Hintergrund

Handy weg: Hört auf, das ganze Konzert zu filmen

Livia Gamper
10.7.2018
Bilder:

Du freust dich wie wild auf das Konzert am Festival. Aber nein, vergiss es. Irgendein Tubel wird vor dir stehen, dir sein Handy vor die Nase halten und das ganze Konzert filmen. So ging’s jedenfalls mir am Openair Frauenfeld. Bei Eminem. Darum: Eine Schimpfschrift.

Freitagabend. Allmend Frauenfeld. Es ist Openair. 50 000 Besucher warten auf den US-Superstar Eminem. Die hartgesottenen Fans seit zwölf Uhr Mittags. Als das Gelände öffnete, sind sie reingerannt, erzählt mir eine Kollegin, die als Helferin beim Eingangsbereich arbeitet. Ich bin zwei Stunden vor Konzertbeginn auf dem Gelände, wo der Schlamm mittlerweile wieder getrocknet ist. Es gibt jetzt kein Durchkommen mehr. Von hinten drängen immer weiter Leute vor die Bühne. Es wird gestossen, geschubst und gedrückt. Wir stehen Schulter an Schulter. Währenddessen spüre ich den Atem des Typs hinter mir in meinem Nacken. Immerhin hat er vorher kein Chnoblibrot gegessen.

Dann geht’s los. Der weisse Vorhang, der die Bühne verhüllt, fällt. Der Rap-Gott, der Vorhänge mag, lässt sich nicht bitten und beginnt seinen Auftritt ohne Verspätung.

Ekstase. Aber dann: Tausende Scheiss-Handys werden gezückt und eine Armlänge hoch in die Luft gehalten. Ich sehe nichts mehr von der Bühne. So weit mein Auge reicht erblicke ich nur Smartphone-Displays. Die Bildschirme leuchten fast heller als die Bühnenbeleuchtung. Ich denke mir: Ja gut, die filmen jetzt den Beginn des Konzerts. Das wird schon wieder aufhören. Tja, ich liege falsch.

Der Typ vor mir, jung, ich schätze ihn auf anfang zwanzig, filmt das ganze Konzert. Das ganze Eminem-Konzert. Geschlagene neunzig Minuten hält er sein Handy hoch. Macht ein Video nach dem nächsten. Schade, ist ihm nicht sein blöder Arm abgefallen. Nur zwei Mal steckt er sein Handy weg; um sich seine Freundin auf die Schultern zu setzen. Die bleibt beide Male eine Viertelstunde da oben. Vor unseren Gesichtern. Und sie filmt von oben weiter. Meine Kollegin und ich sehen entweder das Handy des Typs oder den Arsch seiner Freundin. Was für ein Scheiss.

Ich bin etwas über eins-siebzig. Trotzdem: Nur wenn ich meinen Hals recke, sehe ich knapp auf den Übertragungsbildschirm. Die Bühne, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stelle. Kleinere Menschen sehen gar nichts. Und ich sehe nur auf tausende Scheiss-Displays. So viele Leute schauen das Konzert durch den Bildschirm ihres Smartphones.

What the fuck?

Da war der Auftritt schon fertig. Immerhin das Feuerwerk konnte ich sehen

Niemand will diese Videos

An dieser Stelle will ich ehrlich sein. Ich habe im Eifer des Gefechts auch ein Video des Konzerts gemacht. Ein einziges. Vom ganzen Festival waren es insgesamt vier. Und ich bereue jedes einzelne. Wegen meines Videos habe ich fünfzig Sekunden von Eminems «Lose Yourself»-Finale verpasst. Für so ein doofes Video. Es ist verwackelt und die Soundqualität ist, wie bei all diesen Videos, unter aller Sau. Dazu kommt: Das Video werde ich eh nie mehr anschauen. Niemand tut das, denn eigentlich will niemand diese Videos sehen.

Bis zur Unkenntlichkeit verwackelt. Bravo

Von jedem grösseren Konzert gibt’s professionelle Videos. Wieso müssen die Leute selbst filmen? Und das auch noch so penetrant. Wenn du dein Phone einmal eine Minute lang hochhältst, sagt ja niemand etwas. Aber so ist es nicht. Die Handys sind permanent oben.

Ich glaube, die Leute, die ein ganzes Konzert filmen, sind Wiederholungstäter. Denn wer ein ganzes Konzert lang nicht merkt, wie bescheuert es ist, alles zu filmen, der wird’s wieder tun. Da drängt sich bei mir auch gleich die Frage auf, wie diese Leute das Speicherplatzproblem lösen. Neunzig Minuten Video werden so grob über den Daumen geschätzt 16 Gigabyte Speicher fressen. Wenn der bescheuerte Filmer noch ein paar weitere Konzerte besucht, wird er nicht darum herumkommen, einige der Videos zu löschen. Die Videos, für die er mit seinem Scheiss-Handy allen die Sicht verdeckt hat.

Nebst Speicherplatz frisst neunzig Minuten filmen auch Akku wie blöd. Ich frage mich was der Typ denn für ein Handy hat. Oder ob er extra für seine Filmerei eine Powerbank ans Konzert mitgeschleppt hat.

