Hintergrund
Das Solar-Rennauto darf fliegen, nur das Fahren ist noch schwierig
von Martin Jungfer
Solarmodule made in Europa. Europa, nicht China. Ja, das gibt es – noch. Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger setzt auf einen Vorsprung durch Technik und will so im Kampf gegen die übermächtige Konkurrenz aus China bestehen.
Es scheint fest in vielen Köpfen zu stecken: Produkte aus China sind billig, aber eben auch minderwertig. Auch in den Diskussionen hier im Shop werden Produkte hart kritisiert, die das Label «Made in China» haben. Dabei beliefert China die Welt heute längst nicht mehr nur mit seltsam riechenden Plastik-Spielzeugpuppen oder wackeligen Futterstationen für Haustiere.
China schickt sich an, Europas Autoindustrie zu überholen – davon gehen jedenfalls immer mehr Experten und Wirtschaftsjournalisten aus. China ist Konkurrent bei der Herstellung von Zügen und Flugzeugen. Und China ist seit Jahren weltgrösster Produzent von Solarmodulen, die im Kampf gegen die Klimaerwärmung eine entscheidende Rolle spielen. 2022 waren unter den Top-10-Herstellern von Photovoltaik-Modulen sieben aus China, und sie belegten die Plätze 1 bis 5. Firmen wie JA Solar oder LONGi Solar beschäftigten jeweils zehntausende Menschen.
In Europa gibt es mit Meyer Burger nur noch einen einzigen Hersteller von Solarzellen und -modulen. Der Ursprung liegt in den 1980er-Jahren. Damals stellte die Firma Sägen für Wafer her, die als Halbleiter in der Chipindustrie gebraucht wurden, aber auch für die Produktion von Solarzellen. Weil die Silizium-Wafer dünn und damit zerbrechlich sind, waren Drahtsägen mit hoher Präzision gefragt. Etwas, was Meyer Burger gut konnte.
40 Jahre nach dem Einstieg Meyer Burgers in die Solarindustrie bekomme ich die Gelegenheit, mir vor Ort anzuschauen, wie es das Unternehmen mit den Giganten aus China aufnehmen möchte. Zum ersten Mal hatte ich die hocheffizienten Solarzellen im Sommer 2023 auf dem allein durch Solarenergie angetriebenen Rennauto des Schweizer Teams bei der «World Solar Challenge» gesehen.
Das Team der ETH setzte wegen eines hohen Wirkungsgrades auf die Module von Meyer Burger. In der Fabrik wurden sogar extra Zellen aus der Produktionslinie genommen, die noch um ein paar Zehntel Prozent effizienter waren als andere.
Hergestellt werden die Zellen allerdings nicht in der Schweiz. Meyer Burger produziert sowohl die Zellen als auch die Module in Deutschland. Genauer gesagt in Freiberg und in Bitterfeld-Wolfen. Genau dorthin fahre ich, um mehr zu erfahren. Die Stadt in Sachsen-Anhalt war schon immer von der Industrie geprägt. Im Dritten Reich wurden hier kriegswichtige Güter hergestellt, zu DDR-Zeiten war Bitterfeld Chemie- und Bergbau-Stadt und galt in den 1980er-Jahren als «dreckigste Stadt Europas». Heute gibt es immer noch Chemie-Industrie in Bitterfeld. Die Firmen sitzen im «Chemiepark», das klingt irgendwie grüner.
Meyer Burger hat 2020 eine ehemalige Fabrik der untergegangenen Sovello AG in einem anderen Industriegebiet im Bitterfelder Ortsteil Thalheim übernommen. Hier wollte das Unternehmen Q-Cells ein «Solar Valley» aufbauen; der Begriff lehnte sich an das «Silicon Valley» in den USA an. Die meisten Firmen sind verschwunden, unter anderem nachdem in Deutschland Subventionen für die Branche gestrichen und China zur Solar-Weltmacht aufgestiegen ist – ironischerweise dank massiver Subventionen des Staates.
Die Fabrik von Meyer Burger hat die Adresse Sonnenallee. Es ist eine breite Erschliessungsstrasse in einem gewaltigen Industriegebiet mit vielen unbebauten Flächen. Hier hätte Grosses entstehen sollen. Doch ab 2011 sanken die Preise für Solarmodule massiv, als in China der Markt hochgefahren wurde. Plötzlich waren die Firmen im «Solar Valley» nicht mehr konkurrenzfähig und gaben innerhalb von gut zwei Jahren eine nach der anderen auf respektive wurden von chinesischen Firmen aufgekauft.
Heute gibt es wieder Leben in einigen der riesigen Hallen. Dort, wo Meyer Burger seine Produktion von Solarzellen aufgebaut hat. Das Schweizer Unternehmen stellt hier Zellen her, die anschliessend im 150 Kilometer entfernten Werk in Freiberg in Sachsen zu Modulen montiert werden. Diese Module, made in Germany, kommen dann hauptsächlich auf Dächer von Häusern, Büro- oder Fabrikgebäuden. Oder sie stehen auf Wiesen entlang von Autobahnen oder auf sonnigen Bergplateaus.
