Meta Quest Pro im Test: Unfertiger Vorbote
Metas neues VR-Headset für professionelle Anwendungen soll richtungsweisend sein. In der Praxis scheitert es an den Grenzen der aktuellen Technologie und der schlechten Software.
CEO Mark Zuckerberg verwettet Metas Zukunft auf die virtuelle Realität. Sein neuestes Vorzeigeobjekt ist das Quest Pro, ein High-End-Headset für 1600 Franken oder 1800 Euro. Es ist nicht im Sortiment von Digitec Galaxus zu finden, weil Meta es hierzulande nur direkt vertreibt. Ich teste das Gerät trotzdem, um herauszufinden, welche Fortschritte die VR-Technologie macht. Wenn das Quest Pro der Massstab für die Entwicklung ist, sehe ich schwarz.
Anfänglicher Wow-Effekt
Als ich das Quest Pro zum ersten Mal aufsetze, bin ich beeindruckt: Mehrere Kameras am Headset filmen meine Umgebung und geben sie in Echtzeit auf den Displays wieder. Das nennt sich Passthrough-Modus. Die physische Realität meines Wohnzimmers wird mit virtuellen Elementen angereichert. Vor mir schweben eine Menükonsole und ein Dialogfenster – fix positioniert im Raum. Ich kann mich frei bewegen und sie umrunden, sie bewegen sich keinen Millimeter. Die Menüs steuere ich mit Handgesten. Minority Report lässt grüssen.
Was ich in meinen ersten Minuten mit dem Quest Pro erlebe, ist Mixed Reality (MR). Eine Mischung aus physischer und virtueller Realität. Diese Funktion ist eine der grössten Neuerungen gegenüber Metas letztem Headset Quest 2. Dieses hat zwar ebenfalls einen Passthrough-Modus, aber nur in Schwarz-Weiss und sehr schlechter Qualität. Auch die Controller des Quest Pro sind neu, sie haben jetzt je einen eigenen Prozessor und mehrere Kameras fürs Tracking verbaut. Dadurch sind sie kompakter, präziser und zuverlässiger als beim Quest 2, wo die Kameras im Headset die Controller tracken müssen. Das Pro verfolgt zudem nicht nur Handbewegungen, sondern mit Kameras auf der Innenseite auch die Mimik. Die Auflösung der zwei Bildschirme im Headset beträgt je 1800 × 1920 Pixel bei 90 Hertz Bildwiederholrate. Das ist praktisch identisch zum Quest 2.
Virtuelles Büro: Idee gut, Umsetzung mangelhaft
Das Meta Quest Pro ist – wie der Name schon sagt – nicht für Gaming, sondern für professionelle Anwendungsgebiete gedacht. Ich soll damit an einem virtuellen Arbeitsplatz produktiv sein können. Meetings mache ich im Metaverse, statt in der physischen Welt. Soziale Interaktionen sollen sich echter anfühlen als in einem Videochat: Mein virtueller Avatar hält dank Mimik-Tracking den Augenkontakt und kann lächeln. Das sind interessante Konzepte, sie scheitern in der Praxis an den Grenzen der Hardware und an schlechter Software.
Metas virtueller Arbeitsplatz nennt sich «Horizon Workrooms» und sorgt bei mir anfangs für Wow-Momente. Es ist cool, plötzlich in einem 80-Quadratmeter-Büro zu sitzen. Mit Seesicht. Obwohl die Grafik nicht ganz zeitgemäss wirkt, fühle ich mich an einen anderen Ort transportiert. Die Verbindung zwischen Workrooms und meinem Macbook klappt problemlos. Dafür müssen Laptop und Headset mit dem gleichen Netzwerk verbunden sein und ich brauche auf dem Computer eine App. Danach wird der Bildschirminhalt in die virtuelle Realität gespiegelt – auf einen riesigen Curved-Monitor, der in angenehmer Distanz vor mir schwebt. Auf Wunsch kann ich die Arbeitsfläche um zwei weitere Bildschirme der gleichen Grösse erweitern. So wird aus einem Laptop-Bildschirm in einem kleinen Büro eine riesige Schaltzentrale.
So weit so beeindruckend. Doch der Teufel steckt im Detail. Da wären zunächst die Eingabeverzögerung und die sporadischen Aussetzer der Übertragung. Das liegt wohl daran, dass die Geräte über den Umweg des Routers miteinander verbunden sind, statt direkt per Bluetooth oder Kabel. Das nächste Problem ist das Tracking der physischen Tastatur. Meine Logitech MX Keys gehört zu den wenigen vordefinierten Modellen, die das Quest Pro unterstützt. Die Kameras verfolgen ihre Position und das Headset projiziert eine virtuelle Kopie in meinen «Workroom». Da physische und virtuelle Realität übereinstimmen, soll ich weiterhin die Tasten treffen. Leider funktioniert das nicht zuverlässig und die echte Tastatur befindet sich oft ein paar Zentimeter weiter rechts von der virtuellen. Abhilfe schafft der partielle Passthrough-Modus, der den Tischbereich auf Mixed Reality umstellt. Das ist allerdings weniger elegant.
