Krafttraining: Der Einfluss des Bewegungsausmasses
24.2.2022
Mitarbeit: Patrick Bardelli
Hast du dir schon mal überlegt, wie das optimale Bewegungsausmass bei einer Übungsausführung im Kraftraum ist? Mit viel Gewicht im optimalen Kraft-Längenbereich des Muskels trainieren oder mit weniger Gewicht über das gesamte Bewegungsausmass? Wir liefern die Antwort.
Das Ausmass einer geführten Bewegung über ein Gelenk ist als Bewegungsausmass definiert. Die mechanische Krafterzeugung im Muskel erfolgt durch das Sarkomer, das die kleinste kontraktile Einheit darstellt. Das Sarkomer selbst besteht aus Aktin- und Myosinfilamenten. Diese Filamente gleiten ineinander und die auf molekularer Ebene ausgebildeten Querbrücken zwischen Aktin und Myosin sind verantwortlich für das Erzeugen von Kraft. Bei kurzer Sarkomerlänge ist der Grad der Überlappung zwischen Aktin und Myosin gering und wenig Querbrücken und Kraft kann aufgebaut werden. Mit zunehmendem Überlappungsgrad können mehr Querbrücken und Kraft aufgebaut werden, bis bei mittlerer Sarkomerlänge ein Optimum (bei ca. 2,6 – 2,8 µm) erreicht wird, das bei zunehmender Sarkomerlänge dann wieder abnimmt [1]. Diese Beziehung wird in der Fachsprache auch Kraft-Längen-Relation genannt.
Die Kraft-Längen-Relation ist einer der Gründe, weshalb du nicht in jeder Gelenkswinkelposition gleich viel Kraft erzeugen kannst.
Ein kontrovers diskutiertes Thema
In der Literatur wird Training mit partiellem oder vollem Bewegungsausmass zur optimalen Steigerung der Muskelmasse kontrovers diskutiert. Es wird vermutet, dass Wiederholungen über das volle Bewegungsausmass die mechanische Belastung über den gesamten Muskelfaserbereich maximieren und damit die Hypertrophie stärker stimulieren als bei einem partiellen Bewegungsausmass [3]. Andererseits ermöglicht die Verwendung eines partiellen Bewegungsausmasses eine Erhöhung der externen Belastung, da die Wiederholungen in einem optimalen Kraft-Längen-Verhältnis ausgeführt werden und somit grössere hypertrophe Anpassungen hervorrufen können [4].
Studien, die für das volle Bewegungsausmass sprechen
McMahon et al. [5] untersuchten den Zusammenhang zwischen Bewegungsausmass beim Krafttraining und Hypertrophie, subkutanem Fett und Kraft. 26 freizeitlich aktive Teilnehmer (19.6 ± 2.6 Jahre) wurden in eine Gruppe mit vollem Bewegungsausmass (0° – 90°) und eine Gruppe mit partiellem Bewegungsausmass (0° – 50°) eingeteilt und absolvierten 8 Wochen lang dreimal wöchentlich ein Krafttraining mit anschliessendem 4-wöchigem Trainingsstopp. Das Training bestand aus Übungen für die unteren Gliedmassen, die bei einer Intensität von 80 % 1-RM trainiert wurden. Die Einhaltung des entsprechenden Kniewinkels wurde mit einem sogenannten Goniometer kontrolliert. Das Volumen des m. vastus lateralis wurde mittels Ultraschall an verschiedenen Stellen (d.h. 25 %, 50 % und 75 % der Länge des Oberschenkelknochens) gemessen.
Bei beiden Gruppen wurde ein signifikanter Zuwachs an Muskelmasse beobachtet, im Vergleich zum Ausgangszustand. In der Gruppe mit vollem Bewegungsausmass gab es einen Trend hin zu einem grösseren Muskelzuwachs an allen gemessenen Stellen im Vergleich zu der Gruppe, die nur über ein partielles Bewegungsausmass trainierte. Statistisch signifikant zeigte sich dies nach 8 Wochen bei der Messung bei 75 % der Länge des Oberschenkelknochens. Die Autoren kamen zum Schluss, dass aus praktischer Sicht das volle Bewegungsausmass beim Krafttraining angestrebt werden sollte, wenn das Ziel eine Steigerung der Muskelkraft und -grösse darstellen sollte. Ausserdem sollte das Bewegungsausmass nicht einer grösseren externen Belastung zum Opfer fallen.
