«Rainbow Six»: Wie Tom Clancy, Red Storm und Ubisoft Geschichte geschrieben haben
Rainbow Six ist eine der ältesten und produktivsten Spiel-Serien überhaupt. Am Anfang stand aber viel Skepsis, weil das Spielkonzept so gar nicht zum damaligen Trend der schnellen Egoshooter passte.
13 Hauptspiele, sechs Erweiterungen und zwei Mobile-Ableger sind von der «Tom Clancy’s Rainbow Six»-Serie seit 1998 erschienen. Der Name steht stellvertretend für das Taktik-Shooter-Genre. Entscheidend dazu beigetragen hat die Person, die auch im Titel zu finden ist: Tom Clancy.
Dem US-Autor gelingt bereits 1984 mit seinem allerersten Roman «Die Jagd auf Roter Oktober» der Durchbruch. Die meisten dürften das Werk in Form der gleichnamigen Verfilmung mit Sean Connery und Alec Baldwin aus dem Jahr 1990 kennen. Der U-Boot-Thriller um verfeindete Grossmächte im Kalten Krieg markiert den Startschuss für eine Reihe von Romanen, die sich mehrheitlich um militärische Spezialeinheiten drehen.
Clancy gibt sich mit Filmadaptionen alleine nicht zufrieden und gründet Clancy Interactive Entertainment. Zusammen mit einem kleinen Game-Studio und einem Publisher entsteht 1996 der U-Boot-Simulator «Tom Clancy's SSN» – basierend auf dem gleichnamigen Roman. Das militärische Fachwissen liefert der ehemalige Captain der britischen Navy, Doug Littlejohns. Es ist das erste von mittlerweile über 40 Spielen, das den Namen des Autors als Label trägt. Das Spiel ist so erfolgreich, dass die drei Unternehmen im selben Jahr zusammengelegt werden und Clancy mit Littlejohns Red Storm Entertainment gründet. Auch hier dient ein Roman als Namensgeber.
Realismus, statt wilde Baller-Action
Die Weichen für das bis heute andauernde Imperium werden aber erst zwei Jahre später gestellt. Davor entwickelt Red Storm ein «Risiko»-ähnliches Taktikspiel, gefolgt von einem Echtzeitstrategie-Spiel mit Aliens. Danach wagt sich das Team an ein noch unbekanntes Genre: den Taktik-Shooter. Nicht nur das, mit Shootern allgemein hat Red Storm laut Entwickler Greg Stelmack keine Erfahrungen gesammelt.
Das Projekt heisst zu Beginn «Black Ops», nach den geheimen Militär-Sondereinheiten, bevor es in «Rainbow Six» umbenannt wird. Die Geschichte orientiert sich an Clancy’s elften und gleichnamigen Roman, der zur selben Zeit entsteht. Rainbow rührt von «Rainbow Nation» her. So wurde Südafrika nach der Apartheid genannt. Da in «Rainbow Six» nicht nur US-Spezialisten im Einsatz stehen, passt der Begriff besser. «Six» wiederum steht im US-Militär für den Rang eines Captains. Die Hauptperson im Spiel ist zwar eher als «Major General» zu bezeichnen, «Rainbow Six» klingt jedoch besser als «Rainbow Eight»
Das Spiel soll sich drastisch von den damals populären «Doom»-, respektive «Quake»-Klonen, unterscheiden. Statt auf schnelle, futuristische Baller-Action setzt Red Storm auf authentische Waffen, Realismus und langsames, taktisches Vorgehen. Ziel ist es, echte Anti-Terror-Einsätze nachzubilden – zumindest so weit das Sinn macht. «In der Realität stehen 40 bis 100 Personen im Einsatz, uns war aber klar, dass das für Spieler unmöglich zu managen wäre», sagt Designer Brian Upton in einem Behind-the-Scenes-Interview. Denn das Besondere an «Rainbow Six» ist, dass du nicht eine Person steuerst, sondern mehrere Teams.
Das Spiel beginnt mit der Planungsphase, in der du auf einer Blaupause des Levels den Weg und das Vorgehen einzeichnest. Acht Spezialeinheiten gilt es aufzuteilen und mit farbigen Linien durch den Level zu leiten. Das Spiel liefert zwar eine Vorlage, aber individuelle Strategien machen den grössten Reiz aus. Du bestimmst, welche Waffen eingesetzt und wo Türen aufgesprengt werden oder ob es Bomben-Entschärfungskits braucht.
