«Manor Lords» angespielt: schon jetzt unfassbar gut
«Manor Lords» ist eine komplexe Städtebausimulation mit enorm viel Tiefgang. Es spielt sich überraschend entspannt, obwohl es epische Echtzeitschlachten bietet. Trotz Early Access kann ich es kaum weglegen.
Es ist das heisserwartetste Spiel der Stunde. Über drei Millionen mal wurde «Manor Lords» bei Steam auf die Wishlist gepackt. Kein Wunder. Die Mischung aus Städtebau-, Wirtschaft- und Echtzeitschlachtsimulation in einem wunderschönen Mittelaltersetting klingt vielversprechend. Dass mit Greg Styczeń ein Solo-Entwickler hinter dem Projekt steckt, macht es noch beeindruckender. Das Spiel des Polen startet am 26. April im Early Access und zählt schon jetzt zu meinen Highlights des Jahres.
Everything is connected
Ich starte das Spiel mit einer Handvoll Siedler. Die Welt ist in acht Gebiete aufgeteilt, doch steht mir zu Beginn nur eins zur Verfügung. Den Standort für mein neues Dorf wähle ich so, dass es in der Nähe von strategisch sinnvollen Ressourcen liegt. Nahrung und Holz sind das essenziellste, also errichte ich meine ersten Gebäude in der Nähe eines Waldes, der gleichzeitig ein Jagdgebiet enthält. Etwas weiter entfernt habe ich ausserdem Zugang zu Beeren, Lehm, Eisen und Stein.
Um Baumaterial und Brennholz zu bekommen, platziere ich ein Holzfällerlager und eine Brennholzhütte auf dem Gelände. Brennholz benötige ich für den Betrieb aller Gebäude. Es ist das Äquivalent zum Strom in «Cities Skylines». Zusätzlich bewahrt es mein Volk davor, im Winter zu erfrieren. «Manor Lords» simuliert nämlich das Wetter und die Jahreszeiten. In den kalten Monaten wird mehr geheizt, darum tue ich gut daran, genügend Nahrung und Brennholz auf die Seite zu legen.
Für die Nahrung folgt als Nächstes die Jagdhütte. Die setze ich möglichst nahe an das Wildaufkommen. Zu nahe und das Wild zieht weiter, weil sein Lebensraum bedrängt wird. Meine Bewohnerinnen steuere ich nicht direkt. Auch wenn ich jede Person anklicken kann, um zu sehen, wie sie heisst und was sie gerade tut. Sie sind in Familien aufgeteilt, die ich verschiedenen Gebäuden zuweisen kann. Nicht zugewiesene Familien kümmern sich selbstständig um offene Bauprojekte.
Dabei fällt mir ein erster faszinierender Aspekt auf. Ich kann Bewohner bei ihrem gesamten Tagesablauf verfolgen. Zimmern sie ein Haus, holen sie erst den Ochsen aus dem Stall. Damit schleppen sie einen Baumstamm vom Holzfällerlager zur Baustelle. Da ich anfangs nur einen Ochsen besitze, teilen sich alle das arme Tier. Entsprechend langsam kommen meine Bauprojekte voran. Ich könnte einen zweiten kaufen, aber dafür fehlt mir das Geld. Und auch dann muss ich warten, bis ein Händler den bestellten Ochsen vorbeibringt. «Manor Lords» simuliert die kleinsten Dinge und das macht das mittelalterliche Dorfleben spannend.
Neben Ressourcen-Abbau sind Wohnräume unerlässlich. Für den Bau von Hofstätten kann ich relativ frei ein Raster zeichnen. Je nach Grösse und Anordnung bietet es Platz für grössere oder kleinere Häuser und teilweise auch Gärtchen. Hofstätten bieten nämlich nicht nur Unterschlupf für meine Bewohner, sondern können auch Dinge produzieren. Neben einem Gemüse-Garten kann ich Hühner halten oder eine Schneiderei errichten. Solche Upgrades kosten, versorgen mein wachsendes Dorf aber mit wichtigen Ressourcen, die wiederum Bedürfnisse erfüllen, um die Hofstätten auf einen höheren Level zu bringen. Das wiederum sorgt für höhere Steuereinnahmen. Alles ist miteinander verknüpft.
Organisch und lebendig
Mehr Hofstätten ziehen mehr Familien an, die ich an der neuen Schmiede, dem Brotbackofen oder der Gerberei arbeiten lasse. Besonders gefällt mir, wie organisch mein Dorf heranwächst. In den meisten vergleichbaren Aufbauspielen verfalle ich fast immer in eine symmetrische Rasteranordnung. Eichenau hingegen – so heisst mein Dorf – könnte direkt aus einem alten Geschichtsbuch stammen. Auch die rudimentären Pfade, die ich errichte, sind kurvig und schlängeln sich an den Gebäuden entlang. Wohnhäuser wechseln sich ab mit Fertigungsstätten, die Kirche ist – wie könnte es anders sein – mitten im Dorf und Marktstände finden sich an verschiedenen Ecken.
Je länger ich spiele, desto komplexer wird «Manor Lords». Kompliziert fühlt es sich deswegen nicht an. Wenn du die Grundsätze verstanden hast, sind fast alle Mechaniken einleuchtend. Ressourcen sind physische Elemente, die von A nach B geschafft werden müssen, Personen gehen ihrem Tagewerk nach. Mal brauchen sie Wasser, mal Schlaf und wenn die Kirchenglocke läutet, dann ist es Zeit für die Messe. Auch, dass die Felder der Bauern erst Ertrag geben, wenn genug Zeit verstrichen ist und die Jahreszeit passt, ist einleuchtend. Genauso wie der Boden ohne Fruchtwechsel zu schnell an Nährstoff verliert und ich die Mälzerei wohl bis auf Weiteres einstellen kann. Ich habe nämlich Weizen statt Gerste angepflanzt.