Pinto et al. [6] verglichen ein partielles Bewegungsausmass mit einem vollständigen Bewegungsausmass in Bezug auf Kraft und Hypertrophie bei jungen Männern. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in 3 Gruppen eingeteilt:
- volles Bewegungsausmass (0° – 130°, 0° = volle Ellenbogenextension)
- partielles Bewegungsausmass (50° – 100°)
- Kontrollgruppe
Die Probanden (21.7 ± 3.5 Jahre, n = 40) trainierten 10 Wochen lang 2 Tage pro Woche. Die Kraft des Ellenbogenbeugers (Biceps) wurde mittels 1-RM untersucht und der Muskelzuwachs wurde mittels Ultraschall beurteilt. Beide Interventionsgruppen steigerten die Kraft des Ellenbogenbeugers signifikant. Nach der Intervention war die Kraft bei der Gruppe mit vollem Bewegungsausmass signifikant grösser als in der Gruppe mit partiellem Bewegungsausmass. Die durchschnittliche Hypertrophie der Ellenbogenbeuger nahm bei beiden Trainingsgruppen signifikant zu. Die Autoren kamen zum Schluss, dass Kraft und Hypertrophie sowohl durch Training mit vollem und als auch mit partiellem Bewegungsausmass hervorgerufen werden kann, wobei das volle Bewegungsausmass zu grösseren Verbesserungen der Kraft führte als das partielle Bewegungsausmass.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Bloomquist et al. [7], die die Manipulation des Bewegungsausmasses von Squats und die daraus resultierenden Anpassungen untersuchten. 17 männliche Teilnehmer (24.0 ± 4.5 Jahre) wurden nach dem Zufallsprinzip einem 12-wöchigen Squattraining mit vollem (0° – 120°) oder partiellem Bewegungsausmass (0° – 60°) zugeteilt. Die Kraft wurde mit 1-RM gemessen und die Querschnittsfläche der Muskeln wurde mittels Kernspintomografie untersucht. Beide Protokolle bewirkten eine signifikante Kraftzunahme im Vergleich zur Ausgangsmessung. Das Training über das volle Bewegungsausmass führte jedoch zu einem signifikant grösseren Muskelzuwachs in der vorderen Oberschenkelmuskulatur im Vergleich zur Gruppe mit partiellem Bewegungsausmass.
Studien, die für das partielle Bewegungsausmass sprechen
Kontrastierende Ergebnisse zu den oberen Studien ergaben die Untersuchungen von Valamatos und Kollegen [8], die die Auswirkungen eines 15-wöchigen partiellen Bewegungsausmasses auf die Architektur und die mechanischen Eigenschaften des m. vastus lateralis (seitlicher Schenkelmuskel) studierten. Dazu rekrutierten sie 19 untrainierte männliche Teilnehmer (24.1 ± 4.4 Jahre) und teilten sie nach dem Zufallsprinzip einer Kontroll- oder Trainingsgruppe zu. In der Trainingsgruppe wurden die dominanten und nicht dominanten Beine nach dem Zufallsprinzip entweder mit vollem (0° – 100°) oder partiellem Bewegungsausmass (0° – 60°) trainiert. Das Krafttraining über das volle Bewegungsausmass veränderte die Länge der Muskelfaserbündel und die spezifische Spannung. Das partielle Bewegungsausmass hatte eine mässige Wirkung auf die Muskelquerschnittsfläche und die Kraft. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass die Muskelanpassungen abhängig vom Bewegungsausmass sind, da die Länge der Muskelfaserbündel und die spezifische Spannung bei grösserem Bewegungsausmass zunehmen. Umgekehrt ist ein partielles Bewegungsaumass mit winkelspezifischen Kraftadaptionen verbunden.
Eine kürzlich durchgeführte systematische Übersichtsarbeit kam zum Schluss, dass die Muskellänge während eines isometrischen Trainings von Bedeutung ist, da gezeigt wurde, dass ein Training bei längeren Muskellängen die Hypertrophie in stärkerem Masse stimuliert als ein isometrisches Training bei kürzeren Muskellängen. Das deutet darauf hin, dass ein Training mit partiellem und vollem Bewegungsausmass gleichermassen effektiv ist, wenn das partielle Training bei längerer Muskellänge durchgeführt wird [9]. Im Gegensatz dazu berichteten andere Studien über keinen statistisch signifikanten Unterschied bezüglich der Hypertrophie im Vergleich zwischen partiellem und vollem Bewegungsausmass [5,6].