Erst wenn die Planung abgeschlossen ist, schlüpfst du selbst in die Rolle der Spezialeinheit. Dort lauert die nächste Überraschung. Anders als in typischen Shootern aus der damaligen Zeit sprintest du nicht herum und ballerst wild um dich. Schon ein einziger Treffer ist tödlich – wiederbeleben gibt es nicht. Die Gegner fackeln nicht lange herum und sind äusserst treffsicher. Wiederum sind auch sie nicht kugelsicher und mit einem gezielten Schuss ausgeschaltet. Durchdachtes Vorgehen und gezielter Einsatz der Ausrüstung ist essenziell für den Erfolg einer Mission.
Teamwork statt schnelle Reflexe
Der Aspekt, der dem bisher erfolgreichsten Teil der Serie «Rainbow Six: Siege» den Weg ebnen sollte, ist der Multiplayer-Modus. Frenetische Deathmatches gegen andere Spielerinnen sind dank «Quake» und «Unreal» Ende der 90er-Jahre omnipräsent. Die deutlich langsameren, dafür taktischeren Team-Gefechte im ersten «Rainbow Six» bieten ein komplett anderes Erlebnis. Statt Bots Befehle zu erteilen, organisieren sich Spieler über Voice Chat – lange bevor es TeamSpeak, geschweige denn Discord gibt.
Bevor «Rainbow Six» an der E3 1998 erstmals der Öffentlichkeit gezeigt wird, sind die Verantwortlichen sehr nervös. «Wir waren gestresst. Wir hatten keine Power-Ups. Stattdessen hatten wir ein realistisches Kampfsystem, wo du bereits nach einem Schuss stirbst, dazu eine komplizierte Planungsphase. Wir hatten keine Ahnung, ob irgendwas davon Spass macht», erinnert sich Produzent Carl Schnurr.
Die Game-Messe in Los Angeles kommt genau zur richtigen Zeit. «Da spürten wir zum ersten Mal, dass wir etwas Magisches kreiert haben», sagt Schnurr. Die zwei spielbaren Missionen von «Rainbow Six» locken massenweise Spieler an. Viele kommen mehrfach zurück und bringen ihre Kollegen oder Chefs mit. Mit der gewonnenen Motivation schliesst Red Storm die restliche Entwicklung in wenigen Monaten ab. Bereits am 21. August im gleichen Jahr steht «Tom Clancy’s Rainbow Six» in den Läden. Das Game ist ein Hit, sowohl bei Kritikern als auch den Spielern, und löst eine Welle von Taktik-Shootern aus. «Delta Force», «Conflict: Desert Storm», «Swat» und «Counter-Strike» verdanken ihren Erfolg Red Storm.
Nur ein Jahr später erscheint mit «Eagle Watch» nicht nur eine Erweiterung, sondern mit «Rogue Spear» auch der nächste Teil der Serie. Dort feiert ein bis heute populärer Modus Premiere: Terrorist Hunt. Darin machst du mit Freunden Jagd auf computergesteuerte Terroristen. Die Schnee-Map aus «Rogue Spear» dient später als Inspiration für das Chalet in «Rainbow Six: Siege».
Ubisoft übernimmt das Zepter
Im Jahr 2000 wird Red Storm vom französischen Publisher und Entwicklerstudio Ubisoft übernommen. Über die kommenden Jahre erscheinen «Rainbow Six»-Ableger, -Ports und -Erweiterungen, die von verschiedenen Ubisoft-Studios entwickelt werden. So auch die Konsolenversion von «Rainbow Six 3». Die unterscheidet sich deutlich von der PC-Version und bedient sich technisch bei einem anderen Tom Clancy-Titel: «Splinter Cell».
Die wachsende Popularität der Konsolen sorgt allerdings auch dafür, dass die Serie zunehmend Komplexität zugunsten von actionreicherem Gameplay aufgibt. Sie verliert an Einfluss und erreicht 2006 mit «Critical Hour» den kritischen Tiefpunkt. Das Xbox-exklusive Spiel kommt bei Metacritic lediglich auf eine Wertung von 54 Prozent.
