Vom Prototyp zum Profiteam: Nachhaltige Sneakers für Kinderfüsse im Wachstum
Narada Zürrer ist ein Schweizer Industriedesigner, der gerade den Kinderschuhmarkt mit Sneakers im Abo revolutionieren möchte – diese Woche ist er Gast der Video-Reihe «Designfragen».
Nur wenige Diplomarbeiten schaffen es aus den Hochschulen heraus. «Neunoi» ist eine davon. Der nachhaltige und reparaturfähige Prototyp eines Kinderschuhs, den die Designer Thibaut Wenger und Narada Zürrer entworfen haben, steigt in die nächste Liga auf.
Wie ein vielversprechendes Talent, das den Sprung in die Profimannschaft schafft, wird der Sneaker seit Wochen in einer Schuhmacherei in Schaffhausen in verschiedenen Grössen produziert, um kurz darauf im Alltag getestet zu werden. «Das Testing ist das wichtigste Puzzlestück und soll nun so schnell wie möglich repräsentative Resultate liefern», sagt Narada, der sich nach seinem abgeschlossenen Industriedesign-Studium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) dazu entschieden hat, Neunoi alleine weiterzuentwickeln.
Narada ist dieses Mal mein «Designfragen»-Gast. Er meldet sich aus der Schuhmacherei und spricht über seine neuesten Spielzüge bei der Arbeit, wie er die Liebe zum Design entdeckt hat und was sein Leitmotiv beim Entwerfen ist: «Sich immer und immer wieder die Sinnfrage zu stellen», sagt er.
Reparieren statt Wegwerfen
Der Neunoi-Sneaker wurde gemeinsam mit Kindern entworfen, wobei ihre Wünsche und Bedürfnisse im Mittelpunkt standen. Er besticht durch sein zirkuläres Design: Das Innenfutter besteht aus Secondhand-Pullovern, die Sohle ist biologisch abbaubar und austauschbar, und der Klettverschluss lässt sich ersetzen. Kaputte Stellen werden künftig mit farbigen Lederresten des lokalen Labels Petit Mai überdeckt, die sonst im Abfall landen würden. Das Leder stammt aus einem kleinen Familienbetrieb, der seit fünf Generationen in Süddeutschland mit denselben Methoden gerbt: rein pflanzlich und ohne Schwermetalle, sodass das Abwasser nicht belastet wird.
Neunoi integriert auch japanische Traditionen in das Design. «Wabi-Sabi betont die Schönheit des Unvollkommenen, Kintsugi repariert mit Gold, und Sashiko macht Nähte zu Kunstwerken», erklärt Narada. «Jede Naht und jede Reparatur erzählt die Geschichte des Schuhs und verleiht ihm einen einzigartigen Charakter». Damit hinterfragt Narada den Begriff des «Neuen». Besonders spannend für Kinder soll ein kleines Fach für «Geheimnisse» sowie die Idee sein, dass der Schuh mit jeder Reparatur einzigartiger und durch organisch geformte Leder-Patches bunter wird.
Der Sneaker im Abo
Um Abfälle zu reduzieren, die durch das schnelle Wachstum von Kinderfüssen entstehen, sollen die Kinder-Sportschuhe im Abo-System erhältlich sein. Dieses Abo würde es ermöglichen, zu kleine Schuhe zurückzugeben, damit sie repariert und wiederverwendet werden können.
Damit das Abo auf den Markt kommen kann, stellt Narada nicht nur einen Schuh her, sondern entwickelt auch ein neues, vielversprechendes Geschäftsmodell. Die Herausforderung dabei: Auf dem Weg zur Serienproduktion sowohl die Nachhaltigkeit als auch die sozialen Werte von Neunoi im Blick zu behalten – ähnlich wie ein Trainer, der eine Siegermannschaft aufstellen möchte und sichergehen muss, dass das Team für den langfristigen Erfolg fair spielt. «Wir wollen ein nachhaltiges Produkt in der Schweiz oder Europa herstellen. Im nächsten Schritt müssen wir die Herstellungsprozesse definieren und testen. So hoffen wir, bald zu beweisen, dass ein lokal produzierter Sneaker wirtschaftlich sein kann. Die Anfertigung der ersten neun Prototypen ist sehr zeitaufwendig und erfordert viel Handarbeit, weshalb sie aktuell noch mehrere Hundert Franken pro Paar kosten. Das Ziel ist, später ein Abo für weit unter 30 Franken pro Monat anbieten zu können.»
Der Neunoi-Sneaker ist derzeit ein talentierter Nachwuchsspieler, das zwar Potenzial zeigt, aber noch nicht vollständig eingesetzt werden kann. Im Verein Atelier A werden neue Prototypen in der Schuhmacherei gefertigt. Sie stellen die Arbeit an Neunoi in den Mittelpunkt ihrer Ausbildung und schaffen zusätzliche Kapazitäten, um den Sportschuh zur Marktreife zu bringen. Trotzdem können momentan nur 20 Paar pro Monat produziert werden. In Zukunft werden weitere Hersteller benötigt, um die wachsende Warteliste für Kinder-Sneaker zu verkleinern. Deshalb konzentriert sich Narada neben der Testphase auf die Beschaffung von Fördermitteln, um die Mannschaft zu verstärken. Zurzeit wird Neunoi von Initiativen wie Z-Kubator oder Pro Helvetia gefördert.
Sharing-Konzept
Mit Neunoi möchte Narada weiterhin kreativ mit Kindern zusammenarbeiten und ihr Interesse an Design und Nachhaltigkeit fördern. «Das Teilen der Schuhe umfasst für uns auch einen Community-Aspekt», sagt er. «Nachdem ein Kind die Schuhe getragen hat, bitten wir die Familie, beim Zurücksenden, eine Geschichte zu teilen, die wir dann online auf der jeweiligen Produktseite sichtbar machen wollen.» Manche Testfamilien setzten sich sogar bereits mit zirkulärem Design auseinander: die Kinder der Gründerin von The Hole Story gehören zu den ersten Probanden. Das Unternehmen widmet sich der achtsamen Reparatur von Kleidung, um deren Lebenszyklus zu verlängern. Wenn der Kinder-Sneaker eines Tages doch sein Lebensende erreicht haben sollte, kann Neunoi alle seine Bestandteile entweder ordnungsgemäss entsorgen oder recyceln und in der Produktion wiederverwenden – wie ein Spieler, der nach einer langen Karriere nicht einfach aus dem Spiel genommen wird, sondern seine Erfahrung als Mentor einbringt, um die nächste Generation zu unterstützen.
In dieser Beitragsreihe beantworten Designerinnen und Designer Fragen rund um das Thema Design und gewähren Einblicke in ihre kreative Welt und Arbeitsweise. Alles im Rahmen eines Videoformats.
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.