Samsung Galaxy S20 Ultra im Test: Was kann der 100x Zoom?
Das Samsung Galaxy S20 Ultra wirft hohe Wellen, aber auch Fragen auf. Der Test zeigt, dass der 100x Space Zoom zu viel verspricht und Samsung sich damit vielleicht irreparablen Schaden zugefügt hat.
Die Specs des Samsung Galaxy S20 Ultra sind Musik für die Ohren von Technerds. Ein Exynos 990, 16GB RAM und eine Kamera mit 100x Hybrid Zoom, von Samsung Space Zoom genannt.
Natürlich gibt’s Fragen. Vor allem zur Kamera, denn die hat es in sich und behauptet noch mehr. Vor allem der Space Zoom hat zu Diskussion und Interesse geführt. Denn laut Samsung ist der Effekt des Space Zoom eine Kombination aus dem 5x Zoom der Hardware, dem Rest aus Software und einer Bildaufbereitung aus künstlicher Intelligenz (AI).
und
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Na denn, Testzeit, in zwei Kantonen.
Ohne Stativ auf dem Parkplatz
Der Space Zoom kann im wesentlichen in zwei Situationen eingesetzt werden.
- Details in der Nähe vergrössern
- Grosse Distanzen überbrücken
In der Bedienung ist das ganz einfach. Kamera öffnen, Zoomen, Auslöser und gut ist.
Den ersten Test mache ich auf einem Parkplatz im aargauischen Wohlen. Da steht etwa zehn Meter von mir entfernt ein Ford Mustang in der Shelby-Edition. Da ist vorne am Kühlergrill kein Ford-Logo mehr sondern ein Rechteck mit der Schlange des Shelby-Logos.
Aus zehn Meter Entfernung mit dem Space Zoom bleibt nicht mehr viel vom Logo übrig.
Das Resultat kann sich nicht sehen lassen. Überhaupt nicht. Das ist nicht einmal Instagram-tauglich. Instagram-Bilder brauchen nicht zwingend die Qualität, die ein klassisches Foto haben muss, denn du siehst sie nur stark verkleinert, obwohl sie in voller Grösse auf dem Server Facebooks abgelegt werden. So kannst du locker über einige Unschönheiten in der Aufnahme hinwegtäuschen. Der Space Zoom Shot des Schlangenlogos aber ist nichts. Da ist nichts zu retten und jeder Täuschungsversuch wird zwingend scheitern. Die Buchstaben GT sind fast erkennbar, aber nur dann, wenn du weisst, dass unter der Schlange «GT350» steht. Die AI ist nicht in der Lage, die wohl auch recht spärlich ausgefallenen Daten aus den Kameralinsen so gut aufzupolieren, dass ich die Schlange klar erkennen kann. Oder sonst etwas.
Zudem ist es schier unmöglich, die Kamera stillzuhalten. Um den obigen Shot hinzukriegen, habe ich etwa drei Versuche gebraucht. Zwei davon haben irgendwas, das nicht Logo ist, ausgespuckt.
Ohne Stativ: Fotografieren wir Deutschland
Im St. Gallischen Rorschach, auf der Hafenmole, will ich die Ortschaft Langenargen am deutschen Ufer fotografieren. Oder so generell die Umgebung um Langenargen, denn die Kamera ist unmöglich stabilisierbar. Am Ende wird es dann «Irgendwas am Deutschen Ufer, der Seich macht mich hässig». Das Bild kommt zwar erstaunlich wenig verwackelt raus, aber auch nach der Aufnahme kann ich nicht wirklich sagen, ob ich Langenargen erwischt habe oder sonst irgendwas am Deutschen Ufer.
Langenargen ist den Rorschachern übrigens vor allem dadurch bekannt, dass die Stimme von Hafenmeister Urs Grob, ein Rorschacher Kulturgut, ihn jahrelang via Lautsprecher über den Hafen verbreitet hat wenn die Kursschiffe fahren. Langenargen ist 13.45 Kilometer von Rorschach entfernt. Die Sicht ist gut.
Es braucht viel, um das Bild dahin auszurichten, wo es hin soll. Samsung hat das wohl vorausgesehen, weshalb du im oberen linken Eck der Kamerasoftware eine Miniatur-Gesamtansicht bekommst, damit du dich im Frame orientieren kannst. Sei aber extrem vorsichtig, denn kleinste Bewegungen katapultieren dich bereits meilenweit weg.
So gut die Sicht auf den von Urs Grob berühmt gemachten Ort auch sein mag, das Bild ist nichts.
Seebueben und -meitli fragen sich schon lange, ob ich wirklich weiss, wo Langenargen liegt. Spielt das eine Rolle? Denn weder ich noch irgendein Rorschacher oder eine Rorschacherin erkennt irgendetwas auf dem Bild.
Mit Stativ: Langenargen(?) zum zweiten
«Du hast zu sehr gewackelt. Wenn die Kamera stabil ist, dann wäre das Bild besser», könnte Samsung jetzt behaupten. Denn sowohl Schlangenlogo wie auch das deutsche Ufer habe ich aus der Hand geschossen.
