Das Gameplay ist zweitrangig – entscheidend ist das Setting
Meinung

Das Gameplay ist zweitrangig – entscheidend ist das Setting

Das Gameplay eines Spiels ist mir egal, solange es in einer schönen Welt spielt. Lieber ein langweiliges Game als eine bedrückende Atmosphäre.

Ich rege mich ja gerne über nervige Mechaniken in Games auf. Zum Beispiel über hirntote Gegner, aufsässige Begleiter oder Crafting. Und doch kann ich mit diesen Störfaktoren leben. Unter einer Voraussetzung:

Das Setting muss stimmen.

Findet ein Game in einer schönen Welt statt, zieht es mich in seinen Bann. Es lässt mich staunend die Kulisse betrachten und die Spielwelt erkunden.

Mit meiner Crew durch die karibischen Inseln segeln und «Drunken Sailor» singen –  was kann es Schöneres geben?
Mit meiner Crew durch die karibischen Inseln segeln und «Drunken Sailor» singen – was kann es Schöneres geben?
Quelle: Ubisoft

Die Karibik – mein Sehnsuchtsort

Ein Beispiel: «Far Cry 6» wird konsequent als schlechtestes Spiel der Serie bewertet. Ich habe es trotzdem durchgespielt und geliebt, denn es findet auf einer traumhaften Tropeninsel statt. Pelikane fliegen über weisse Sandstrände, Fischerboote tuckern durch türkisblaues Wasser und Rebellen trinken Rum in einer Dschungel-Bar. Ich liebe es, mit eingeschaltetem Latino-Autoradio über die Insel zu fahren, hie und da mit der Stossstange einen Soldaten zu küssen und ab und zu einen Molotow-Cocktail aus dem Fenster zu werfen. Das ist Freiheit!

Kokospalmen, Sandstrände, Sonnenschein und Urwald treffen genau meinen Nerv. Seit «Assassin’s Creed: Black Flag» bin ich Karibik-Fan. Das Piratenspiel und auch «Far Cry 6» lassen mich ohne viel Aufwand in diese ferne Welt eintauchen. Und sie geben mir maximale Freiheiten, denn (fast) jeder Fleck ist begehbar und erkundbar: Entdecke ich in «Black Flag» beim Segeln eine Insel, halte ich einfach an und schwimme kurz an Land, um mich an einem unberührten Privatstrand wiederzufinden. Herrlich.

In «Far Cry 6» suche ich mir einen Strand aus und geniesse das Meer mit meinem Hund Boom Boom.
In «Far Cry 6» suche ich mir einen Strand aus und geniesse das Meer mit meinem Hund Boom Boom.
Quelle: Ubisoft

«Dishonored» drückt auf meine Stimmung

Der Gegensatz zu meinen tropischen Wohlfühl-Oasen: finstere Depri-Welten. In «Dark Souls» dunkle Burgruinen durchqueren? Schon der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Durch die postapokalyptische, verseuchte Stadt in «Dishonored» schleichen? Nein, danke. Stundenlang über die neblig-düsteren Ebenen in «Shadow of the Colossus» reiten? Etwas Tristeres kann ich mir nicht vorstellen.

Solche Welten will ich gar nicht erst erkunden. Nebel und Regen habe ich auch vor meiner Haustüre. Einen Sandstrand nicht.

Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass ich mich in der von Ratten überrannten, stinkenden Kanalisation in «Dishonored» nicht wohlfühle?
Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass ich mich in der von Ratten überrannten, stinkenden Kanalisation in «Dishonored» nicht wohlfühle?
Quelle: Arkane Studios

Gamen ist für mich immer auch ein Entkommen aus dem Alltag. Wie ein Kind bestaune ich schwebende Schlösser, orientalische Bazare oder Wälder aus Riesenpilzen – schöne Dinge eben, die nicht direkt vor meiner IRL-Haustür liegen. Gerade wenn es kalt ist und regnet, flüchte ich für einige Stunden an die virtuelle Sonne. Deshalb kehre ich regelmässig an meine vertrauten Sehnsuchtsorte zurück.

Was zählt, ist die Optik

Ab und zu kreiere ich in «World of Warcraft» einen neuen Blutelfen-Charakter, nur um wieder einmal das Startgebiet zu sehen, den Immersangwald. Stundenlang könnte ich in diesem mystischen Forst Feuerbälle auf schwebende Manawyrme schleudern. Ohne Ziel, aber in völliger Glückseligkeit.

Es macht mir auch nichts aus, dass ich nur einen Zauber zur Verfügung habe, immer die gleichen Tastenkombinationen drücke und die Manawyrme scheinbar nichts aus ihren Fehlern lernen. Der Gameplay-Aspekt meines Erlebnisses ist so stupide und repetitiv, dass er in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

Mystische Bäume, kunstvolle Elfentürme und schwebende Zauberkristalle: Der Immersangwald in «World of Warcraft» ist meine Wohlfühloase.
Mystische Bäume, kunstvolle Elfentürme und schwebende Zauberkristalle: Der Immersangwald in «World of Warcraft» ist meine Wohlfühloase.
Quelle: Blizzard Entertainment

Was mich zurück zu «Far Cry 6» bringt: Wie befriedigend sich die Waffen anfühlen, wie realistisch die Gegner auf meine Aktionen reagieren oder wie repetitiv das Gameplay ist, das alles ist mir relativ schnuppe. Ich bin hauptsächlich damit beschäftigt, mit dem Wingsuit über die Vulkaninsel zu fliegen, die Pelikane zu füttern und am Strand den Sonnenuntergang zu betrachten. Spricht mich die Spielwelt an, verzeihe ich dem Gameplay auch die gröberen Schnitzer.

«Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen», schrieb Albert Camus. Je länger ich darüber nachdenke, desto besser verstehe ich. Für alle Ewigkeiten einen Felsen den Berg hochrollen? Solange die Aussicht stimmt, stelle ich mir das gar nicht so schlimm vor.

Titelbild: «Assassin's Creed: Black Flag»

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Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.


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