Visuell sieht «Manor Lords» fantastisch aus. Ich kann weit herauszoomen, bis ich die ganze Weltkarte sehe. Oder ich scrolle ganz nahe heran, bis ich meinen herumwuselnden Untertanen von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehe. Der Detailgrad ist dabei gar nicht besonders hoch, aber das Design schafft es irgendwie, das Spiel fast wie ein AAA-Titel aussehen zu lassen. Wo hingegen überraschend viele Details drinstecken, ist beim Bau neuer Gebäude. Ich kann zusehen, wie erst das Fundament gelegt wird, dann folgen die Wände, der Dachrost und zum Schluss das Dach. Ich bin kein Zimmermann, aber für mich sehen die Rohbauten sehr realistisch aus. Ich kann mich daran jedenfalls kaum sattsehen. Genauso wenig kann ich mich am Soundtrack satthören. Die mittelalterlichen Klänge aus Fidel, Flöte und Laute passen perfekt zum entschleunigenden Spielgeschehen. Und sie sind subtil genug, sodass sie auch nach vielen Stunden nicht nerven sollten.
Auf in die Schlacht
«Manor Lords» ist nicht nur ein Städtebausimulator, sondern bietet auch Massenschlachten in Echtzeit. In meinen knapp zehn Stunden habe ich davon aber noch nicht allzu viel zu sehen bekommen. Laut Entwickler ist das kein Zufall. Das Aufeinanderprallen von Hunderten von Soldaten weckt oft den Vergleich zur «Total War»-Reihe, die berühmt ist für ihre epischen Schlachten. Die gibt es auch in «Manor Lords», seien aber deutlich seltener, schreibt Styczeń. Respektive hängen sie, wie so vieles, von deinen Expansionsgelüsten ab. Wenn ein kleiner Napoleon (ist das jetzt ein Pleonasmus?) in dir steckt und du dich mit jedem anderen Herrscher anlegst, wirst du auch mehr Kämpfe bestreiten.
Ich habe meine Miliz bisher nur auf Banditenlager losgelassen. Meine Armee aus rund 60 Mannen hat dabei kurzen Prozess mit den Gesetzlosen gemacht. Viel Taktik war nicht nötig. Ich klicke meine Truppen an und schicke sie in den Kampf. Das ist bei grösseren Armeen sicherlich anders. Spannend finde ich, dass ich die Armeen nicht einfach aus dem Hut zaubern kann. Will ich keine Söldner anheuern, kommen die Soldaten aus meiner Bevölkerung. Bei einer Milizarmee fehlen sie anschliessend im Tagesgeschäft. Und ihre Ausrüstung wie Bögen, Speere und Schilder muss ich auch erst anfertigen. Und wenn ich die Armee auflöse, müssen sie zuerst ihren Weg zurück zur Heimat finden, bevor sie wieder zum Schmiedehammer oder der Säge greifen können.
Wie Early ist die Early-Access-Version?
Wo sich der Early Access am ehesten zeigt, ist bei der fehlenden Transparenz gewisser Zusammenhänge. So verstehe ich manchmal nicht, warum Familien nicht in freie Häuser ziehen und das Spiel sich stattdessen über Obdachlose beschwert. Später wiederum habe ich zwar nur Wohnraum für 25 Familien, ansässig sind jedoch weit über 40 und niemand murrt? Oder warum das Bedürfnis nach verschiedenen Lebensmittelständen in einigen Häusern unerfüllt bleibt, obwohl der Markt alles bietet. Welchen Vorteil bringt eine Pfarrfamilie? Die Leute scheinen auch so regelmässig zur Messe zu gehen. Die Deutsche Übersetzung ist auch noch fehlerhaft und unvollständig. Hier werden kommende Updates sicher vieles verständlicher machen.
Fazit: Schon jetzt ein Meilenstein
«Manor Lords» ist ein beeindruckendes Spiel. Es bietet enorm viel Spieltiefe, ohne zu überwältigen. Dass alle Mechaniken ineinandergreifen, macht die Dörfer und Städte enorm lebendig. Jede einzelne Person hat ihre Aufgabe, selbst der Ochse, der Baumstämme herumschleppt und wie ein Mobility-Auto von allen gleichzeitig genutzt wird. Und endlich schafft es ein Städtebausimulator, dass meine Ortschaften organisch wachsen und nicht nach einer Mittelalterversion von New York aussehen.
Dem Treiben meiner blühenden Stadt könnte ich stundenlang zusehen. Karren werden durch den Schlamm gezogen, Häuser werden Balken für Balken errichtet und meine stramme Milizarmee wartet auf ihren Einsatz. Das alles liefert «Manor Lords» bereits in der Early-Access-Version. Fans von historischen Aufbauspielen mit einer Prise Echtzeitschlachten können bedenkenlos zugreifen. Wer warten kann, ist mit Version 1.0 trotzdem besser bedient. Sie erscheint frühestens in einem Jahr. Verschiedene Aspekte wie der Burgplaner sind noch unfertig, die deutsche Übersetzung ist erst bruchstückhaft umgesetzt und viele neue Elemente werden erst noch ihren Weg ins Spiel finden. Ungeduldige werden dennoch schon jetzt sehr viel Spass mit «Manor Lords» haben.
«Manor Lords» ist ab dem 26. April im Early Access für PC verfügbar. Das Spiel wurde mir von Slavic Magic zur Verfügung gestellt.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.