Hintergrund

Warum ein Schweizer Fotograf Shutterstock verklagte

Samuel Buchmann
12.12.2023

Online-Diebe klauen Filmmaterial von Stefan Forster und verkaufen es über Shutterstock. Das merkt der Fotograf erst, als er seine Clips in einem SRF-Beitrag sieht. Eine Lizenz dafür hatte er nie erteilt. Der Einzelfall ist schnell geklärt, doch bei Shutterstock beisst Forster auf Granit.

Der Schweizer Fotograf und Filmer Stefan Forster macht eindrückliche Naturaufnahmen. Einige sind in renommierten Produktionen wie «Planet Erde III» und «Unser Planet» zu sehen. Für erstklassiges Bildmaterial mit Seltenheitswert zahlen Medienhäuser wie BBC und Netflix hohe Lizenzgebühren. Doch vor drei Jahren sieht Forster plötzlich Aufnahmen von ihm in einem Beitrag der SRF-Sendung «Einstein» – ohne dass er je seine Einwilligung dafür gegeben hätte.

Forsters Aufnahmen eines Gletscherabbruchs landen in einer SRF-Sendung. Ohne sein Wissen.
Forsters Aufnahmen eines Gletscherabbruchs landen in einer SRF-Sendung. Ohne sein Wissen.
Quelle: Stefan Forster / Screenshot SRF

Auf Nachfrage hin findet Forster heraus, dass die verantwortliche Produktionsfirma mobyDOK die Clips legal bei Shutterstock erworben hat – einer US-amerikanischen Stockagentur. Bloss hat Forster seine Aufnahmen gar nie selber dort angeboten. Stattdessen hat eine andere Person Videos von seinem YouTube-Kanal heruntergeladen, fein säuberlich in kurze Clips geschnitten, auf die Plattform gestellt und damit ohne Urheberrechte Geld verdient. Über 130 solche Clips findet Forster auf Shutterstock. Zum Schleuderpreis. «Einige davon waren bereits als Verkaufsschlager markiert», sagt er.

MobyDOK ist darüber so überrascht wie der Fotograf selber. «Die Angelegenheit ist für uns schockierend», schreibt die Berliner Firma, als sie davon erfährt. Sie bezahlt anstandslos eine nachträgliche Lizenzrechnung über 1200 Franken. «Ich gebe SRF und mobyDOK keine Schuld», sagt Forster. «Sie dachten, dass sie die Aufnahmen legal gekauft haben und sind selber Opfer.»

Der Einzelfall ist damit abgeschlossen, doch für Forster beginnt die Odyssee gerade erst.

Nachträgliche Lizenzgebühren in der Schweiz möglich

Was schnell klar ist: Die Diebe von Forsters Bildmaterial sitzen in Ländern, in denen sie rechtlich nicht belangt werden können. Der Fotograf verlangt von Shutterstock, dass sein Material von der Plattform verschwindet. Und er möchte eine Liste der bisherigen Käufer, damit er dort wie bei mobyDOK nachträglich Lizenzgebühren verlangen kann.

Ich will von Shutterstock eine Liste der Käufer, damit ich reale Lizenzgebühren verrechnen kann.
Stefan Forster, Fotograf und Filmer

Eine solche nachträgliche Forderung ist in der Schweiz möglich. Das bestätigt Rechtsanwalt Martin Steiger, Spezialist für Recht im digitalen Raum: «Ein Vorgehen ist gegen die Bild-Anbieterin wie auch gegen die Bild-Nutzer möglich. Bei den Nutzern besteht das Problem, dass man auf wenig Verständnis stösst, denn diese haben das Bildmaterial – soweit für sie ersichtlich – lizenziert. Das muss in rechtlicher Hinsicht den Fotografen aber nicht stören.»

Wichtig sei, dass Werkinhaber beweisen können, dass sie weiterhin die Rechte an ihren Bildern besitzen, so Steiger. «Viele Fotografen treten die Rechte an Bildmaterial teilweise ab, zum Beispiel an Bildagenturen.» Bei Stefan Forster ist das nicht der Fall. «Ich benutze nie Agenturen, sondern verkaufe meine Arbeit immer nur direkt.»

Wie viel ist ein gutes Bild wert? Wenn sich die Parteien nicht einig werden, muss ein Gericht entscheiden.
Wie viel ist ein gutes Bild wert? Wenn sich die Parteien nicht einig werden, muss ein Gericht entscheiden.
Quelle: Stefan Forster

Über die Höhe der Lizenzgebühren werden sich die Parteien nicht immer so schnell einig wie Forster und mobyDOK. Im Zweifelsfall muss am Ende ein Gericht entscheiden. Dort drohen gemäss Martin Steiger Überraschungen: «Fotografinnen und Fotografen müssen sich klar sein, dass ihr Bildmaterial allenfalls nicht den wirtschaftlichen Wert hat, den sie behaupten. Sie haben in dieser Hinsicht manchmal unrealistische Vorstellungen.»