Ich will den Leuten ihr Handy aus der Hand schlagen. Doch Gewalt und Sachbeschädigung sind nicht mein Ding. Und wären illegal.

Ihr sollt doch tanzen, singen und abgehen

An einem Konzert will ich zur Musik tanzen und mitsingen. Ich will den Bass im Bauch fühlen und ich will abgehen. Ich will das Konzert erleben. Aber die Mehrheit der Leute steht wie angewurzelt vor mir. Ab und an wippen sie mit dem linken Arm mit. Denn in der rechten Hand halten sie ja ihr blödes Handy noch immer oben.

Heute machst du mit der Taschenlampe deines Smartphones Atmosphäre. Damals haben wir noch mit dem Feuerzeug mitgefeiert und uns alle den Daumen verbrannt

Während dem Eminem-Konzert ist das Handynetz tot. Das weiss ich, weil ich im Gedränge vor dem Konzert einen Teil meiner Kollegen verloren habe. Nicht, weil ich Videos auf Snapchat, Instagram oder wo auch immer hochladen will. Anrufe sind nicht mehr möglich, WhatsApp-Nachrichten kommen nicht mehr durch. Das Netz ist komplett überlastet. Aber das ist auch nicht schlimm. Wir sind schliesslich wegen der Musik da. Schlimm ist, dass ich unzählige Snapchat-Screens vor mir habe. Wieso zur Hölle lädt jemand mehr als ein Video des selben Konzerts in seine Story?

  • News & Trends

    Snapchat: Kompliziert, riskant und doch lohnt's sich

    von Livia Gamper

Die Freunde dieser Leute stehen wahrscheinlich gleich neben den Bekloppten, die filmen. Und haben die selbe Sicht. Dennoch müssen sie alle dasselbe uploaden und sehen dann die selben Videos wieder bei ihren Freunden. Cool. Die Daheimgebliebenen wollen die schlechten, elends langen Videos, auf denen du das Konzert nur verzerrt hörst, eh nicht sehen. Die schauen sich den Aftermovie an.

Das Publikum am Eminem-Konzert macht mit. Trotzdem: Ich habe schon Konzerte erlebt, an denen auch der Hinterletzte mitspringt. Das war hier nicht der Fall. Getanzt haben nur wenige. Wie auch, mit dem Handy in der Hand. Da wären die blöden Videos ja noch übler.

Handyverbot als Lösung?

Brauchen wir, damit wir Konzerte wieder geniessen können, ein komplettes Handyverbot? Die Firma Yondr hat das Handyproblem an Konzerten, Schulen und anderen öffentlichen Plätzen erkannt. Yondr hat ein Konzept das ich mag: An Konzerten verbieten sie Smartphones nicht, sondern sie schränken die Nutzung ein.

Auf ihrer Homepage schreibt die Firma Yondr:

In our hyperconnected world, we provide a haven to engage with what you’re doing and who you’re doing it with. In physical space and real time.

Übersetzung: In unserer hypervernetzten Welt bieten wir eine Oase, um sich mit dem zu beschäftigen, was du tust und mit denen du da bist. Im physischen Raum und in Echtzeit.

Yondrs Konzept funktioniert so: Am Eingang erhält jeder Besucher ein Yondr-Case. Dort wird das Phone reingesteckt und dann mit einem speziellen Verschluss zugemacht. Öffnen lässt sich das Case nur mit der dazugehörenden Dockingstation. Die Dockingstations gibt’s am Ausgang und in der Handy-Area. In dem abgetrennten Platz dürfen die Phones benutzt werden. Etwa für Notfälle oder andere dringende Anrufe oder Nachrichten.

Bild: overyondr.com/howitworks

Wer also ein Babysitter hat oder auf Pikett-Dienst ist, stellt sein Telefon auf Vibrationsalarm. Das Vibrieren sei auch durch das Case spürbar, so Yondr. Vibriert dein Phone, kannst du einfach in die Handy-Zone gehen.

Die Sängerin Adele ist ebenfalls gegen die vielen Smartphones an ihren Konzerten. Sie forderte Verbote für ihre Auftritte.
Da bin ich dabei! Ich wünsche mir mehr Konzerte mit einer Handy-Einschränkung. Obwohl ich es schade finde, dass wir als Gesellschaft sowas überhaupt benötigen. Dass wir sogar beim Auftritt unserer Lieblingsstars noch auf unser Phone fixiert sind, finde ich bedenklich. Den Auftritt nur durch das Handy-Display zu sehen, obwohl du live dabei bist, ist eine Schande. Darum: Lass doch beim nächsten Konzertbesuch dein Phone in der Tasche.

Schlussendlich bin ich den Besuchern von Frauenfeld aber doch ein Bitzli dankbar: Immerhin hat niemand mit einem iPad gefilmt. Da hätte ich mich nicht mehr beherrschen können.

166 Personen gefällt dieser Artikel


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Meine kleine Geschichte der Telekommunikation

    von Thomas Meyer

  • Hintergrund

    Vom Apfel gekostet: Late to the Party mit meinem ersten iPhone

    von Maike Schuldt-Jensen

  • Hintergrund

    Zuckerberg bei Rogan: Ich habe mir drei Stunden Interview gegeben, damit du nicht musst

    von Samuel Buchmann

Kommentare

Avatar