Amazfit Bip
45 mm, Kunststoff, One Size
Ich habe schon länger den Verdacht, dass es meine Amazfit Bip nicht immer ganz genau nimmt. Was ihre Daten Wert sind, soll ein Test auf der Laufbahn zeigen. Spoiler: Ganz rund läuft es nicht.
Auf einmal bin ich Weltklasse. Als ich während meiner Laufrunde auf die Amazfit Bip am Handgelenk blicke, kann ich mein Glück kaum fassen. Gerade noch eine fette Pizza verdrückt, jetzt mit Klumpen im Magen auf Rekordkurs. STOP THE COUNT!, STOP THE COUNT!, denke ich. Die Zahlen lügen gerade so schön. Wenn es nach der unbestechlichen Technik von Xiaomi geht, bin ich soeben 8,51 Kilometer mit einem Schnitt von 3'01'' gelaufen. Noch knapp 33 Kilometer, dann wankt die Marathon-Bestzeit von Viktor Röthlin. Ich wäre nach 2:07:29 im Ziel. Beim letzten Mal, als ich einen Kilometer in diesem Tempo gelaufen bin, war ich 18 und lag anschliessend röchelnd im Gras. An acht war noch nie zu denken. Bis heute, powered by homemade pizza.
Ich habe ein entspanntes Verhältnis zum Joggen und laufe nicht, um persönliche Bestzeiten zu jagen. Es gehört dazu, lüftet den Kopf und macht vor allem dann Spass, wenn es vorbei ist und das gute Gefühl danach einsetzt. Ich laufe, die Uhr läuft mit. Meine Gleichgültigkeit habe ich schon dadurch zum Ausdruck gebracht, dass ich ein günstiges Exemplar mit extrem langer Akkulaufzeit gekauft habe.
Ein bisschen schaue ich auf den Puls. Anschliessend sind die gesammelten Werte für mich Datenmüll, den von mir aus der chinesische Geheimdienst interpretieren kann. Dass die Messungen nicht über jeden Zweifel erhaben sind, habe ich schon beim Streckenvergleich mit meinem Nachbarn gemerkt, dessen iPhone jeweils eine andere Distanz ausspuckte. Akuter Fake-News-Verdacht ist im Zusammenhang mit Sportuhren und Fitness-Trackern nichts Neues.
Das Dumme ist, dass wir den Daten meistens Glauben schenken und nicht weiter drüber nachdenken. GPS navigiert uns durch die Welt, kennt die besten Wege und genauen Distanzen. Hey, GPS! Wo warst du, als ich im Wald war? Das Wetter war weder gut noch schlecht, das Blätterdach nicht mehr besonders dicht. Normalerweise sollten mehr als genug Satelliten erreichbar sein, um meine Position zu bestimmen.
Was also war das Problem? In welchem Paralleluniversum war mein Klon unterwegs? Wieso sieht meine Laufstrecke so aus, als hätte sie ein Zweijähriger auf den Bildschirm gekrakelt? Ich schwöre, dass ich – bis auf die Pizza – nüchtern und nur an wenigen dieser Stellen zu finden war.
Das wirft Fragen auf. Steckt Q dahinter? Wo war eigentlich Bill Gates zu dieser Zeit? Und wieso schweigt der Support der Mi Fit App auf meine unschuldige Anfrage, wie das denn bitte passiert sein kann? Die Wahrheit, soviel scheint klar, muss ich selbst herausfinden.
Um meine Position bestimmen zu können, braucht mein GPS-Gerät das Signal von mindestens vier Satelliten. In der Regel sind es einige mehr. Aus den Laufzeiten der verschiedenen Signale lässt sich präzise bestimmen, wo ich mich gerade aufhalte. Es kann allerdings passieren, dass die Signale abgelenkt werden. Hohe Gebäude oder natürliche Hindernisse reflektieren sie, so dass sie mein Empfangsgerät auf verschiedenen Wegen erreichen. Entsprechend verwirrt reagiert es und erfasst wilde Positionssprünge. Dieser sogenannte Multipath Error ist der häufigste Grund für auffällige Fehler. Wahrscheinlich ist ein besonders schönes Exemplar davon für meine Leistungsexplosion verantwortlich. Allerdings ist mir auf dieser Strecke noch nie etwas Vergleichbares passiert. Weitaus seltener beeinträchtigen laut gps.gov Funkstörungen, grosse Solarstürme, Satellitenwartung oder ungeeignete Empfangsgeräte die Genauigkeit. Wobei es deine Smartwatch nie ganz genau nimmt.
Der GPS-Drift ist die Distanz zwischen deinem Standort und dem, was dein GPS-Empfänger dafür hält. Auf gps.gov heisst es, dass ein Smartphone in der Regel auf 4,9 Meter genau sei. Garmin spricht bei seinen Outdoor-Uhren von etwa drei Metern. Das führt dazu, dass du mal etwas links oder rechts von deiner eigentlichen Laufstrecke verortet wirst und summiert sich auf die Distanz zum Messfehler deiner Smartwatch. Schon ein dichtes Blätterdach im Wald kann bewirken, dass die Genauigkeit abnimmt. Geht das Signal kurzzeitig verloren, zeichnet dein Gerät eine gerade Linie zwischen dem letzten bekannten Standort und der neuen Position und berechnet diese Distanz. Am schlimmsten ist unter diesem Aspekt ein Trail-Run mit Bergen, Bäumen und engen Kehren. Wer sich auf die Daten seiner Uhr verlassen will, sollte am besten unter freiem Himmel geradeaus laufen. Oder auf der Bahn. Das habe ich mit meiner Amazfit Bip getan.
Ein klarer Novembermorgen, nichts als stahlblauer Himmel über mir. Es gibt keine Ausreden, besser werden die Bedingungen nicht. Ich bin auf der altehrwürdigen Rundbahn Liguster und habe vor, 5000 Meter zu laufen um herauszufinden, wie genau es die Amazfit Bip nimmt. Eine Runde sind 250 Meter. Anfangs bin ich noch beeindruckt, die ersten Runden erfasst meine Uhr relativ akkurat. Im Laufe der Zeit wird aber klar, dass sie mir ein paar Meter zusätzlich gutschreibt. Die letzte Runde müsste ich, wenn es nach ihr ginge, nicht mal mehr halb laufen. Als mir ein Vibrieren am Handgelenk den fünften Kilometer signalisiert, komme ich gerade aus der ersten Kurve. Im Ziel, nach fünf echten Kilometern, zeigt sie genau 5,14 Kilometer an. Woran das liegt, ist gut zu sehen, wenn ich in die Aufzeichnung zoome.
Die Runde erscheint dann ziemlich eckig. Einzelne Positionen ragen heraus und bescheren mir 140 Meter extra. Plus 2,8 Prozent. Eigentlich gar nicht so schlecht, oder? Immerhin weiss ich jetzt, dass die Amazfit Bip tendenziell zu viel verbucht. Ich kann damit leben. Aber ich richte auch meinen Trainingsplan nicht nach den Daten dieser Uhr aus. Ich duelliere mich nicht online mit anderen, die vielleicht noch mehr Meter geschenkt bekommen. Zu behaupten, dass Sportuhren genau sind, wäre wirklich vermessen.
Wie ist das bei dir? Welche Erfahrungen hast du mit der Messgenauigkeit deiner Sportuhr gemacht? Lass gerne einen Kommentar da.
Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.