Hohe Hürden bei internationalen Klagen

Um die geklauten Fotos entfernen zu lassen, reicht Stefan Forster bei Shutterstock eine offizielle Meldung wegen Urheberrechtsverletzung ein. Gemäss dem US Digital Millennium Copyright Act (DCMA), muss er in jedem Einzelfall beweisen, dass er Urheber der Filme ist. Das tut Forster, es dauert aber zwei Monate, bis die Clips offline sind. Eine Liste der Käufer erhält er nicht. Auch nicht nach diversen schriftlichen Anfragen. Er übergibt den Fall deshalb den Anwälten der deutschen Agentur «Photoclaim», die auf Urheberrecht spezialisiert ist. Diese reicht Klage ein.

Das Berliner Landgericht gibt dem Fotografen schliesslich recht: Shutterstock wäre verantwortlich dafür, dass Verkäufer auf der Plattform die Urheberrechte am angebotenen Material besitzen. Der Konzern erhält deshalb eine einstweilige Verfügung und eine Rechnung für die Verfahrenskosten. «Die Anwaltskosten hat bis dahin zum Glück Photoclaim übernommen», sagt Forster. Die Gerichtskosten und die Übersetzung der einstweiligen Verfügung habe er selber bezahlt.

Je nach Geldbetrag, der auf dem Spiel steht, lohnt sich eine internationale Durchsetzung eines Urteils nicht.
Martin Steiger, Spezialist für Recht im digitalen Raum

Doch das Urteil läuft ins Leere. Seither herrscht laut Forster Funkstille von Seiten Shutterstock. Der Konzern reagiere nicht mehr auf E-Mails oder Briefe. Auf den Rechnungen bleibt er bisher sitzen. «Von einer Kompensation für die unrechtmässige Verbreitung meiner Werke reden wir gar nicht erst.» Dafür bräuchte es eine weitere Klage. Rechtsanwalt Martin Steiger kennt das Problem. Geldforderungen gemäss eines rechtskräftigen deutschen Urteils wären zwar durchsetzbar. «Das kann bei internationalen Sachverhalten aber sehr aufwändig sein. Je nach Geldbetrag, der auf dem Spiel steht, lohnt sich das nicht.»

Als Marktplatz für Kreative verlässt sich Shutterstock auf die Integrität der Nutzer bei ihren Einsendungen auf der Plattform.
Sprecherin von Shutterstock

Die Redaktion von Digitec Galaxus hat Shutterstock Gelegenheit für eine Gegendarstellung gegeben. Eine Sprecherin des Unternehmens schreibt: «Als Marktplatz für Kreative verlässt sich Shutterstock auf die Integrität der Nutzer bei ihren Einsendungen auf der Plattform. Sie sichern Shutterstock zu, dass sie alle erforderlichen Rechte besitzen, wenn sie Inhalte einreichen.» Bei Meldungen zu Urheberrechtsverletzungen nehme Shutterstock die Inhalte raschmöglichst offline. Bei wiederholten Verstössen würden die fehlbaren Accounts gesperrt. Spezifische Fragen zu Forsters Fall blieben unbeantwortet. Etwa, warum er keine Liste der Käufer oder eine Entschädigung erhält.

Dilemma zwischen Sichtbarkeit und Risiko

Stefan Forster ist enttäuscht von Shutterstocks Verhalten. Die Beweislast liegt für ihn auf der falschen Seite: «Für mich als Geschädigter war es schwierig, das Material entfernen zu lassen. Auf der anderen Seite kann anscheinend jemand innert Minuten einen Account erstellen und ohne Überprüfung geklaute Bilder und Videos verkaufen.»

Für seine Naturbilder investiert Stefan Forster viel Zeit und Geld. Für Profis lohnt sich das nur, wenn am Ende jemand dafür bezahlt.
Für seine Naturbilder investiert Stefan Forster viel Zeit und Geld. Für Profis lohnt sich das nur, wenn am Ende jemand dafür bezahlt.
Quelle: Stefan Forster

Gerade für professionelle Landschafts- und Naturfotografen ist Bilderklau ein grosses Problem. Die Produktion von Aufnahmen wie denjenigen von Forster ist zum Teil extrem aufwändig: teure Expeditionen, tagelanges Warten auf den perfekten Moment, Abschreiber von verlorenem Equipment wie Drohnen. «Für meine Aufnahmen des Gletscherabbruchs habe ich mindestens 20 000 Franken von meinem eigenen Geld investiert», erklärt Forster. Damit sich das lohnt, verlangt er 3000 Franken und mehr für einen 10-Sekunden-Clip. Das kann er, weil sein Material Seltenheitswert hat und eben nicht zu tiefen Preisen auf Stockagenturen verfügbar ist.

