Lost in Super Mario: Wie Kinderspiele mein Ego zerstörten
Ich (w, 40, Gelegenheitszockerin) habe mir eine Nintendo Switch gekauft. Ein Protokoll des Scheiterns.
Eingefleischte Nintendo-Fans kennen sie: The Lost Levels. Für Nicht-Nintendo-Natives: Das ist ein sehr, sehr schweres Video-Spiel rund um Super Mario und seinen Bruder Luigi. Stell dir einfach vor, du würdest im Dunkeln auf Glatteis einen Hürdenlauf absolvieren. So ungefähr funktioniert das Ganze. Der Gaming-Konzern brachte The Lost Levels im Juni 1986 als Nachfolger von Super Mario Bros. heraus. Allerdings zunächst nur für den japanischen Markt, denn das Jump ’n’ Run galt als zu schwierig für die USA und Europa. Warum? Tja, möglicherweise bin ich der Antwort näher gekommen, als mir lieb ist, nachdem ich mir im zarten Alter von 40 Jahren eine Switch gekauft habe.
Aber von vorn. Wie fast jedes Kind der frühen 80er-Jahre wurde auch ich mit Nintendo sozialisiert. Auf den Gameboy folgte schnell ein NES und wenig später zog das Super Nintendo (SNES) ins elterliche Wohnzimmer ein. Als Grundschülerin zertrümmerte ich Tetris-Blöcke, zockte mich in Super Mario World durch Bowser-Schlösser und feuerte bei Mario Kart rote Panzer auf alles, was mir vor die virtuelle Stoßstange kam. Sogar die berüchtigte Rainbow Road schaffte ich in Rekordzeit, ohne aus der Kurve und von der Strecke zu fliegen. Ich war gut auf dem Super Nintendo und stolz drauf. Dann kam die Pubertät und andere Dinge wurden interessant(er).
Ohne es damals zu ahnen, tat ich mit der Zockerei nicht nur meinem kindlichen Ego etwas Gutes, sondern auch meinen grauen Zellen. Neurowissenschaftler der spanischen Universitat Oberta de Catalunya in Barcelona haben herausgefunden, dass Videospiele deine kognitiven Fähigkeiten schulen. Und dass du davon sogar noch Jahre später profitierst, selbst wenn du den Controller längst eingemottet hast.
Knapp 30 Jahre später, es ist ein langweiliger Samstag, will ich diese Fähigkeiten reaktivieren. Ich erinnere mich wehmütig an das Erfolgsgefühl, das mir Nintendo damals verliehen hatte. Ich bestelle eine Switch mit den Neuauflagen meiner Lieblingsspiele aus Kindertagen: Mario Kart 8 Deluxe und New Super Mario Bros. U Deluxe.
Womit das Drama seinen Lauf nimmt.
Kaum habe ich die Switch an meinen Fernseher angeschlossen, folgt die erste Verwirrung: Wo sind die Anleitungen? Die beiden Spiele kommen zwar in einer Art DVD-Box, aber im Inneren steckt jeweils nur ein kleiner Datenträger, etwa in Größe einer SD-Karte. Sonst nix. Null. Nada. Bei New Super Mario Bros. U Deluxe erspähe ich auf der Rückseite des Covers lediglich eine dekorative Weltenkarte, bei Mario Kart 8 Deluxe eine zumindest rudimentäre Bedienungshilfe fürs Fahren und Schießen. Habe ich aus Versehen die Anleitungen weggeworfen? Ist hier irgendwo ein QR-Code für eine Online-Hilfe? Nö. «Okay, dann eben nicht. Ich kenne die Spiele ja», denke ich mir und entscheide mich für Mario Kart.
Ab in die virtuelle Hecke: Mario Kart 8 Deluxe
Ich starte das Spiel, wähle selbstbewusst den zweithöchsten Schwierigkeitsgrad 150cc (Schließlich bin ich Profi!) und bin schon wieder überfordert. Ich soll aus 42 verschiedenen Figuren meinen Fahrer auswählen. Mario, Luigi, Yoshi in neun verschiedenen Farben, Donkey Kong und noch diverse andere Gestalten bieten sich an. Fragt sich nur: Geht’s hier lediglich um die Optik oder hat jeder Charakter verschiedene Fahreigenschaften wie Gewicht, Beschleunigung oder Kurvenverhalten? Beim SNES war das so – und hier? Ich weiß es nicht, denn ich habe ja keine Anleitung und will nicht googlen, sondern endlich spielen. Also wähle ich einen grünen Yoshi und drücke OK.
