Tony Stark wird Dr. Doom: Marvels bisher verzweifeltster Move
Keine Ahnung, was sich Marvel gedacht hat: Robert Downey Jr. kehrt ins Marvel Cinematic Universe zurück. Allerdings nicht als Tony Stark. Sondern als Dr. Doom. Leute, das darf doch nicht wahr sein!?
Sonntag. Es ist kein Tag wie jeder andere, denn die Comic-Con im US-amerikanischen San Diego steht kurz vor einer epochalen Ankündigung. Man habe endlich den Superschurken für die kommenden zwei «Avengers»-Filme gefunden, erklärt Marvel-Chef Kevin Feige. Tatsächlich könnte dieser Bösewicht sogar zur wichtigsten Marvel-Figur aller Zeiten werden, doppeln die Regisseure Anthony und Joe Russo nach.
Auf der grossen Bühne in Halle H versammeln sich Dutzende Menschen mit braunem Cape und eiserner Maske. Im Hintergrund prangt ein neues Logo. «Avengers: Doomsday». Das Publikum flippt aus. «Dr. Doom!», schreien erste Fans. Aber wer wird ihn spielen? Ein Mann tritt aus der Masse hervor. Sein Cape ist grün. Endlich, mit einer eleganten Bewegung, reisst er sich Cape und Maske vom Gesicht.
Es ist … Robert Downey Jr.!
Lautes Kreischen. Donnernder Applaus. Die Euphorie, mit der sich Fans irgendwo zwischen theatralischer Einlagen und unerträglich in die Länge gezogener Spannung gegenseitig anstecken, ist – «unvermeidbar».
Feige und seine Leute strahlen sich an. Sie haben’s mal wieder geschafft. Die Masse hat bekommen, was sie scheinbar wollte. Die schlechten Tage des scheiternden Marvel Cinematic Universe (MCU) sind vorbei, das Multiversum gerettet.
Oder nicht?
Rätsel im Dunkeln
Ich will kein Miesepeter sein. Ja, Robert Downey Jr. ist ein wahnsinnig talentierter Schauspieler. Dass «sein» Dr. Doom das Zeug zu einem der besten Bösewichte in Marvels Kino-Universum hat, bezweifle ich gar nicht. Schliesslich hat Downey Jr. das Unmögliche bereits geschafft: Seine Interpretation von Tony Stark hat einen Archetypen für fast alle Comic-Helden geschaffen, der seit 2008 oft kopiert, aber selten erreicht wurde.
Ohne ihn gäbe es keinen Tony Stark. Und ohne Tony Stark kein MCU.
Gerade deswegen komme ich mit dieser Ankündigung nicht klar. Dabei habe ich’s versucht. Wirklich. Und doch krieg ich es einfach nicht in meinen Dickschädel. Erstens, weil Robert Downey Jr. für mich untrennbar mit Tony Stark verbunden ist – buchstäblich. Zu sagen, wo Tony aufhört und wo Robert beginnt, ist unmöglich. Auch ein Grund, wieso nur Downey Jr. diesen symbolischen Blitz in einer cineastischen Flasche einfangen konnte.
Zweitens: Wie zum Henker wollen die Marvel-Oberen erklären, dass Robert Downey Jr. jetzt einfach Dr. Doom ist? Soll er einfach ein böse gewordener Tony Stark aus einem anderen Multiversum sein? Oder spielt er wirklich den klassischen Victor von Doom aus den Comics, und alle anderen MCU-Charaktere tun einfach so, als wäre es kein Problem, dass er genau wie Tony Stark aussieht?
Ich habe Fragen. Fragen, die nach einer Antwort schreien. Die faulste, die Marvel geben könnte, wäre, dass dieser Victor von Doom in Wahrheit ein in einem anderen Multiversum als Baby ausgesetzter Tony Stark wäre. Einer, der im fiktiven osteuropäischen Kleinstaat Latveria aufgewachsen und dort zum technologiebegabten Diktator Dr. Doom geworden ist.