Das grösste Hindernis für das Arbeiten in «Horizon Workrooms» ist die geringe Auflösung des Quest Pro. Sie ist für Bilder in Ordnung, für Texte jedoch viel zu schlecht. Weisse Flächen flackern zudem wie bei einem alten Röhrenfernseher. Länger als eine Stunde am Stück halte ich es nicht aus im virtuellen Büro, bevor ich Kopfschmerzen bekomme. Immerhin komme ich so nie an die Grenzen der Akkulaufzeit von rund zwei Stunden.
Virtuelle Meetings bringen neben den Komfortproblemen zusätzliche Hürden mit sich. Für die Startsequenz unseres Podcasts will ich mich virtuell mit meinen Redaktionskollegen Philipp Rüegg und Luca Fontana treffen. Phil hat ein Quest 2, Luca hat kein Headset. Die erste Frage, die sich stellt: Wie eröffne ich überhaupt ein Meeting? Wie sich herausstellt, geht das nicht im Quest Pro selbst, sondern nur im Browser am Computer. Rufe ich dort meinen Meeting-Room auf, kann ich Personen einladen. Bloss: Die Einladungen kommen manchmal nicht an. Manchmal führt ihr Link zu einer Fehlermeldung. Und wenn nicht, ist unklar, wie die andere Person dem Meeting im Headset beitreten soll. Metas katastrophale Software versetzt dem professionellen Anspruch des Quest Pro den Todesstoss.
Nach über einer halben Stunde schaffen wir es und sitzen in meinem Test-Raum in einem griechischen Strandhaus. Phil und ich als Avatare, Luca auf einem virtuellen Fernseher. Die Figürchen haben Sims-Ästhetik, bloss ist die Grafik noch schlechter als damals. Ausserdem haben wir keine Beine. Immerhin ist die Tonqualität in Ordnung und das Tracking von Händen und Mimik funktioniert bei mir nicht schlecht. Mein Avatar hat allerdings ständig die Augen halb geschlossen – als wäre er extrem gelangweilt. Wir sind uns alle einig: Ein Gefühl von echter Präsenz kommt so nicht auf. Über unsere Erfahrungen haben wir auch im Podcast gesprochen:
Virtuelles Social Media: Eindrücklich und beängstigend
Wie sieht das in anderen sozialen Interaktionen aus? Metas hauseigenes Social-VR-Netzwerk «Horizon Worlds» ist in der Schweiz noch nicht verfügbar. Ich teste deshalb das plattformübergreifende VRChat. Hier kann ich als Avatar in verschiedene Welten eintauchen, in denen sich andere Menschen bewegen. Mir fällt es schwer, mich zu orientieren und ich weiss nicht so recht, was ich hier soll. Ich versuche verschiedene Welten. Schliesslich lande ich in «No Time Two Talk», quasi einer VR-Version von «Chat Roulette». Nach dem Zufallsprinzip werde ich mit jeweils einer anderen Person in einen Raum gesteckt. Nach ein paar Minuten kann ich die Zeit verlängern, wenn mein Gegenüber das auch möchte. Ansonsten werde ich mit jemand neuem verbunden. Das Konzept fühlt sich in VR weitaus intimer an, als in einem Chat oder per Video.
Ich führe ein paar Unterhaltungen in «No Time Two Talk». Eine 16-jährige Ungarin erzählt mir zum Beispiel, dass sie in VRChat ihr Englisch übt. Denn die meisten Leute hier würden aus Amerika stammen. Diesen Eindruck habe ich auch. Ein Schüler aus Tenessee spielt mir ein Lied auf seiner Ukulele. Warum er hier ist? Hausarrest. Er ist neidisch, als ich ihm erzähle, dass ich Schweizer bin. «Dort müsste ich wenigstens keine Angst haben, in der Schule abgeknallt zu werden. Bei uns ist das ein echtes Problem.» Der häufigste Grund, warum Leute Zeit in der virtuellen Realität zu verbringen scheinen: Sie sind gelangweilt in ihrem echten Leben.
Was mir bei meinen nicht-repräsentativen Besuchen in VRChat auffällt: Es wimmelt von Kindern. Gefühlte 80 Prozent sind nicht volljährig, das jüngste Mädchen sagt, sie sei erst sieben Jahre alt. Das zeigt eines der grössten Probleme von Social-VR-Media auf: Welche Gesetze gelten hier? Wer legt sie fest? Wer setzt sie durch? Was sind die Konsequenzen, wenn sich jemand nicht daran hält? Meine persönlichen Erfahrungen bisher waren chaotisch, die virtuelle Realität wirkt anarchistisch. Gleichzeitig gehen Erlebnisse deutlich stärker unter die Haut als in einem Computerspiel oder auf klassischen Social-Media-Plattformen. Diese Kombination aus Anonymität und Intimität kann toll oder traumatisierend sein – insbesondere für Kinder. Fest steht: Falls die Beliebtheit solcher Plattformen steigt, wird die Moderation zu einer Herkulesaufgabe.
