Meinung

Darum bleibt «SimCity 2000» bis heute unerreicht

Philipp Rüegg
27.10.2023

«Cities Skylines 2» ist grösser, detaillierter und komplexer als «SimCity 2000». Dennoch bleibt die pixelige Städtebau-Simulation aus dem Jahr 1993 für mich bis heute unerreicht.

Ach, dieser Sound. Schon nach wenigen Sekunden, als der wunderbare Midi-Soundtrack erklingt, bekomme ich ein warmes Gefühl im Bauch. Es gibt nur wenige Spiele, in denen die Musik für mich einen derart integralen Teil ausmacht, wie in «SimCity 2000». Komponistin Sue Kasper hat den perfekten Soundtrack geschaffen, der nicht zu aufdringlich, aber doch so eingängig ist, dass ich mit dem Kopf wippen muss. Gleichzeitig ist er subtil genug, dass er auch nach zig Spielstunden nicht nervt. Ganz im Gegensatz zu den penetranten Jingles in den Radiostationen von «Cities Skylines 2».

Ein Spiel, das mich mit solch funkigen Klängen empfängt wie «SimCity 2000», muss einfach gut sein. Und das ist es – auch heute noch. Für diesen Artikel habe ich mir den 30 Jahre alten Klassiker wieder installiert. Luftige 140 Megabytes werden für Maxis Stadtsimulation benötigt. «Cities Skylines 2» verschlingt mal eben 56 Gigabytes. Klar, ist neben der detaillierten Grafik und der komplexen Simulation auch die Spielwelt ein Vielfaches grösser. Aber Grösse ist – einmal mehr – nicht alles.

Idyllisch, trotz Presslufthammer

«SimCity 2000» hat dieses gewisse Etwas. Es fängt mit dem befriedigenden Presslufthammer-Geräusch an, wenn ich Strassen baue. Oder diesem bienenartigen Summen, wenn ich Strommasten verlege. Das Geräusch hat doch garantiert jemand mit dem Mund gemacht. Typisch für Spiele aus den frühen 90ern wird nichts erklärt. Müssten meine Wasserleitungen nicht blau sein, wenn Wasser fliesst? Ich habe doch eine Pumpe angeschlossen. Ach so, eine reicht nicht. Wie wärs mit zwei? Nicht? Drei? Also gut, dann pack ich halt zehn Stück hin. Ah, jetzt blubbern meine Leitungen.

Beim Verlegen von Strassen oder Wasserleitungen erklingt ein befriedigendes Presslufthammer-Geräusch.
Beim Verlegen von Strassen oder Wasserleitungen erklingt ein befriedigendes Presslufthammer-Geräusch.
Quelle: Maxis

Auch wie weit ich die Wasserleitungen ziehen muss, erschliesst sich mir nicht auf den ersten Blick. Gleiches gilt für die Stromleitungen. Ich ziehe grosszügig von meinem Kohlekraftwerk aus kreuz und quer ein paar Strommasten. Das letzte Element der Heiligen Dreifaltigkeit sind die Strassen. Zu exzessiv hantiere ich mit diesem Werkzeug nicht, denn das kostet Geld und das will in «SimCity 2000» erst verdient werden. Zum Schluss tapeziere ich die freien Flächen mit Wohn-, Gewerbe- und Industriezonen. Es dauert nicht lange und schon spriessen die ersten Gebäude in die Höhe. Da qualmt ein Schornstein, dort lockt ein Donut-Geschäft mit frischem Gebäck Kunden an – und die ersten schwarzen, verlassenen Häuser warten auch schon auf den Abrissbagger. Da habe ich wohl doch nicht genügend Leitungen verlegt.

Selbst mit diesem Planungsfehler strahlt mein kleines Städtchen schon nach wenigen Minuten enorm viel Persönlichkeit aus. «SimCity 2000» ist deutlich bunter und comichafter als die meisten modernen Städtebau-Simulationen. Das Design ist dadurch bis heute unverkennbar. Die Städte strotzen vor Charakter und geben meiner Stadt diesen einzigartigen «SimCity»-Look. Chef-Entwickler Will Wright, der mit «Die Sims» später noch grössere Erfolge haben sollte, hat mit den damaligen Möglichkeiten etwas Wunderbares geschaffen.

Spielerisch wirkt der Klassiker geradezu archaisch im Vergleich zu «Cities Skylines 2». Es gibt nur einen Bruchteil der Baumöglichkeiten, die Colossal Orders Simulator offeriert. Kurven? Gibt es nicht. In «SimCity 2000» sehen alle Städte wie amerikanische Metropolen aus. Ich habe sie auch meist wenig phantasievoll New York oder Philadelphia genannt – letzteres aus offensichtlichen Gründen.