Den Punkt will ich Samsung nicht schenken. Daher: Stativ ausgepackt. Irgendwo habe ich mal eine Handy-Klammer der Marke SevenOak her. Die hat unten ein Quarter-Inch-Gewinde, das auf die Schraube des Plättli meines Manfrotto BeFree passt. Oder jedes andere Stativ.
Die Orientierung fällt jetzt bedeutend leichter. Das Bild kommt aber genau gleich schlecht raus.
Ist das Langenargen? Friedrichshafen vielleicht? Irgendwas dazwischen oder komplett etwas anderes? Keine Ahnung, wenn ich nur das Bild sehe und keine Ahnung vom deutschen Ufer habe. Ich habe jetzt bewusst nicht gesagt, wo genau die Bilder sind. Denn das möchte ich gerne an dich weitergeben: Wo ist das? Du weisst von wo aus ich die Kamera in etwa wohin gerichtet habe, aber das ist es. Wenn du das Bild auf Instagram sehen würdest, würdest du erkennen, wo das ist?
Zu früh zu viel versprochen
Trotz dem unmitigierten Desaster des Space Zoom: Die Technologie ist beeindruckend. Die Bilder sind zwar nicht schön, aber ich erkenne Schemen. Das ist mehr, als die Konkurrenz hinkriegt. Ich bin aber stark der Meinung, dass sich Samsung einen Fauxpas geleistet hat, von dem sich der Konzern so schnell nicht erholen wird. Zumindest nicht in der Schweiz. Denn wir Schweizer vergessen nicht, genau wie die Rorschacher die markante Stimme von Urs Grob nicht vergessen.
Samsung klotzt gross mit 100x Zoom. Die Technologie ist nicht ausgereift, denn das, was auf dem S20 Ultra läuft, ist bestenfalls ein Proof-of-Concept. Ist es möglich, mit Hardware, Software und AI einen 100x Zoom zu simulieren? Ja, absolut. Aber das alleine sollte nicht Kriterium für eine Markteinführung sein. Denn ist ja schön und gut, wenn das möglich ist, aber wenn am Ende nur unbrauchbarer Datenmüll herauskommt, der nicht einmal Social-Media-Qualität erreicht, dann kann die Technologie noch lange funktionieren.
Der Space Zoom ist zwei Jahre zu früh auf dem Markt. Mindestens.
Vorausgedacht aber hat sich Samsung keinen Gefallen getan. Denn in zwei Jahren oder mehr hat der südkoreanische Konzern das System perfektioniert. Das wird geschehen, zweifelsohne. Periskopkameras in Smartphones sind erst am Anfang ihres Lebens, Sensoren werden immer besser, Software auch und die AI lernt dazu. Doch die Schweizer werden sich erinnern. An den Typen, der da auf digitec vom Feature zuerst beeindruckt war, dann aber auf der Rorschacher Hafenmole und in Wohlen festgestellt hat, dass das Feature nutzlos ist. Daran, dass Samsung nördlich von 1000 Stutz für etwas verlangt, das Datenmüll ausspuckt.
Samsung wird behaupten, dass der Space Zoom neu und verbessert ist. Keiner wird dem Beachtung schenken. Denn damals, als der Space Zoom neu war, damals war er Schrott. Als Beispiel: Weisst du, dass Bixby mittlerweile auf Englisch ganz ordentlich funktioniert und sogar fast gleich schnell ist wie Googles Assistant? Nein. Interessiert auch keinen mehr, denn beim Launch war Bixby Müll.
Sprich: In zwei Jahren wird Samsung einen harten Stand haben mit ihrer Kamera, wenn dann der Space Zoom funktioniert. Und das nur, weil sie im Jahr 2020 nicht die Klappe haben halten können.
Samsung hätte auch ehrlich sein können und sagen: Leute, das S20 Ultra ist ein Phone, an dem wir arbeiten. Es ist ein Experiment und wir brauchen so viele Daten wie nur irgend möglich. Darum werfen wir das auf den Markt und hoffen darauf, dass du viele 100x-Zoom-Bilder schiesst, die wir analysieren können. Denn das System, so wie es im S20 Ultra ist, ist eine Beta. Wir brauchen aber mehr Daten. Daher, hilf uns bitte.
Aber nein, Samsung geht hin und sagt, dass das das «Phone to end all cameras» ist.
Ist es nicht. Danke, Samsung, ihr habt versagt.
Update: Leserbilder
Leser LoXeras hat mir dieses Bild mit dem 100x Zoom zugeschickt. Mit dem Vermerk «Aber ich habe auch schon Fotos gemacht die einiges angenehmer zum anschauen sind, als die in Rohrschach».
Er fügt aber auch an: «Kurz und knapp, ja die Qualität ist unbrauchbar.»
Und das heisst denn imfall Rorschach, hat nix mit Rohren zu tun.
Update #2: Der zweite Test nach dem Update
Am 12. April 2020 hat Samsung ein Update veröffentlicht. Die Kamera soll verbessert sein. Das habe ich mir genauer angesehen.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.