Samsung One UI: Die erste Android Distro, die okay ist
12.3.2019
Samsungs neue Benutzeroberfläche macht vieles richtig. Ein Blick in die Geschichte von versauten Oberflächen und sexuellen Namen für Benutzeroberflächen aus Südkorea.
Gegen Android-Versionen wettern, die von Herstellern verhunzt werden, da sie einfach noch etwas ändern müssen, weil sie können, ist in der Android-Szene Mode. Und sehr oft gerechtfertigt. Huaweis Emui ist ein furchtbarer Bruch, aber noch heilig gegen Xiaomis Miui, das wirklich unbrauchbar ist. Samsung hat auch zur Riege der Verhunzer gehört. Bis jetzt. Denn Samsungs One UI, so der Name der neuen Benutzeroberfläche (UI), ist die erste Distro, die ich «okay gut» nennen würde.
Ein hohes Lob.
Werfen wir einen Blick auf eine Android Distro, die sogar eine Existenzberechtigung hat.
Alle Elemente unten
Samsung ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um komplett kaputte Benutzeroberflächen geht. Im Gegenteil: Zu Zeiten von Samsungs TouchWiz war der südkoreanische Hersteller ganz oben dabei, wenn es um Kaputtmaching ging. Die komplett verkorkste Farbwahl der Menüelemente war nur einer der Aspekte, die Nutzern sauer aufgestossen ist.
Unter TouchWiz begannen auch zwei Ären: Die der «wir ändern etwas, weil wir können, nicht weil es besser ist» und die der wirklich unglücklich gewählten UI-Namen, da sexuell anzüglich. Zur Erklärung: «Whizz» im Englischen bedeutet so viel wie Urin. Daher: Touch Whizz… berühr den Urin. Hihi. Lustig. Darum nennt sich Marvel-Superheld James Sanders nicht mehr The Whizzer, der Piesler, sondern Speed Demon. So nebenbei.
TouchWiz wurde dann beerdigt. Zum Glück. Dann kam eine Android Version, die zu 95% Stock Android – der reinen von Google herausgegebenen Version Androids – glich. Sie hiess Samsung Experience.
Der Name ist zwar per se nicht unglücklich, sondern wird es nur in Kombination mit einem anderen Feature aus der Zeit: Samsung Dex. Dex ist eine Abkürzung und steht für Desktop Experience. Machen wir das mal für Samsung Experience. Wir nehmen den ersten Buchstaben des ersten Worts und fügen «ex» wie «Experience» hinzu. Sex. Hat das keiner bemerkt? Oder haben die gehofft, dass das keiner bemerken wird?
Jetzt aber One UI
Bei One UI sind wir bei einer dritten, sexuell nicht anzüglichen Ära angekommen. Einer Ära, die viel richtig macht und nur wenig falsch. Es macht sogar so viel richtig, dass ich als ewiger Motzer gewillt bin, zu sagen, dass es mehr richtig macht als falsch. Und in einigen Aspekten ist One UI sogar besser als Stock Android. Denn Samsung hat ein Grundsatz der grossen Bildschirme kapiert:
- Dinge am oberen Bildschirmrand sind zum Ansehen
- Dinge am unteren Bildschirmrand sind zum Drücken
In der Praxis sieht das so aus:
Daher sind bei One UI die Bildschirmelemente so weit wie möglich nach unten gezogen worden. Oben werden Informationen oder netterweise einfach White Space eingeblendet. White Space ist ein Begriff aus der Grafikwelt und beschreibt Teile einer Seite oder eines Layouts, die bewusst freigelassen werden. Sie sorgen zur Auflockerung und helfen dabei, ein Layout instinktiv zu verstehen und es nicht zu überladen. Seitenränder und Absatzformatierungen haben viel mit White Space zu tun. White Space muss nicht zwingend weiss sein.
Das wird bei Samsungs One UI dann relevant, wenn du den Dark Mode einschaltest. Systemweiter Dark Mode ist doch etwas total gutes. Dass dieser weitestgehend Amoled-kompatibel ist – also die stromsparende Farbe #000000 verwendet –, ist einfach noch ein schönes Extra. Huawei hat da mit Emui die Nase vorn, schneidet aber in Punkto White Space wesentlich schlechter ab.