Sie sind stolz darauf, einer der letzten europäischen Solarmodul-Hersteller zu sein. Jochen Fritsche, Produktionsleiter im Bitterfelder Werk von Meyer Burger, führt mich durch die Halle. In langen Reihen und in mehreren Schritten wird hier aus den sogenannten Rohwafern, also den aus Kristall geschnittenen Siliziumplatten, die fertige Solarzelle. Eine Solarzelle misst sechs Zoll im Quadrat, also knapp 16 Zentimeter. 120 Halbzellen werden in einem Modul verwendet und liefern eine Leistung von bis zu 400 Watt. Besonders stolz ist Meyer Burger darauf, dass der Wirkungsgrad ihrer Module höher als bei der Konkurrenz ist. Bis zu 21,8 Prozent Wirkungsgrad sind möglich.
Die Unterschiede bei der Leistung sind allerdings gering. Und das liegt ausgerechnet daran, dass Meyer Burger bis zu seinem Strategiewechsel 2020 seine Technologie in Form von Maschinen weltweit an Solarmodul-Hersteller geliefert hat, vor allem nach China. Bei 90 Prozent aller weltweit hergestellten Module dürfte heute Meyer-Burger-Technologie beteiligt sein.
Seit die Entscheidung getroffen wurde, nicht nur an neuen Technologien zu forschen, sondern diese auch in eigene Fertigung zu bringen, hofft Meyer Burger, genug Zeit zu bekommen, einen technologischen Vorsprung in wirtschaftlichen Erfolg übersetzen zu können. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 ist weniger russisches Gas verfügbar. Eigentlich gute Voraussetzungen für weitere Investitionen in die Solarindustrie. Dass die Politik die wirtschaftliche Abhängigkeit des Westens von Chinas Solarindustrie zunehmend kritisch sieht, sollte Meyer Burger ebenfalls in die Karten spielen.
Noch schreibt Meyer Burger Verluste. Ohne staatliche Hilfe wird das Unternehmen das grösste Werk zur Herstellung von Solarmodulen in Freiberg noch im ersten Halbjahr 2024 schliessen, kündigte die Geschäftsführung kürzlich an. Man werde dann die Produktion auf die USA konzentrieren, wo die Administration von Präsident Joe Biden den Aufbau einer Solarindustrie fördert.
Der Kampf gegen die Billig-Module aus China scheint auch mit einer hochmodernen Solarzellen-Fertigung wie der in Bitterfeld-Wolfen kurzfristig nicht zu gewinnen, ohne dass Subventionen fliessen. Dabei hat Meyer Burger viele gute Argumente für die eigenen Zellen. Die Fertigung in der Fabrik benötigt weniger Wasser und chemische Zusatzstoffe, sie läuft bei vergleichsweise niedrigen Temperaturen von um die 200 Grad Celsius ab und benötigt daher weniger Energie. Der Strom, der noch verbraucht wird, ist komplett nachhaltig erzeugt. Zudem gibt es in den mit der sogenannten Heterojunction-Smartwire-Technologie gefertigten Zellen von Meyer Burger kein Blei mehr, das beim Recycling am Ende der Lebenszeit von mindestens 25 Jahren problematisch ist. Die Module von Meyer Burger sind dagegen «komplett recycelbar», wie Jochen Fritsche erklärt. Chinesische würden dereinst «einfach nur noch zerschreddert».
Zellen für etwa 8500 Module pro Tag stellt Meyer Burger her. Bei höherer Nachfrage liesse sich die Produktion ausbauen. Für ein typisches Einfamilienhaus werden zwischen 15 und 30 Module benötigt. Für grosse Solarfelder im Flachland werden mehrere tausend Module aufgestellt. Der höhere Energieertrag der Meyer-Burger-Module sorgt hier für grössere Mengen Strom. Der höhere Preis der Module wird also schnell amortisiert sein. Ein Referenzprojekt ist die Ferag AG in Hinwil (ZH). Das Familienunternehmen hat über 2600 Module auf dem Fabrikgebäude installiert.
Wenn dich der Fertigungsprozess in seinen physikalischen und chemischen Details interessiert, empfehle ich dir dieses Video von «Money for Future»:
Ein paar theoretische Grundlagen zur Wirkungsweise von Solarzellen werden in diesem Video erklärt.
In der 40’000 Quadratmeter grossen Bitterfelder Fabrikhalle ist viel Optimismus zu spüren. Nicht nur, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihren T-Shirts Slogan wie «Work for a Vision» tragen. Bei meinem Gang durch die Hallen habe ich Enthusiasmus gespürt, Tüftlergeist und Stolz.
Aber es ist in den vergangenen Wochen auch erkennbar, dass das über 70-jährige Schweizer Unternehmen ums Überleben kämpft. Man setzt auf Qualität, auf «Made in Europe», auf die Energiewende. Und man braucht als David, der gegen den Solar-Goliath aus China kämpft, die Politik. Sonst könnte wahr werden, was die «NZZ am Sonntag» kürzlich in einem Kommentar geschrieben hat: Die Module von Meyer Burger seien ertragreicher und langlebiger als die der Konkurrenz aus Asien.
Transparenzhinweis: Auf unserem Einfamilienhaus ist eine PV-Anlage installiert; allerdings auch mit chinesischen Modulen. Nach meinem Besuch habe ich kurz überlegt, die Module austauschen zu lassen. Das ergibt wirtschaftlich aber keinen Sinn. Stattdessen habe ich mir für einen kleinen dreistelligen Betrag Aktien der Meyer Burger AG gekauft. Dass sich wegen meines Beitrags der seitdem stark gefallene Kurs wieder erholt, ist weder realistisch noch Ziel des Beitrags.
Titelfoto: Meyer Burger AGJournalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln.