Wie mich Multiplayer-Sessions traumatisieren
Games sind für mich Entspannung und Alltagsflucht. Ausser, jemand anderes will mit mir spielen. Was für andere das Beste an Spielen ist, ist für mich ein Grund zum Abschalten.
Den Raum abdunkeln, die Ingame-Musik aufdrehen und mich voll und ganz dem Spiel hingeben. Dieses Eintauchen macht Games für mich aus. Leider ist das Gefühl fragil. Eine einzige Gruppeneinladung hat die Kraft, die Illusion zu zerstören. Social Gaming hat für mich mit Spass so wenig zu tun wie ein Versicherungstermin. Ich fühle mich nach einer Session mit Freunden vor allem gestresst und durch den Wind. Es ist schlicht zu viel los, als dass ich das Spiel geniessen könnte. Besonders deutlich hat mir das ein Erlebnis mit meinen Freunden und «Diablo IV» demonstriert.
Von der Wohlfühlzone ins Chaos: Eine Gamingsession zum Vergessen
Es war Juni. Blizzard veröffentlicht «Diablo IV» und dominiert damit die Game-Welt. Ein RPG-begeisterter Freund schlägt vor, dass wir das Game als Gruppe spielen könnten. Obwohl ich schöne Feelgood-Welten mit magischen Zauberwesen mehr mag als die düstere «Diablo»-Atmosphäre, gebe ich nach und kaufe das Spiel. Wir machen ab, dass wir uns bei der nächsten Gelegenheit zum Spielen versammeln.
Die «nächste Gelegenheit» lässt zwei Wochen auf sich warten. Mit Arbeit, Sport, Beziehung und allerlei Verpflichtungen der Abenteurer befindet sich die Terminfindung auf World Tier «Nightmare». Schliesslich finden wir ein Zeitfenster an einem sonnigen Samstagabend, den ich eigentlich viel lieber am See verbringen würde – aber abgemacht ist abgemacht. Also rolle ich die Fensterläden runter und starte «Diablo IV».
Schnell stellt sich heraus, dass wir alle bereits unterschiedliche Dungeons durchgespielt haben. Weil wir gemeinsam neue Welten entdecken wollen, suchen wir mühsam nach einem Dungeon, der für alle neu ist. Nach langen zehn (!) Minuten werden wir fündig.
In den zwei Wochen, in denen ich auf einen Termin mit meinen Freunden gewartet habe, konnte ich schon einige Singleplayer-Spielstunden in «Diablo IV» investieren. Als Solo-Spieler bin ich mir gewöhnt, dass sich mein Charakter gemächlich durch die Horden Untoten kämpft. Ganz allein, ganz entspannt.
Die Session mit meinen Freunden verläuft deutlich ungemütlicher. Nach wenigen Metern im Dungeon ist auf meinem Bildschirm die Hölle los: Zwei Magier stacheln sich gegenseitig zu immer krasseren Eishagel- und Feuerball-Spells an, während ein Barbar wie ein Beyblade rotierend über das Schlachtfeld wirbelt. Donnerwolken, Giftlachen und fliegende Totenköpfe nehmen mein gesamtes Sichtfeld ein. Irgendwo im Getümmel hackt wohl auch mein Druide in Werbär-Form auf die Dämonen ein. Sicher bin ich mir nicht. Während das grelle Zauberfeuerwerk permanente Narben in meine Netzhaut brennt, grölen meine Mates im Mordwahn in mein Headset. Diese Reizüberflutung saugt an meiner Lebenskraft wie ein durstiger Vampir.
In einer durch Überforderung hervorgerufenen Trance besiegen wir schliesslich den Endboss. Mein Inventar ist rappelvoll mit allerlei Plunder, aber auch mit einigen wertvollen Gegenständen. Was davon nützlich ist, kann ich nicht sagen, denn in all dem Tumult bleibt keine Zeit, Itemtexte zu lesen. Schlau wäre nun, beim Händler unnütze Dinge zu verkaufen. Doch weil die Gruppe direkt weiter möchte, starte ich in den nächsten Dungeon mit vollem Inventar.