Goto et al. [10] untersuchten, ob das partielle Bewegungsausmass wirksam zur Induktion von Muskelhypertrophie und -funktion beiträgt. Sie stellten die Hypothese auf, dass ein partielles Bewegungsausmass aufgrund der höheren muskulären Spannung und den konstanten Kontraktionen einen höheren Gefässverschluss bewirkt, was zu einer Erhöhung der Hypertrophie und Kraft führen könnte. Daher wurden 44 Männer (20 – 22 Jahre) rekrutiert und in eine Gruppe mit partiellem Bewegungsausmass (45°– 90°) und eine Gruppe mit vollem Bewegungsausmass (0°– 90°) eingeteilt, wobei die Ellenbogenstrecker 8 Wochen lang dreimal pro Woche trainiert wurden. Die Teilnehmer mussten in jeder Trainingseinheit 3 Sätze mit 8 Wiederholungen absolvieren. In beiden Gruppen wurde eine Zunahme der Querschnittsfläche des m. triceps brachii durch Ultraschall beobachtet, und eine Zunahme der isometrischen Kraft festgestellt. Die Querschnittsfläche bei der Gruppe mit dem partiellen Krafttraining war signifikant grösser als in der Gruppe, welche über das volle Bewegungsausmass trainierte.
Schlussfolgerung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Training über das volle Bewegungsausmass im Vergleich zu einem Training über das partielle Bewegungsausmass vorteilhafter für die Induktion von Hypertrophie zu sein scheint. Wird jedoch über ein partielles Bewegungsausmass trainiert, sollte der Schwerpunkt auf längere Muskellängen gelegt werden. Personen mit Problemen am Bewegungsapperat, die ein vermindertes Bewegungsausmass zur Folge haben, könnten davon profitieren.
Referenzen
- Gordon AM, Huxley AF, Julian FJ. The variation in isometric tension with sarcomere length in vertebrate muscle fibres. J Physiol. Wiley-Blackwell; 1966;184: 170–192. doi:5921536
- Zoladz JA. Muscle and exercise physiology. Muscle and Exercise Physiology. Elsevier; 2018. doi:10.1016/C2017-0-01877-3
- Fleck SJ, Kraemer WJ. Designing Resistance Training Programs. 3rd ed. Champaign, IL: Human Kinetics. 2004.
- Sisco P, Little JR. Power factor training a scientific approach to building lean muscle mass. Chicago: Contemporary Books; 1997.
- McMahon GE, Morse CI, Burden A, Winwood K, Onambélé GL. Impact of range of motion during ecologically valid resistance training protocols on muscle size, subcutaneous fat, and strength. J Strength Cond Res. 2014;28: 245–255. doi:10.1519/JSC.0b013e318297143a
- Pinto RS, Gomes N, Radaelli R, Botton CE, Brown LE, Bottaro M. Effect of range of motion on muscle strength and thickness. J Strength Cond Res. 2012;26: 2140–2145. doi:10.1519/JSC.0b013e31823a3b15
- Bloomquist K, Langberg H, Karlsen S, Madsgaard S, Boesen M, Raastad T. Effect of range of motion in heavy load squatting on muscle and tendon adaptations. Eur J Appl Physiol. Springer; 2013;113: 2133–2142. doi:10.1007/s00421-013-2642-7
- Valamatos MJ, Tavares F, Santos RM, Veloso AP, Mil-Homens P. Influence of full range of motion vs. equalized partial range of motion training on muscle architecture and mechanical properties. Eur J Appl Physiol. Springer Berlin Heidelberg; 2018;118: 1969–1983. doi:10.1007/s00421-018-3932-x
- Oranchuk DJ, Storey AG, Nelson AR, Cronin JB. Isometric training and long-term adaptations: Effects of muscle length, intensity, and intent: A systematic review. Scand J Med Sci Sport. Blackwell Munksgaard; 2019;29: 484–503. doi:10.1111/sms.13375
- Goto M, Maeda C, Hirayama T, Terada S, Nirengi S, Kurosawa Y, et al. Partial range of motion exercise is effective for facilitating muscle hypertrophy and function through sustained intramuscular hypoxia in young trained men. J Strength Cond Res. NSCA National Strength and Conditioning Association; 2019;33: 1286–1294. doi:10.1519/JSC.0000000000002051
Claudio Viecelli
Biologe
Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.