Gähn.
Marvels Identitätskrise
Dabei ist das noch meine kleinste Sorge. Marvels Ankündigung schlug zwar die gewünschten medialen Wellen. Sie zeigt aber auch, dass Feige und seine Leute rein gar nichts verstanden haben. «Als Tony Stark in ‹Avengers: Endgame› starb, starb das MCU mit ihm», habe ich schon oft sagen hören. Marvel wohl auch. Ihre Reaktion darauf: «Okay, dann bringen wir Tony Stark eben zurück. Problem gelöst.»
Nein, Marvel. Das ist nicht das Problem. Und Robert Downey Jr. zurückzubringen schon gar keine Lösung.
Die Wahrheit ist: Seit der Einführung des Multiversums werden wir mit einem Überfluss an Filmen und Serien bombardiert. Auf dem Laufenden zu bleiben fühlt sich an wie Hausaufgaben machen. Die neuen Charaktere sind oft flache Teenager mit aufgesetzter Diversität. Und das Schlimmste: Stirbt ein Charakter, wird er einfach durch eine andere Version aus dem Multiversum ersetzt. Etwa Iron Man. Buchstäblich.
Schlimmer noch: Marvels Filme sind zu teuren, aber effizienten Marketingkampagnen verkommen – und die Charaktere darin zu Markenbotschaftern. Im Vordergrund stehen Cameo-Auftritte und Querverweise zu anderen Comicverfilmungen ohne Sinn, Verstand oder Konsequenzen. Im Kino funktioniert das Multiversum bisher nur in «Deadpool & Wolverine». Aber auch nur, weil sich die Charaktere darin über genau jene Dekonstruktion des einst so erfolgreichen MCUs lustig machen.
So läuft das mit Marvel seit nunmehr fünf Jahren. Vielleicht sogar länger. Die Marke macht Werbung für die Marke. Und nach dem Abspann kommt die obligatorische After-Credit-Szene, die – du errätst es schon – Werbung für den nächsten Film macht.
Absurd, oder?
Die pure Verzweiflung
Was dem MCU fehlt, ist eine durchdachte Marschrichtung. Ein Konzept. Eines, das mehr auf Qualität statt Quantität setzt. Eines, in dem die Charaktere und nicht die Marke ins Zentrum der Geschichten rücken. Und vor allem eines, das nicht auf den billigen Humor setzt, über den nur Kinder am Samstagmorgen beim Schauen von Disney Channel lachen.
Ein Beispiel: Erinnerst du dich an jene Szene in «Captain America», als sich der noch schmächtige Steve Rogers vermeintlich selbstlos auf eine Attrappen-Handgranate schmeisst, um die geeigneteren Kandidaten im Militär-Campus zu retten? Es ist die vielleicht heroischste Szene im ganzen Marvel-Universum, weil Steve zu diesem Zeitpunkt noch nicht mal seine Superheldenkräfte hat. Das war es, was Marvel einst so erfolgreich machte: Inspirierende Geschichten über ans Herz wachsende Figuren, die nur «zufällig» Superheldinnen und Superhelden wurden.
Marvel sollte sich lieber Gedanken machen, wie sie das MCU wieder zurück in diese Richtung steuern können. Eine Richtung, in der Charaktere, keine Marken, im Zentrum ihrer Überlegungen standen.
Stattdessen setzt Marvel bequem auf bereits ausgemusterte alte Pferde, die einst zwar erfolgreich waren, aber bei denen Marvel wohl selbst nie begriffen hat, wieso. Ein bisschen wie in dem Witz, in dem der Ehemann der Ehefrau eine Perlenkette schenkt, um sie zu besänftigen, ohne wirklich zu realisieren, was sie eigentlich bedrückt.
Kurz gesagt: Was Marvel vergangene Nacht auf der Comic Con in Halle H zur Schau stellte, war in Wahrheit gar keine epochale Ankündigung – es war pure Verzweiflung.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»