Die Beidenelemente sind gross, deutlich und leicht verständlich. Vor allem die Shortcuts im Notification Tray machen sich da einen Namen. Die Notifications selbst können unter Settings → Notifications so eingestellt werden, dass sie möglichst wenig Platz einnehmen. Die nervigen Notifications von wegen «Do Not Disturb is Enabled» kannst du leider immer noch nicht vollständig ausblenden. Auch unter One UI nicht. Schade. Ich weiss doch, dass Do Not Disturb eingeschaltet ist. Ich habe oben ja den grossen Knopf, der mir das schon mitteilt.
Der grosse Schwachpunkt: Der Home Screen
Doch so ganz supertoll ist One UI nicht. Die grösste Schwachstelle und das nach wie vor stärkste Argument für Nova Launcher – oder sonst einen Launcher – ist der Home Screen.
Denn am Home Screen hat Samsung praktisch nichts geändert. Irgendwelche Widgets irgendwo wirr platziert, sonst genau so wie immer. Das Gitter kann zwar verstellt werden, aber immer noch nicht zu einem Level, an dem du den Home Screen anständig und schön nutzen kannst. Oder mit irgendetwas, das nach 2010 als modern gilt. Schade.
Daher ist One UI plus Nova Launcher eine sichere und saubere Wahl.
Die altbekannten Gesten
Samsung setzt bei One UI auf Gestensteuerung. So bitzli jedenfalls. Im Wesentlichen kannst du unter Settings → Display → Navigation Bar von den drei Navigations Buttons ◁, ◯ und ▢ auf «Full Screen Gestures» wechseln. Anders als unter Stock Android wird unter One UI nicht auf leicht abgeänderte Funktionalität gewechselt. One UIs Gesten sind einfach die Knöpfe, werden aber durch Wischen aktiviert. Also, wenn du am linken Bildschirmrand von unten nach oben wischst, dann gehst du zurück. In der Mitte: Home Screen. Rechts: Alle Apps.
Das funktioniert erschreckend gut und sieht auch weit besser aus als Googles neuester Streich, Android P, wo der kleine Knopf unten am Bildschirm kleben bleibt.
Irgendwie wirkt die Gestensteuerung unter One UI mehr als ob es bis zum Ende durchgedacht wurde als bei Google. Denn sollte die Idee der Gestensteuerung nicht sein, dass wir Bedienelemente abschaffen könnten? Das Konzept nennt sich Zero UI und besagt, dass das UI selbst unsichtbar und instinktiv bedienbar ist. Also keine Knubbel und so.
Und dann die netten Features
Doch mit der grafischen Aufmachung alleine ist es in One UI nicht getan. Da sind viele kleine Funktionen, die dir die Bedienung des Phones leichter machen. Ein Beispiel, das keinesfalls abschliessend sondern nur repräsentativ sein soll: Bluetooth.
Je nach Android Distro ist Bluetooth eine etwas mühsame Sache. Du verbindest dein Handy mit einem Speaker. Dann schaltet dein Handy um und sendet standardmässig alles, was über den Phone-Lautsprecher ausgegeben wird, an den Speaker. Wenn du dann telefonieren möchtest, dann musst du zuerst das Bluetooth-Menü öffnen, die Verbindung zum Speaker trennen und dann kannst du telefonieren. Oder dein Umfeld kriegt mit, was dein Gegenüber sagt. Geht auch.
Unter One UI mit Integration der Samsung App Smart Things kannst du das easy im Notification Tray tun. Da taucht ein Schalter auf, wo du auswählen kannst, wo der Ton ausgegeben werden soll.
Das ist einfach erklärt, wie das funktioniert. Im Wesentlichen ist das der Schalter, den du im Regelfall unter Bluetooth → SRS-XB41 findest. Aber bis du dort angelangt bist, brauchst du unter Huawei Emui einen Long Press und dann einen Klick auf ein Zahnrädchen. Andere Distros handhaben das anders, wohlbemerkt. Aber Samsung rockt das.
So machen OEM Roms Spass, nicht?
Kurz: One UI ist eigentlich eine ziemlich gute Sache. Ich mag das Layout, die grafische Aufmachung und all das. Nur der Home Screen ist nach wie vor antiquiert. War er schon unter Samsung Experience.
So. Fertig. Ich geh mal nach links und recht swipen.
Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.