Sony Xperia 1 V
256 GB, Black, 6.50", Hybrid Dual SIM, 48 Mpx, 5G
Viele Smartphones wollen sich mit ihren Kameras abheben. Sie bieten Raw-Bilder, manuelle Einstellungen oder Kooperationen mit prestigeträchtigen Marken. In dieses Horn bläst auch Sony mit seinem 1400 Franken teuren Flaggschiff.
Mit der Kamera des Xperia 1 V will Sony «neue Massstäbe setzen». Konkret ist im Smartphone zum ersten Mal ein neuartigen Stacked Sensor verbaut. Der soll für mehr Dynamikumfang und ein besseres Rauschverhalten sorgen – kurz: für bessere Bilder. Ausserdem packt Sony jede Menge manueller Einstellungsmöglichkeiten in die Kamera-Apps. Viele Knöpfe sehen schliesslich professionell aus.
Sony Xperia 1 V
256 GB, Black, 6.50", Hybrid Dual SIM, 48 Mpx, 5G
Was mir Sonys Marketing damit zu sagen wollen scheint: Unser Telefon ist wie eine Profikamera. Was ist da dran? Ich teste, wie nahe das Xperia an eine Sony Alpha 7RV kommt und ob es besser ist als andere Smartphones. Wenn du wissen willst, wie es sich abseits der Fotografie schlägt, findest du hier den Gesamttest von Kollegin Michelle Brändle:
Die Spezifikationen des Sony Xperia 1 V hören sich gut an: Drei verschiedene Kameras mit Brennweiten von 16, 24 und 85-125 Millimeter. Die letzte zoomt tatsächlich optisch dank Periskop-Technologie. Die Auflösung der Bilder beträgt zwölf Megapixel, wobei die Hauptkamera das Bild in 48 Megapixel aufnimmt und danach herunterrechnet. Das nennt sich Pixel Binning. Hinzu kommt der übliche Schnickschnack wie Nacht- oder Portraitmodus und der oben erwähnte Stacked Sensor in der Hauptkamera.
Besonders gross ist dieser mit 1/1,35 Zoll nicht. Noch kleiner sind die Sensoren der Weitwinkelkamera (1/2,5 Zoll) und der Telekamera (1/2,5 Zoll). Um diese Grössen in Relation zu einer «richtigen» Kamera zu setzen: Die Fläche eines Vollformat-Sensors ist etwa zehnmal grösser als der grösste Sensor des Xperia. Diesen gigantischen physischen Nachteil versuchen die heutigen Smartphones mit allerlei digitaler Bildverarbeitung zu kompensieren.
Noch wichtiger ist ein anderer Unterschied: Objektive von grossen Kameras haben eine variable Blende. Sie können also mehr oder weniger Licht durchlassen. Ob ich mit Blende f/2 oder f/11 fotografiere, hat auch einen Einfluss auf die Tiefenschärfe. Die Blenden des Xperia sind fix: f/1,9 bei 24 mm, f/2,2 bei 16 mm und f/2,3-2,8 bei 85-125 mmm. Das heisst, diese Kameras steuern ihre Belichtung ausschliesslich über Verschlusszeit und ISO.
Für Fotos und Videos gibt es je eine eigene App auf dem Sony Xperia 1 V. «Photo Pro» startet im «Basismodus». Er ist für schnelle Schnappschüsse gedacht und für Leute, die sich nicht eingehend mit Einstellungen befassen möchten. Hier kann ich lediglich verschiedene Farbprofile wählen oder den Weissabgleich anpassen. Über die Taste «Bokeh» komme ich zum Portraitmodus mit künstlicher Unschärfe. «Basic» nimmt Bilder nur im JPG-Format auf. Das Raw-Format ist für die fortgeschrittenen Modi reserviert.
Diese heissen gleich, wie ich es von grossen Kameras kenne: «Auto», «Programmautomatik», «Verschlusspriorität» und «Manuell». Ich verstehe bis zum Schluss nicht, wozu ich drei verschiedene Automatik-Versionen brauche. «Auto» ist im Prinzip fast das gleiche wie «Basic», bloss mit anderer Benutzeroberfläche. Ironischerweise kann ich hier sogar weniger einstellen, der Weissabgleich ist nämlich fix auf AWB (Auto White Balance). Erst bei «Programmautomatik» ist der Button nicht mehr ausgegraut. Dort kann ich zudem die ISO manuell wählen.
Müssig in einem Smartphone wie dem Xperia finde ich die zwei anderen Modi: «Verschlusspriorität» und «Manuell» bringen wenig, weil die Blende fix ist. Ich kann also nicht wie bei einer grossen Kamera eine kreative Entscheidung über die Tiefenschärfe treffen. Beziehungsweise nur über den digital erzeugten «Bokeh»-Effekt, der aber wiederum nur im «Basic»-Modus zur Verfügung steht.