Danach darf ich mir einen fahrbaren Untersatz aussuchen, inklusive Räder und Gleitschirm. Das ist einfach, denn anhand einer Balkenanzeige sehe ich, welche Zusammenstellung mir welche technischen Vorteile bringt.
Anschließend noch schnell einen der zwölf Grand Prix angeklickt und ab geht’s. Lakitu schwingt wie schon beim SNES die Startfahne und … ich weiß nicht, wo ich hinfahren muss. Ja klar, nach vorne. Irgendwie. Aber wo ist vorne? Im Gegensatz zu den herrlich übersichtlichen, wie mit dem Geodreieck gezeichneten Straßen des Super Nintendos sind die meisten Strecken von Mario Kart Deluxe 8 gefühlt überall und nirgendwo. Ich fahre die gewundenen Wege des bonbonfarbenen Sweet Sweet Canyon hoch und wo eben noch oben war, ist nun unten. Die Grafik ist auch im Hintergrund dermaßen detailreich, dass ich in Anbetracht des rasanten Tempos kaum erkennen kann, ob ich noch auf der Strecke bin oder schon ins Hecken-Äquivalent brettere. Ich eiere auf einem der letzten Plätze ins Ziel. Yoshi guckt genauso traurig wie ich. I feel you, kleiner Dino.
Schlitterpartie: Super Mario Bros. U Deluxe
Leicht gefrustet wechsle ich das Spiel. Und siehe da: Bei New Super Mario Bros. U Deluxe ist alles beim Alten. Ich renne als Mario durch eine glattgebügelte 2D-Ebene, kicke lässig ein paar Gegner aus dem Weg und hüpfe beschwingt an die Zielfahnen der ersten Level. Dieses Mal war ich schlauer und hatte mich informiert aka das Internet bemüht. Dort war ich auf mehrere Videos gestoßen, die mir versicherten, dass die ersten Welten im Eichenhain, wie das Startgebiet heißt, einfach sind. Das tut meinem 40-jährigen Ego gut und ich fasse neuen Mut. Das Spiel erinnert mich mit seinen wippenden Pilzlandschaften, den sanften Hügeln und den grünen Röhren stark an seinen Vor-Vor-Vorgänger auf dem SNES.
Doch leider bremsen mich auch dieses Mal die Spielentwickler aus. Spätestens auf der dritten Landkarte ist Schluss: In den Eiswürfeleisfällen schlittere ich öfter in den Abgrund, als Mario grüne 1up-Pilze findet. Außerdem soll es hier Geheimausgänge geben, die den Weg zur zu rettenden Prinzessin Peach abkürzen, welche mir verborgen bleiben. Ich muss mir eingestehen: Ich bin lost – und zwar komplett. Waren die Spiele früher auch schon so schwierig? Dunkle Gedanken in Richtung The Lost Levels ziehen auf… Und hatten Neurowissenschaftler nicht herausgefunden, dass kindliches Zocken das Gehirn nachhaltig trainiert?
Dieses Medley von Nintendo demonstriert mein Dilemma mit dem steigenden Schwierigkeitsgrad über die Zeit sehr gut:
Hilfe eilt herbei
Also tue ich das, was ich früher schon tat, wenn ich beim Zocken verzweifelte. Ich rufe meine (inzwischen 37-jährige) Cousine an. Sie war als Kind genauso verrückt nach Nintendo wie ich und wusste bereits damals stets Rat. Sie rückt an und wir verschanzen uns ein ganzes Wochenende mit Pizza in meinem Wohnzimmer. Zugegeben, auch zu zweit haben wir an manchen Leveln und Rennstrecken zu knabbern. Insbesondere was die Geheimgänge in New Super Mario Bros. U Deluxe angeht, erweist sich YouTube als echter Gamechanger (Achtung Wortwitz!). Wir finden nie vermutete Abkürzungen in Geisterhäusern sowie hohlen Wänden und befreien Marios geliebte Prinzessin.
Fazit: Inzwischen liebe ich die Mario-Spiele auf der Switch und habe noch ein drittes Game aus der Reihe, Yoshi’s Crafted World, gekauft. Ebenfalls ein klassisches Jump ’n’ Run, in dem Yoshi selbst der Protagonist ist. Das Großartige an diesem Spiel ist: Es gibt einen Easy-Modus, in dem Yoshi fliegen kann und damit nahezu unsterblich ist. Womit mein Ego dann auch beruhigt wäre.
Als Kind wurde ich mit Mario Kart auf dem SNES sozialisiert, bevor es mich nach dem Abitur in den Journalismus verschlug. Als Teamleiterin bei Galaxus bin ich für News verantwortlich. Trekkie und Ingenieurin.