Im selben Jahr folgt bereits die Wende. Ein weiteres Ubisoft Studio veröffentlicht «Rainbow Six: Vegas». Es begeistert Kritikerinnen und Spieler dank Unreal Engine 3 mit toller Grafik und realistischen Animationen, die mit Motion Capture ermöglicht wurden. Zwar stehen nur drei Operatives zur Auswahl und das Gameplay ist nach wie vor actionfokussierter als zu Beginn der Serie, die cineastische Inszenierung wird dennoch gefeiert. Gefeiert wird auch die Premiere der Snake-Cam, um unter Türen durchzuschauen. Es sorgt zwar nicht für gleich grosse Augen wie bei der Einführung vier Jahre zuvor in «Splinter Cell», aber es gehört seither fest zum Repertoire. Genauso wie das Abseilen von Dächern, um in Fenster einzusteigen.
Aus einem verkorksten Projekt entsteht der grösste Hit
Zu einem kompletten Debakel verkommt schliesslich «Patriots». Es folgt auf das solide, aber nicht sonderlich innovative «Vegas 2». Mit «Patriots» will Ubisoft etwas Neues wagen. Richtig, erneut Ubisoft. Red Storms fokussiert sich lieber auf die parallel laufende «Ghost Recon»-Reihe, die auf Einzelspieler abzielt.
Die Kampagne von «Patriots» soll aus zwei Perspektiven gespielt werden, die der Anti-Terror-Einheit und die der Terrororganisation «True Patriots». Das Spiel wird offiziell enthüllt, ist aber noch weit von der Fertigstellung entfernt. Ein Teil des Teams wird abgezogen, um an der nächsten Tom-Clancy-Serie zu arbeiten: «The Division». 2014 gibt Ubisoft bekannt, dass «Patriots» eingestellt wurde. Fans müssen allerdings nicht lange trauern. An der E3 im gleichen Jahr wird «Rainbow Six: Siege» enthüllt. Ein Multiplayer-fokussierter Neustart, der die aktuelle Konsolengeneration voll ausnutzt.
«Siege» bietet nicht nur beeindruckend realistische Grafik, sondern auch nie dagewesene Zerstörungsphysik. Sie ist ein zentraler Aspekt des Spiels und erlaubt es den Teams, nicht nur durch Fenster einzusteigen, sondern durch Wände, Decken und Böden. Es verleiht der Serie eine neue Dynamik. Das zweite grosse Feature sind die Operators, die sich in verschiedene Klassen unterteilen. Sie besitzen einzigartige Fähigkeiten und ermöglichen neues taktisches Vorgehen.
«Siege» erscheint nach mehreren Verschiebungen im Dezember 2015 für PC, PS4 und Xbox One. Trotz umstrittener Elemente, wie dem kostenpflichtigen Season Pass, mit dem neue Operator schneller freigeschaltet werden können, ist das Spiel ein voller Erfolg. Bis heute wird es aktiv von Millionen Spielern und Spielerinnen gezockt. «Siege» zählt zu den populärsten E-Sport-Titeln überhaupt. Bereits zum zweiten Mal wurde es von der Community zum Spiel für den Digitec Playground gewählt.
Die aktuelle «Rainbow Six»-Geschichte endet nicht mit «Siege», sondern mit «Extractions». Das Spiel, das die meisten wohl wieder vergessen haben. Es handelt sich um ein Spin-off zu «Siege» und enthält mehrere Operators daraus. Auch «Extractions» ist primär ein Multiplayer-Spiel. Wie es der Titel vermuten lässt, handelt es sich dabei um einen Extraction-Shooter. Mit deinem Team kämpfst du dich durch von Alien-Parasiten verseuchte Abschnitte, um bestimmte Dinge zu extrahieren. Das Spiel fand weder bei Kritikern noch Fans besonderen Anklang.
Wie geht’s weiter? Als Erstes folgt unser hauseigener Digitec Playground, an dem die besten «Rainbow Six: Siege»-Teams aus der Schweiz gegeneinander antreten. Und danach? Das Spiel feiert 2025 seinen zehnten Geburtstag. Gerüchte um den nächsten Teil der Taktik-Shooter-Reihe sind mir keine bekannt. Klar ist aber, dass sich Ubisoft nicht vom «Extractions»-Flop abschrecken lassen wird. Wenn Ubisoft etwas kann, dann Serien melken. Und «Rainbow Six» hat sein Dienstalter noch längst nicht überschritten.
Hier kannst du dich für den Digitec Playground Cup mit «Rainbow Six Siege» anmelden:
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.