Die einzig sinnvolle Anwendung der manuellen Modi, die mir einfällt, sind Langzeitbelichtungen. Will ich etwa fliessendes Wasser verschwimmen lassen, wähle ich eine Belichtungszeit von mehreren Sekunden. Das klappt allerdings nur, wenn es bereits sehr dunkel ist. Schliesslich hat das Xperia keine eingebauten ND-Filter – und eben: eine fixe Blende. Abgesehen von diesem Spezialfall führen die Knöpfe in den manuellen Modi genau zum gleichen Ziel wie die «Basic»-Einstellungen: Ich kann das Bild heller oder dunkler machen und das Farbprofil sowie den Weissabgleich verändern.
Sinnvoller gestaltet finde ich die App «Video Pro». Sie hat nur einen Modus, der immer halbautomatisch ist. Ich kann im Menü Gamma-Kurven auswählen, die Bildfrequenz anpassen oder die Verschlusszeit wählen. Letzteres macht bei Videos Sinn, da sie für einen natürlichen Look als Faustregel das Doppelte der Bildfrequenz betragen sollte. Das funktioniert wie Langzeitbelichtungen nur bei den genau richtigen Lichtverhältnissen. Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: keine ND-Filter, keine variable Blende.
Zurück zum Fotografieren. In der Praxis benutze ich meistens die Programmautomatik und schiesse Bilder im Raw-Format. Zu Beginn bin ich enttäuscht vom Xperia 1 V: Bei hellem Licht ist mir das Display zu dunkel und die Vorschau sieht schlecht aus. Zum Vergleich zücke ich mein Apple iPhone 14 Pro – ein Unterschied wie Tag und Nacht. Auf dem iPhone habe ich während der Aufnahme das Gefühl, jedes Foto sei ein Meisterwerk.
Betrachte ich die geschossenen Bilder des Xperia nachher im Schatten, sehen sie schon besser aus. Die wahre Offenbarung kommt aber erst am Computerbildschirm. Plötzlich finde ich die Bilder des Xperia natürlicher als die des iPhones. Bei letzterem haben selbst Raw-Aufnahmen einen übertriebenen HDR-Look. Das liegt an Apples eingebettetem Farbprofil. Es hat etwa den gleichen Effekt, wie wenn ich in einem normalen Farbprofil die Schatten maximal aufhelle und die Lichter maximal abdunkle.
Das gilt wohlgemerkt alles nur fürs Raw-Format. JPGs aus dem Basic-Modus des Xperia sind je nach Situation ähnlich überschärft wie beim iPhone. Ohne HDR-Modus brennen bei kontrastreichen Szenen die Lichter aus. Das führt mich zur Vermutung, dass die Hardware des Xperias keine Vorteile hat. Doch Apple drängt mir überall seine aggressiven Bildverarbeitungs-Algorithmen auf. Währenddessen bekomme ich bei Sony zumindest im Raw-Format eher ein Bild, wie ich es aus grossen Kameras kenne.
Damit eine Raw-Datei etwas bringt, brauche ich einen vernünftigen Dynamikumfang und ein gutes Rauschverhalten. Sonst lässt sich bei hohen Kontrasten wenig aus einem Bild rausholen und ich bevorzuge digitale Tricks wie beim iPhone. Bei Tageslicht liefert die Hauptkamera des Sony Xperia 1 V: Die Raw-Aufnahmen haben genug Spielraum, damit ich einen hellen Himmel retten und gleichzeitig die Schatten aufhellen kann.
Als Referenz schiesse ich das gleiche Bild mit meiner Sony Alpha 7RV – die kostet 4500 Franken und hat einen Vollformatsensor mit 61 Megapixeln. Wie erwartet hat die Alpha mehr Dynamikumfang-Reserven. Sowohl in den Lichtern als auch in den Schatten steckt mehr Struktur in den Dateien. Bei meiner Testszene reize ich diesen Vorteil jedoch kaum aus. Die Detailauflösung ist wegen der höheren Auflösung besser. Trotzdem: Bei niedriger ISO schlagen sich Haupt- und Weitwinkelkamera des Sony Xperia 1 V sehr wacker.
Sobald das Licht schwindet, wird es schwieriger. Das Bildrauschen wird spätestens ab ISO 800 zum Problem. Auch der Dynamikumfang schwindet. In so einer Situation zieht die grosse Profikamera davon. Abhilfe schafft der Nachtmodus des Xperia, der ähnlich gut funktioniert wie beim iPhone. Das Smartphone stabilisiert eine Langzeitbelichtung digital und lässt diverse Rauschfilter arbeiten. Das Ergebnis ist ein glattes Bild, das von weitem gut aussieht. Der Preis sind Artefakte und weniger Details.