Bereits mit wenigen Gebäuden strahlt das Spiel viel Charm aus.
Bereits mit wenigen Gebäuden strahlt das Spiel viel Charm aus.
Quelle: Maxis

Die Mischung aus Überschaubarkeit und lebendiger Spielwelt macht «SimCity 2000» so reizvoll. Ich muss mich nicht um tausend verschiedene Bedürfnisse kümmern und kann mich schon nach kurzer Zeit über eine wuselnde Stadt freuen.

Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt

Ein weiterer wichtiger Bestandteil von «SimCity 2000» ist der Editor. Bevor ich ein Spiel starte, wird erst die Karte präpariert. Natürlich wäre es am effektivsten, die ganze Karte flach zu machen, abgesehen von ein paar Flüssen und Seen. Das ist aber langweilig. Meine Karten haben Charakter. Berge, Flüsse, Meeresbuchten und natürlich ein Plateau für den Flughafen. Wozu? Weil der Flughafen so besser zur Geltung kommt und weil ich das als Kind schon so gemacht habe. Im Vergleich zu «Cities Skylines 2» komme ich mit dem Editor viel besser zurecht. Die einfache Rasterstruktur lässt zwar weniger Möglichkeiten zu, dafür entsteht schneller etwas Ansehnliches.

Bevor es mit dem Städtebau losgeht, wird die Karte präpariert.
Bevor es mit dem Städtebau losgeht, wird die Karte präpariert.
Quelle: Maxis

Und es gibt etwas, das «Cities Skylines 2» nicht hat: Arkologien. Das sind gigantische Gebäudekomplexe, die erst in den letzten Epochen des Spiels gebaut werden können. Habe ich schon erwähnt, dass «SimCity 2000» über eine Zeitspanne von 250 Jahren spielt? Vier Stück dieser Arkologien gibt es, die bis zu 65 000 Bewohnerinnen und Bewohner beherbergen können. Meine Spielpartien liefen immer darauf hinaus, dass ich am Ende das komplette Spielfeld mit diesen futuristischen Megabauten vollgepflastert hatte.

Arkologien sind gigantische Gebäudekomplexe, die alle Bedürfnisse abdecken.
Arkologien sind gigantische Gebäudekomplexe, die alle Bedürfnisse abdecken.
Quelle: Maxis

Verschwunden, aber nicht vergessen

«SimCity 2000» hat sich 4,23 Millionen mal verkauft. Das ist für damalige Verhältnisse ein gigantischer Erfolg. Maxis schuf damit das Vorbild, nach dem sich alle folgenden Städte-Simulationen richteten.
Bereits das erste «SimCity» mauserte sich 1989 nach einem langsamen Start zum Kassenschlager. Nicht zuletzt dank Nintendos Mithilfe, unter deren Aufsicht der Port für den NES deutlich überarbeitet wurde. Der Erfolg des ersten Teils markierte den Startschuss einer Reihe von Sim-Ablegern wie «SimAnt», «SimLife» oder «SimFarm». Das weisse Sim-Logo war in den 90er-Jahren omnipräsent.

Am Ende jedes des Spiels lasse ich jegliche Katastrophen über meine Stadt ziehen. Das Highlight dabei ist natürlich das UFO.
Am Ende jedes des Spiels lasse ich jegliche Katastrophen über meine Stadt ziehen. Das Highlight dabei ist natürlich das UFO.
Quelle: Maxis

Nach zehn Jahren Unabhängigkeit wurde Maxis 1997 von EA gekauft. Während «SimCity 3000» noch mehrheitlich ohne fremde Einflüsse fertiggestellt wurde, drückte EA dem fünften Teil deutlich den Stempel auf. Online-Zwang, überfüllte Server und kleinere Karten sorgten für viel Missmut. Vom Launch-Debakel profitierte Colossal Order. Deren Spiel «Cites Skylines» erhielt als Folge davon grünes Licht, weil Publisher Paradox eine Marktlücke sah. Die scheint nun gestopft. Mein Städtebau-Bedürfnis hingegen bleibt weiterhin ungestillt.

«Cities Skylines 2» ist abgesehen von den Performance-Problemen ein tolles Spiel, aber ein Gefühl wie «SimCity 2000» löst es in mir nicht aus. Mir bleibt die Erinnerung an unzählige schöne Stunden mit UFO-Angriffen, futuristischen Megabauten und ineffizienten Landtransformatoren. Viele Mechaniken von «SimCity 2000» habe ich als Kind nicht so recht verstanden, das Spiel hat mir trotzdem sehr viel Spass gemacht. Und das tut es noch heute.

Korrektur: EA hat den fünften Teil kolossal verbockt, nicht den vierten.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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