Design und Komfort: Kopfpresse
Neben solchen ethischen Problemen muss ich auch noch über die unbefriedigende Hardware sprechen. Das neue High-End-Headset ist mit 722 Gramm deutlich schwerer als das Quest 2 mit 503 Gramm. Dafür ist das Gewicht besser ausbalanciert. Der Akku sitzt am Hinterkopf und ist mit zwei starren Bügeln mit dem vorderen Teil des Geräts verbunden. Hinten und vorne befinden sich Polster. Du ziehst das Quest Pro auseinander, setzt es dann auf und kannst es enger machen wie einen Skihelm. Zu den Seiten und nach unten hin ist das Headset offen. Meta liefert magnetische Scheuklappen mit, welche die Öffnungen links und rechts abdecken können. Eine grössere Abdeckung, die auch den unteren Spalt zumacht, gibt es als Zubehör.
Das Quest Pro hat keine eingebaute Dioptriekorrektur. Das ist dank des Designs auch nicht nötig. Weil es nur an Hinterkopf und Stirn aufliegt, kannst du es mit aufgesetzter Brille tragen. Sogar mein grosses, rundes Modell passt darunter – den Abstand zwischen Gesicht und Headset-Linsen kann ich mittels Drehrad auf der Oberseite verstellen. So rücken allerdings die Displays etwas weiter weg von meinen Augen. Die Balance ist gut, das Headset zieht den Kopf nicht nach vorne wie das Quest 2. Bei dem ist das ganze Gewicht auf den Vorderteil konzentriert. In den Seitenbügeln befinden sich Mikrofone und Lautsprecher für die räumliche Tonwiedergabe. Die Qualität ist in Ordnung und ich finde es praktisch, dass ich keine zusätzlichen Kopfhörer brauche.
Das Problem des Quest Pro: Ich bekomme Kopfschmerzen davon. Damit das Headset trotz des Gewichts nicht verrutscht, muss ich es eng einstellen. Das fühlt sich an wie eine Kopfpresse, die meinen Schädel zusammendrückt. Dank der Polster ist das für kurze Sessions in Ordnung, nach spätestens einer Stunde wird es unangenehm. Mein zweiter Kritikpunkt ist das offene Design. In Mixed-Reality-Anwendungen ist es angenehm, ein bisschen von der physischen Welt ohne Umwege durch die Brille zu sehen. Sobald ich in eine komplett virtuelle Realität eintauche, finde ich es irritierend – und mir wird nach kurzer Zeit schlecht. Das Problem hat sich auch nach vielen Stunden Eingewöhnung nicht gelegt.
Fazit: In diesem Tempo wird das nichts
Die Hindernisse auf dem Weg zu Mark Zuckerbergs Vision scheinen mir unüberwindbar gross zu sein. Der Meta-CEO glaubt felsenfest daran, dass die virtuelle Realität die Zukunft seines Unternehmens sichern kann. Seine Überzeugung ist so gross, dass er dieses Jahr 10 Milliarden Dollar in den «Reality Labs» verbrennt – Metas Abteilung für Virtual, Mixed und Augmented Reality. Das Meta Quest Pro zeigt: Damit diese Wette aufgeht, muss noch sehr viel passieren. Ich habe grosse Zweifel, ob Zuckerbergs alte Plattformen Facebook und Instagram die Entwicklung lange genug quersubventionieren können.
Der Fortschritt vom zwei Jahre alten Quest 2 zum neuen Profimodell ist enttäuschend klein. Die Bildqualität ist nicht nennenswert besser geworden und noch immer viel zu schlecht. Formfaktor und Gewicht bleiben ebenfalls grosse Probleme. Einzig in Sachen Mixed Reality und Tracking ist eine Entwicklung spürbar. Doch das reicht bei weitem nicht. Sobald der erste Wow-Effekt der neuen Erfahrung erstmal verpufft ist, verbringe ich kaum freiwillig Zeit in der virtuellen Realität – es ist zu unbequem und die Software ist unbefriedigend.
Metas Konzepte von virtueller und gemischter Realität sind nicht uninteressant. Dinge wie
«Horizon Workrooms» könnten für gewisse Leute sehr nützlich sein. Sie scheitern aber kläglich am aktuellen Stand der Technik. Auch Meetings im Metaverse sind ein Alptraum – eine Videokonferenz klappt viel besser und ein persönliches Treffen schlägt sowieso nichts. Am meisten Spass machen Dinge wie VRChat und Games. Auf letztere gehe ich in diesem Test nicht ein, diese Beurteilung überlasse ich den Spezialisten auf unserer Redaktion. Doch in beiden Anwendungen hebt sich das Pro kaum vom Quest 2 ab, das einen Drittel kostet.
Für Endkundinnen und Endkunden ist das neue Headset ein Desaster. Mit 1600 Franken oder 1800 Euro ist es im Profi-Segment positioniert, obwohl das Gerät für Profis völlig ungeeignet ist. Ich kann es deshalb niemandem empfehlen. Das Meta Quest Pro ist nicht mehr als ein unfertiger Vorbote von Mark Zuckerbergs Zukunftsvision.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.