Andere Smartphones tendieren zu immer noch kürzeren Brennweiten bei ihrer Weitwinkelkamera, aktuell sind es beim iPhone 14 Pro zum Beispiel 13 Millimeter aufs Kleinbildformat umgerechnet. Da passt zwar mehr ins Bild, die Verzerrung ist aber dementsprechend stark. Da gefallen mir die 16 Millimeter des Xperia 1 V persönlich besser. Der Sensor ist nicht ganz so gut wie bei der Hauptkamera. Er rauscht etwas stärker. Gross ist der Unterschied aber nicht, was das Weitwinkel zu einer guten Ergänzung macht.
Anders die Telekamera mit ihrem Periskop-Zoom: Sie mag innovativ sein, gut ist sie nicht. Fotos werden schon mit 85 Millimetern nicht scharf, bei 125 Millimetern sind sie kompletter Matsch – auch bei Tageslicht. Ich würde das Tele deshalb nur im Notfall einsetzen. Sogar das ebenfalls nur mittelmässige 70-Millimeter-Objektiv meines iPhone macht die besseren Bilder. Von meiner grossen Kamera sprechen wir gar nicht erst. Spätestens hier werden die Grenzen von Smartphones glasklar.
Die Frontkamera ist in Ordnung, Selfies sehen nicht schlecht aus. Die Qualität ist aber weniger gut als bei der Haupt- oder Weitwinkelkamera.
Die grösste Überraschung des Sony Xperia 1 V ist die Videoqualität. Bisher galt das iPhone 14 Pro als Benchmark für Smartphone-Bewegtbilder. Doch das Xperia jagt ihm für mich diesen Titel ab.
Im Gegensatz zu Apple überschärft Sony die Videoaufnahmen nicht. Beim iPhone werden auf einem grossen Bildschirm Artefakte sichtbar, hinzu kommt der aus Fotos bekannte HDR-Look. Die iPhone-Videos wirken künstlich. Erst im ProRes-Format passiert das nicht mehr – dann werden die Dateien aber wahnwitzig gross. Das Xperia liefert auch im handlichen H.264 Codec natürliche und trotzdem detailreiche Videos. Ich bin begeistert.
Hier eine Testaufnahme mit Vergleichen zum iPhone 14 Pro und der Sony Alpha 7RV. Letztere filtert mit dem internen Mikrofon den Wind besser raus als die beiden Smartphones.
Damit du mich richtig verstehst: Ein Ersatz für eine Profikamera ist das Smartphone auch bei Videos nicht. Eine grosse Alpha spielt qualitativ bereits bei Tageslicht in einer anderen Liga. Sobald das Licht schwindet, wächst der Abstand weiter. Ausserdem gibt es mit dem kleinen Sensor und der kurzen Brennweite in Smartphones keine natürlichen Bokeh-Effekte. Trotz dieser Einschränkungen: Ich könnte die 4K-Aufnahmen aus dem Xperia gut mit solchen aus meiner grossen Sony-Kamera mischen. Dazu trägt das sehr gute Farbprofil «S-Cinetone for mobile» bei, das nahe an das normale «S-Cinetone» rankommt.
Haupt- und Weitwinkelkamera des Sony Xperia 1 V sind gut. Wenn ich Bilder im Raw-Format aufnehme und danach am Computer entwickle, gehören sie zu den besten Smartphone-Kameras, die es gibt. Die Bilder wirken natürlich und haben viel Dynamikumfang. Im Vergleich zu anderen Smartphones hervorragend sind die Videos – dank gutem Farbprofil, wenig digitalen Artefakten und sinnvollem Codec.
Die Frage ist: Wie viele Leute nutzen Raw-Bilder in einem Smartphone? Denn bei allem Lob vollbringt auch Sony keine Wunder. Die manuellen Modi sind hübsch gemacht, aber wegen der fixen Blende Makulatur. Natürliche Bokeh-Effekte gibt es mit der Kombination aus kleinem Sensor und kurzer Brennweite kaum. Bei wenig Licht nimmt Bildrauschen überhand. Und die Bilder aus der Telekamera finde ich gänzlich unbrauchbar. So kommt das Xperia nur in sehr spezifischen Situationen an ausgewachsene Kameras heran: Wenn ich bei Tageslicht mit 16 oder 24 Millimeter ohne Bokeh fotografieren oder Videos aufnehmen will. Für alles andere brauche ich weiterhin einen grossen Sensor und ein grosses Objektiv.
Will ich das Smartphone nur für Schnappschüsse verwenden, schmilzt der Vorteil des Sony Xperia 1 V gegenüber der Konkurrenz dahin. JPG-Bilder sind ähnlich überzeichnet und haben nicht besonders viel Dynamikumfang. Sie sind nicht besser oder schlechter als bei meinem Apple iPhone 14 Pro oder beim Google Pixel 7 Pro. Das Sony-Flaggschiff fällt damit fotografisch zwischen Stuhl und Bank. Für spontane Schnappschüsse bietet es kaum Vorteile gegenüber anderen Smartphones. Für ambitionierte Anwendungen ist es höchstens eine teure Ergänzung zu ausgewachsenen Kameras.
Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.