Zeit, dass Nintendo erwachsen wird
Auf dem Rücken von «Mario Kart», «Animal Crossing» und «Pokémon» hat die Switch den Konsolenthron erklommen. Kinder und Nintendo-Fans sind glücklich, jetzt könnte Nintendo endlich auch das erwachsene Publikum bedienen.
Für eine Runde «Mario Kart 8 Deluxe» kann ich meinen Freundeskreis immer begeistern. Das meistverkaufte Switch-Game aller Zeiten hat alle Gesellschaftsschichten durchdrungen. Von raren gemeinsamen Spieleabenden abgesehen, sind die Berührungspunkte mit Nintendo in meinem Umfeld aber fast gänzlich verschwunden. Dabei sind wir alle mit NES, SNES und Co. gross geworden. An der Nostalgie kann es also nicht liegen.
Ich schalte meine Switch regelmässig ein, wenn auch primär zusammen mit den Kindern oder aus beruflichen Gründen. Die Mehrheit meiner Gamer-Freunde besitzt hingegen nicht mal eine Nintendo-Konsole. Auf die Frage nach dem Warum höre ich immer die gleiche Antwort: «Die Spiele sind zu kindlich».
Die Familienkonsole
Ganz widersprechen kann ich dieser Aussage nicht. Nintendo gilt nicht umsonst als Synonym für familienfreundliche Konsolen. Selbstverständlich zocken auch Millionen Erwachsene auf der Switch – mich eingeschlossen. Aber das kinderfreundliche Angebot verleidet mir mehr denn je. Der Höhepunkt war für mich beim Nintendo 64 erreicht. «Super Mario 64», «Goldeneye» und «Starfox 64» waren spielerisch wie technisch überragend. Abgesehen vom kurzen Aufbäumen beim Gamecube hat sich Nintendo vom grafischen Wetteifern abgewandt und den Fokus noch stärker auf knallbunte Kinderunterhaltung gelegt. Diese Entwicklung verläuft leider komplett entgegen meiner persönlichen Vorliebe. Meine Begeisterung für Nintendos Konsolen hat darum kontinuierlich abgenommen.
Nintendo-Games beeindrucken zwar nach wie vor durch ihre Kreativität. Aber das ständige an die Hand nehmen, die immergleichen unvertonten Geschichten und die kindliche Aufmachung stören mich immer mehr. Mir ist völlig klar, warum das so ist. Nintendo will Spiele machen, die alle verstehen und spielen können. Um niemanden auszuschliessen, liegt der kleinste gemeinsame Nenner dann oft bei «Kinderspielen». Aber es muss doch auch was geben, bei dem ich nicht ständig mit den Augen rollen muss. Ich möchte mich als Spieler angesprochen fühlen und nicht nur ein Hintergedanke sein.
Mit «The Legend of Zelda: Breath of the Wild» und besonders «Tears of the Kingdom» gibt es auch durchaus Games, die in diese Richtung gehen. Gerade letzteres ist teilweise richtig düster. Beide sind ab 12 Jahren freigegeben. Sie behalten den kindlichen Nintendo-Charme, driften aber seltener ins Kindische ab. Die Mehrheit der Games, die Nintendo entwickelt oder herausgibt, werden allerdings jünger eingestuft. Auf der Seite des europäischen Alterseinstufungssystems PEGI sind 103 Games für die Switch aufgeführt. Sie teilen sich wie folgt auf:
- ab 18 Jahren: 4 Games
- ab 16 Jahren: 6 Games
- ab 12 Jahren: 29 Games
- ab 7 Jahren: 59 Games
- ab 3 Jahren: 30 Games
Da auch die unterschiedlichen Versionen eines Spiels mitgezählt werden, ist das Total höher als die tatsächliche Anzahl existierender Spiele. Und auch wenn eine niedrigere Alterseinstufung nicht per se bedeutet, dass ein Spiel automatisch ein Kinderspiel ist, ist die Tendenz offensichtlich.
Auf zu neuen Ufern
Wenig experimentierfreudig zeigt sich Nintendo auch bei der Spielevariation. In den Bestenlisten tauchen die immer gleichen Serien auf. Die unzähligen Mario-, Zelda- und Pokémon-Ableger sind längst im zweistelligen Bereich. Gerne kann Nintendo diese Kühe bis zum Jüngsten Gericht melken. Geld verdient sich damit offensichtlich eine Menge. Es zeigt sich allerdings, dass der Konsolenmarkt stagniert. Xbox-Chef Phil Spencer betonte unlängst, dass man darum andere Gärtchen beackern müsse. Für Nintendo würde das bedeuten, PC-, Playstation- und Xbox-User anzuvisieren. Die Switch 2 wäre die perfekte Gelegenheit, ein bisschen kreative Energie in erwachsenere Games zu investieren. Also Games, die spielerisch mehr Komplexität bieten, schwerere Themen behandeln oder visuell nicht den gesamten Farbkreis aufbrauchen.
Am meisten würde ich mich freuen, wenn sich ein Nintendo-Studio an neue Franchises wagt. Damit meine ich keine Launch-Füller wie «1-2-Switch» oder «Arms», die nicht viel mehr als Techdemos für neue Konsolen-Features waren. Ich möchte ein vollwertiges Nintendo-Game, das die technischen Möglichkeiten der Switch 2 ausreizt und den Ideenreichtum der japanischen Spieleschmiede anzapft. Ob Singleplayer oder Multiplayer spielt für mich keine Rolle, Hauptsache, ich spüre die Nintendo-Magie, die viel zu selten ausserhalb der üblichen Verdächtigen zum Einsatz kommt.
Das Image der familienfreundlichen Konsole würde darunter nicht leiden. Die Spiele müssen weder brutal noch blutig sein. Mit «Emio – der lächelnde Mann» hat Nintendo bereits ein eigenes ab-18-Spiel entwickelt. Mir schwebt aber etwas Grösseres vor. Einen echten Nintendo-Blockbuster, nur eben ohne Mario und Co. – obwohl ich es auch spannend fände, die Traditionsmarken in einem neuen Setting zu sehen.
Eine Detektive-Noire-Story mit einem cholerischen Mario, der den Mord an seinem Bruder Luigi aufklären muss. «Pokémon» aus der Perspektive der kleinen Monster, die die Fesseln der Pokébälle sprengen und sich gegen ihrer Herrscher wenden, weil sie sich nicht mehr gegenseitig bekämpfen wollen. Oder eine Art «GTA», in dem du als verruchter Wario zum Gangster-Boss einer Grossstadt aufsteigst.
Mit den eigenen Spielikonen dürfte Nintendo zu protektionistisch sein. An Ideen hat es dem japanischen Unternehmen aber noch nie gemangelt. Ich bin überzeugt, Nintendo wäre eine Bereicherung für die Branche, wenn sie hie und da eine ältere Zielgruppe ins Auge fassen würden.
Was für erwachsenere Spiele würdest du gerne von Nintendo sehen? Oder bevorzugst du den Status Quo?
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.