Ratgeber

Infrarotfotografie durch Kleider: Die Physik dahinter

David Lee
16.6.2020

Warum kann ich mit meiner Infrarotkamera nicht durch Kleider sehen? Eine kleine Physikstunde über Nanometer, Transmissionsgrad und Indiumgalliumarsenid.

Mit meiner Infrarotkamera kann ich nicht durch Kleider hindurch sehen. Das habe ich kürzlich ausprobiert. Der Anlass dafür war das Smartphone OnePlus 8 Pro, mit dem das angeblich unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.

  • Hintergrund

    Sieht man mit einer Infrarotkamera durch Kleider?

    von David Lee

Dieser Spassbeitrag klärt nicht die Frage, ob es mit Infrarot generell möglich ist, durch Material hindurch zu «sehen» – und wenn ja, warum. Beim Durchlesen eurer Kommentare ist mir klar geworden, dass ich selbst nur über physikalisches Halbwissen verfüge.

Schauen wir uns das doch mal genau an.

Was sind überhaupt Farben?

Physikalisch gesehen sind Farben Lichtwellen und diese sind ein Spezialfall von elektromagnetischen Wellen. Mit anderen Worten: Elektromagnetische Strahlung mit einer bestimmten Wellenlänge.

Je nach Wellenlänge sehen wir eine andere Farbe. Das Farbspektrum nach Wellenlängen sieht so aus:

Quelle: wikimedia.org/Horst Frank
Quelle: wikimedia.org/Horst Frank

Die kürzeste Wellenlänge, die wir noch sehen können, erscheint violett. Noch kürzere Wellenlängen werden daher als Ultraviolett bezeichnet. Sie sind aber nicht violett, sondern unsichtbar. Am anderen Ende des Spektrums sind die längsten sichtbaren Wellen rot. Noch längere Wellen heissen darum Infrarot.

Die Wellenlängen für sichtbares Licht liegen im dreistelligen Nanometer-Bereich (380 bis 780 nm). Ein Nanometer ist ein millionstel Millimeter oder ein tausendstel Mikrometer. Man kann elektromagnetische Wellen nicht nur als Länge, sondern auch als Frequenz angeben. Eine kürzere Welle hat eine höhere Frequenz.

Verschiedene Typen von Infrarot, verschiedene Kameras

Infrarot umfasst den Bereich von 780 nm bis 1 Millimeter, also 1 000 000 nm. Somit ist das Wellenspektrum viel breiter als bei sichtbarem Licht. Es ist deshalb üblich, Infrarotwellen in verschiedene Kategorien zu unterteilen. Es gibt verschiedene Unterteilungen, hier ist diejenige, die im englischsprachigen Raum gängig ist.

BezeichnungWellenlängen
Near Infrared (NIR)780–1400 nm
Short-Wavelength Infrared (SWIR)1400–3000 nm
Mid-Wavelength Infrared (MWIR)3–8 µm
Long-Wavelength Infrared (LWIR)8–15 µm
Far Infrared (FIR)15 µm–1000 µm

Genauso wie es verschiedene Infrarotbereiche gibt, gibt es auch verschiedene Infrarotkameras.

Eine «gewöhnliche Infrarotkamera», mit der diese typischen Infrarotbilder mit weissen Pflanzenblättern gemacht werden, kann nur nahes Infrarot abbilden. Genauer gesagt sogar nur einen Teil des nahen Infrarots, nämlich Wellen bis 1100 nm.

Der Grund dafür ist der Fotosensor. Er reagiert auf längere Wellen nicht. Was wiederum mit dem verwendeten Halbleitermaterial zu tun hat. Diese Infrarotkameras verwenden die gleichen Sensoren wie gewöhnliche Kameras, und da kommt stets Silizium zum Einsatz.

Wärmebildkameras werden zum Teil ebenfalls als Infrarotkameras bezeichnet, bilden aber einen ganz anderen Wellenlängenbereich ab. Eine normale Kamera kann nicht in eine Wärmebildkamera umfunktioniert werden. Denn Wärmebildkameras bilden viel längere Infrarotwellen ab, oft auch Wellen, die gar nicht mehr Infrarot sind. Der Sensor muss aus einem Halbleiter bestehen, der auf diese Wellenlängen anspricht, zum Beispiel Vanadiumoxid oder amorphes Silizium.

Diese Wärmebildkamera «sieht» Wellenlängen von 8 bis 14 μm. Sie hat eine Auflösung von 220 x 160 Pixeln. Wärmebildkameras haben allgemein viel tiefere Auflösungen als normale Kameras. Zwar kann ein solches Gerät gewissermassen unter die Kleidung sehen, aber nur in dem Sinne, als bestimmte Körperteile näher an der Kleidung anliegen und damit wärmer erscheinen oder tatsächlich wärmer sind.

Ein Wärmebildselfie von Kevin Hofer. Kamera: Seek Thermal RevealPRO FF -40, Auflösung 320×240 Pixel.
Ein Wärmebildselfie von Kevin Hofer. Kamera: Seek Thermal RevealPRO FF -40, Auflösung 320×240 Pixel.

Eine genaue Abbildung der Anatomie ist nicht möglich. Teilweise wird zugleich das Bild eines gewöhnlichen Fotosensors aufgenommen und mit dem Wärmebild vermischt, um die Konturen besser zu zeigen. Aber diese Konturen offenbaren nichts Verborgenes.

Cat S61 (64 GB, Schwarz / Silber, 5.20", Hybrid Dual SIM, 16 Mpx, 4G)
Smartphone

Cat S61

64 GB, Schwarz / Silber, 5.20", Hybrid Dual SIM, 16 Mpx, 4G

Die Smartphones Cat S60 und S61 haben auch eine Wärmebildkamera. Dessen extrem niedrige Auflösung von 80×60 Pixeln verunmöglicht jedoch prinzipiell, dass allzu intime Details aufgenommen werden können.