Wer als Fotografin oder Filmemacher von Medienhäusern gesehen werden will, braucht Reichweite.
Stefan Forster, Fotograf und Filmer

Hat Forster selber einen Fehler begangen, als er seine Filme auf YouTube hochgeladen hat? «Nein», sagt er, «es geht heute gar nicht anders.» Wer als Fotografin oder Filmemacher gesehen werden will, brauche Reichweite: «Die Scouts von grossen Medienhäusern und Werbeagenturen durchkämmen YouTube nach gutem Material. Wer dort nicht präsent ist, existiert quasi nicht.» Erst nach jahrelanger Beziehungsarbeit habe er mittlerweile direkte Kontakte, die er nutzen kann.

Es ist für ihn auch keine Option, Videos in schlechter Qualität hochzuladen. «Ein Video in 720p-Auflösung interessiert niemanden.» Bei Fotos auf seiner Webseite beschränkt Forster die Auflösung auf 1800 Pixel Kantenlänge. So ist es etwas schwieriger, sie unrechtmässig zu verkaufen. Alternativen wie Wasserzeichen, welche Forster bei seinen Filmen auf YouTube nutzt, schränken die Ästhetik ein und nützen wenig. Die ganze Übung ist ein Drahtseilakt zwischen guter Eigenwerbung und Diebstahlprävention.

Forster wünscht sich Präzedenzfälle

Auch Digitec Galaxus verwendet Bilder von Shutterstock. Bei gewissen Themen wäre eine Eigenproduktion unmöglich und eine Auftragsarbeit zu teuer. SRF gibt auf Anfrage an, ebenfalls weiterhin Material von Stockagenturen als Symbolbilder zu verwenden. Auch mobyDOK schreibt, dass es ohne oft gar nicht gehe: «Wir produzieren Filme mit überregionalen Themen. Häufig benötigen wir Bilder, die wir selbst nicht drehen können, um etwas zu erzählen.»

«Das verstehe ich völlig», sagt Stefan Forster. «Es ist nicht realistisch, dass man alles direkt bei Künstlern kauft oder in Auftrag gibt.» Seinen Berufskollegen rät Forster aber, Billigagenturen wie Shutterstock zu meiden. «Unsere Arbeit ist mehr wert», sagt er. Es sei aber ein Kampf gegen Windmühlen. Denn neben Profis würden vor allem Hobbyfotografen den Markt mit teils sehr gutem Bildmaterial fluten. «Ihnen ist die schlechte Bezahlung meist egal, weil sie nicht darauf angewiesen sind. Sie wollen einfach ihren Namen unter dem Bild sehen.»

In der Pflicht sieht Forster vor allem die Bildagenturen. Sie sollen ihre Verantwortung wahrnehmen und die Beweispflicht umkehren: «Ich finde, Firmen wie Shutterstock müssten von Uploadern einen Nachweis verlangen, dass sie die rechtmässigen Urheber sind. Zum Beispiel die RAW-Datei.»

Online-Diebe verkauften Forsters Werke illegal auf Shutterstock. Eine Liste der Käufer oder gar eine Entschädigung der Plattform hat der Fotograf bis heute nicht erhalten.
Online-Diebe verkauften Forsters Werke illegal auf Shutterstock. Eine Liste der Käufer oder gar eine Entschädigung der Plattform hat der Fotograf bis heute nicht erhalten.
Quelle: Stefan Forster / Screenshot Shutterstock

Dass Shutterstock die Hürden für Diebe von sich aus erhöht, glaubt Stefan Forster nicht. «Solche Agenturen haben keine eigene Motivation dazu. Sie verdienen ja an Verkäufen von geklautem Material mit.» Tatsächlich sind Foren wie Reddit voll von ähnlichen Fällen wie derjenige von Forster. Damit sich das ändert, wünscht er sich rechtliche Präzedenzfälle. «Es bräuchte schmerzhafte Bussgelder, damit diese Firmen umdenken.»

Stefan Forster wird wohl keinen solchen Präzedenzfall schaffen. Auf Anraten seines Anwalts gibt er auf. Weitere Klagen wären den Aufwand nicht wert. «Ich wurde von der Realität eingeholt», sagt der Schweizer Fotograf. Dass er es versucht hat, bereut er trotzdem nicht: «Ich wollte für meine Rechte einstehen.»

Titelbild: Stefan Forster

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.

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