Gezwungenermassen lasse ich bei Dungeon Nummer zwei alle funkelnden Stäbe und Äxte zwischen den Kadavern liegen. Wenn ich mir vorstelle, wie dutzende Rüstungen im Schmutz vor sich hin rosten, zieht sich mein Herz zusammen.
Kurz darauf tun es meine Augenbrauen dem Herz gleich: Ein Freund aus der Gruppe hat meinen Charakter inspiziert und lässt mich höhnisch wissen (als ob ich gefragt hätte), dass die Boni meiner Ausrüstung so gar nicht zusammenpassen. Schon gar nicht mit einer Werbär-Spezialisierung. Unaufgefordert schickt er mir im Privatchat einen Link für den «uLtiMaTe wErEwOlF bOmBeR dRuId bUiLd». Ich soll mich am besten daran orientieren. Weil ich eh schon gereizt und mit den Nerven am Ende bin, antworte ich mit einem passiv-aggressiven «k ty» und entferne ihn genervt von meiner Freundesliste. Schliesslich bedeutet Gamen für mich Spass und Unterhaltung, nicht Wissenschaft. Deine Theorielektion kann mir in diesem Moment gestohlen bleiben.
Endlich Ruhe
Bevor ich mit meiner zusammengewürfelten Ausrüstung und meinem lachhaften Build in Richtung Dungeon Nummer drei reiten kann, stürzt mein Voicechat ab. Ich will ihn wieder aufstarten, als mir etwas auffällt: Zum ersten Mal in dieser Session höre ich, wie die Hufe meines Pferdes auf die Pflastersteine klopfen. Wie der Wind durch die Felsspalten pfeift. Wie Banditen ihre Bogensehnen spannen, und wie die schaurige Geigenmusik mich umgibt. Zum ersten Mal seit einer guten Stunde tauche ich in das Game hinein. Zum ersten Mal fühle ich mich in die Spielwelt versetzt. Dadurch, dass mich nicht alle paar Sekunden eine Stimme in die echte Welt zurückholt, setzt zum ersten Mal einer der für mich wichtigsten Effekte eines jeden Games ein: Die Immersion in die Ingame-Welt «Sanctuary».
Zum Selbstschutz lasse ich den Voicechat für Dungeon Nummer drei also ausgeschaltet. So kann ich das Metzeln immerhin ein bisschen geniessen.
Danach muss ich den PC auch schon wieder ausschalten, denn ich habe am Folgetag viel vor. Ich verabschiede mich und spamme Alt+F4. Statt entspannt oder beflügelt, fühle ich mich nach der Multiplayer-Session ausgelaugt. Es geht mir wie nach der dreistündigen Mathe-Maturaprüfung, nur ohne Erleichterung und ohne Aussicht auf eine Abschlussparty. Ich habe in den letzten 90 Minuten nicht nur meine Batterien entleert, sondern auch keinen Spass gehabt.
Der Multiplayer-Modus tut mir nicht gut
Das Erlebnis hat mir einmal mehr gezeigt, wieso ich lieber alleine zocke: Mit meinen Freunden einen Termin zu finden, war mühsam. Die Session war geprägt von Kompromissen, und die Ingame-Zeit zu geniessen, war für mich schwierig. Ich wurde von Reizen überflutet und Stimmung kam überhaupt keine auf. Im Gegensatz dazu zieht mich der Singleplayer komplett in den Bann und lässt mich in eine Fantasiewelt eintauchen, die Balsam für meine Seele ist.
Auch wenn sie gut gemeint sind: Eure Freundschaftsanfragen und Party-Invites lösen bei mir Bauchkrämpfe aus. Viel lieber zocke ich alleine in meiner Komfortzone. Ich schalte meinen Steam-Status auf «Unsichtbar» und doppelklicke auf meinem Desktop das wohlvertraute «Skyrim»-Icon. Tut euch zusammen, aber lasst mich bitte im Singleplayer in Ruhe. Dort kann ich das Zocken ungestört geniessen. Danke.
Titelbild: Activision BlizzardMeine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.