleck. Das gehört dazu. Frag dich lieber, wie sich der Tisch anfühlen soll. Eine Glasplatte kann kühl an den Armen sein.

Wie der Tisch beschaffen ist, hat einen Einfluss auf dein Wärme- oder Kälteempfinden.
Wie der Tisch beschaffen ist, hat einen Einfluss auf dein Wärme- oder Kälteempfinden.

Mein Modell möchte ich unter anderem ersetzen, weil die Tischbeine mit der Zeit angefangen haben, zu quietschen. Worauf achtest du bei der Verarbeitung?
Damit der Tisch langlebig ist, muss die Qualität stimmen. Ich wechsle gerne einmal die Stühle oder das Gedeck, aber der Tisch soll mich lange begleiten. Ich schaue mir die Tischbeine an und wie sie verschraubt sind. Wenn dort bereits Schwachstellen sind und es wackelt, halte ich mich fern. Bei günstigen Modellen löst sich die Kante schneller und Kunststoffe verfärben sich teils mit den Jahren. Holz verändert sich zwar auch, zerfällt aber nicht. Es bekommt eine schöne Patina. Viele Gebrauchsspuren kannst du ausbessern, indem du das Material regelmässig pflegst. Ich greife lieber zu natürlichen Reinigungsmitteln und informiere mich vorab, was es zu beachten gibt. Ich gebe dies meinen Kundinnen und Kunden weiter. Das Gleiche gilt für Ersatzteile im Fall eines Schadens.

Gibt es auch No-Gos für dich?
Ausziehbare Tische sind bei meinen Auftraggebenden oft ein Thema. Doch sie werden am Ende dann oft kaum genutzt und bleiben immer in der gleichen Position. Die Tischplatte von solchen Modellen sind in der Regel dicker. Das wirkt schnell klobig, aber das ist Geschmackssache. Es gibt auch schöne Ausnahmen. Deshalb empfehle ich aber lieber direkt einen grossen Tisch, wenn es der Raum zulässt. Du kannst die volle Länge ja nicht nur zum Essen nutzen.

Es wirkt unbeholfen, wenn die Lampe über dem Tisch hängt – wie zu kurze Hosen.
Der Tisch sollte gleichmässig beleuchtet sein. So kommt er besser zur Geltung.
Der Tisch sollte gleichmässig beleuchtet sein. So kommt er besser zur Geltung.

Es kommt auch vor, dass Lampen zu hoch hängen und an der Decke «kleben». Das sieht komisch aus. Du solltest lieber etwas wagen und beide Elemente als Einheit sehen. Zu einem langen Tisch passen zum Beispiel eine längliche Deckenleuchte oder drei hintereinander und zu einem runden eine kreisförmige Pendelleuchte.

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Tatsächlich ist Neshats erstes No-Go genau das, was bei mir der Fall ist: Zurzeit habe ich einen ausziehbaren Esstisch, den ich nie verkleinere. Höchste Zeit also, das zu ändern. Dank der Filter weiss ich jetzt auch, wie ich schneller zu meiner «besseren Tischhälfte» komme.

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 

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