Quelle: wikimedia.org/NickSpiker
Quelle: wikimedia.org/NickSpiker

In diesem Vergleich ist das Foto ganz links mit einer normalen Kamera geschossen, in der Mitte mit einer «normalen Infrarotkamera», also einer normalen Kamera ohne IR-Sperrfilter. Das Foto ganz rechts zeigt längere Infrarotwellen, die nur mit einer speziellen SWIR-Kamera eingefangen werden können. Typisch für SWIR-Fotos ist, dass alle Menschen schwarze Haut haben. SWIR-Kameras haben einen Sensor aus Indiumgalliumarsenid. Sie verfügen ebenfalls nur über eine sehr geringe Auflösung. Für ein solches Porträt müssen ganz viele Fotos geschossen und wie bei einem Panorama zusammengesetzt werden.

Reflektierend, absorbierend und transparent

Die meisten Farben, die wir sehen, sind nicht direkte Lichtquellen, sondern reflektiertes Licht. Die Farbe einer Oberfläche entsteht dadurch, dass nur bestimmte Wellenlängen reflektiert werden. Eine Orange reflektiert Wellenlängen zwischen 630 und 590 nm und absorbiert den Rest. Ein weisses Papier reflektiert alle sichtbaren Wellenlängen, denn Weiss ist die Summe aller Lichtfarben. Umgekehrt reflektiert Schwarz nichts, sondern absorbiert alles.
Es gibt aber auch Materialien, die Licht weder absorbieren noch reflektieren. Sie sind durchsichtig.

Viele Materialien lassen bestimmte Wellenlängen durch, andere nicht. Ein Beispiel: Glas ist für sichtbares Licht durchsichtig, blockt aber den grössten Teil von Ultraviolett ab. Du merkst das daran, dass du dir hinter einer Glasscheibe keinen Sonnenbrand holst.

Gibt es auch Materialien, die für sichtbares Licht undurchsichtig, für Infrarot hingegen durchsichtig sind? Logisch: Der Infrarot-Passfilter fürs Objektiv.

Gibt es IR-durchlässige Kleidung?

Die spannende Frage lautet nun: Gibt es Materialien, die wie ein IR-Passfilter wirken, auch bei der Kleidung?

Ein Stoff, durch den eine IR-Kamera hindurchschauen kann, müsste folgende Eigenschaften haben:

  • Er müsste für sichtbares Licht (380 bis 780 nm) intransparent sein. Denn wer durchsichtige Kleider trägt, hat offensichtlich kein Problem damit, seine/ihre Haut zu zeigen.
  • Er müsste im Bereich von 780 bis 1100 nm transparent sein. Denn nur in diesem kleinen Bereich der Infrarotwellen kann eine gewöhnliche Infrarotkamera «sehen».

Polyamid 6.6, besser bekannt als Nylon, hat die Eigenschaft, für bestimmte Infrarotwellen transparent zu sein. Dieses Diagramm zeigt, bei welchen Wellenlängen das der Fall ist.

Dummerweise zeigt dieses Spektrum – wie auch alle anderen, die ich gefunden habe – genau den Bereich nicht, der für die IR-Fotografie relevant ist. Als Masseinheit wird hier cm-1 verwendet, was bedeutet: 1 geteilt durch die jeweilige Zahl ergibt die Wellenlänge in cm. Das Spektrum beginnt bei 1/4000 cm-1 = 0.00025 cm, das sind 2500 nm. Damit ist die kürzeste untersuchte Wellenlänge bereits zu lang für eine Infrarotkamera, die den Bereich 780–1100 nm abbildet.

Meine Velohose besteht aus 80 Prozent Polyamid und 20 Prozent Elasthan – eine Mischung, die auch in Bademode verbreitet ist. Dieser Stoff ist für die Infrarotkamera nicht transparent. Auch wenn es nicht 100 Prozent Polyamid ist, liegt die Vermutung nahe, dass Polyamide im nahen Infrarotbereich nicht transparent sind.

Fazit: Kaum eine Gefahr

Die sichtbare Farbe sagt nichts darüber aus, wie eine Oberfläche im Infrarotbild aussieht. Zum Beispiel erscheinen grüne Pflanzenblätter weiss, eine künstliche Pflanze jedoch nicht. Entscheidend ist das Material. Echte Pflanzen enthalten Chlorophyll, welches Infrarot besonders stark reflektiert.

Ein Material kann für bestimmte Wellenlängen transparent sein und für andere nicht; von daher ist es theoretisch möglich, dass Kleider nur im Infrarotbild durchsichtig sind. Praktisch habe ich jedoch bisher kein Kleidungsmaterial gefunden, bei dem dies tatsächlich der Fall ist.

Bei Wärmebildkameras sieht es anders aus: Wärmestrahlung durchdringt natürlich dünnen Stoff problemlos. Doch mit einer Auflösung von 80 x 60 Pixeln wie beim Cat S61 kann eine Wärmebildkamera unmöglich für Voyeurismus missbraucht werden.

Kurzwelliges Infrarot sieht kaum durch Kleider, langwelliges Infrarot kann nur mit speziellen Geräten und schlechter Auflösung abgebildet werden. Somit ziehe ich wieder das gleiche Fazit wie bereits beim ersten Beitrag zum Thema: Es ist nicht ausgeschlossen, aber sehr unwahrscheinlich, dass mit Infrarotkameras Intimitäten entblösst werden.

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