EU vs. Big Tech
Meinung

EU vs. Big Tech

Die EU will monopolistische Tendenzen grosser Tech-Firmen bekämpfen. Sie setzt den Hebel dort an, wo es weh tut. Gut so. Nun darf sie es bloss nicht übertreiben.

Margrethe Vestager meint es ernst. Mit dem Digital Markets Act (DMA) will die EU-Kommissarin grosse Tech-Firmen regulieren. Sie feuerte in den letzten Wochen Warnschüsse vor den Bug von Apple, Microsoft und Meta. Damit macht sie klar: Schein-Umsetzungen reichen nicht.

Die US-Justiz kann Kartellgesetze kaum durchsetzen. In diese Bresche springt nun die EU.

Das ist richtig und wichtig. Es braucht ein wirksames Kartellgesetz. Darüber ist sich auch die US-amerikanische Politik weitgehend einig. Doch ihr dysfunktionales System wirkt machtlos. Es wandelt Lippenbekenntnisse nicht in neue Gesetze um – und kann bestehende kaum durchsetzen. In diese Bresche springt nun die EU. Sie muss konsequent bleiben und gleichzeitig Augenmass beweisen.

Monopoly im echten Leben

Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft lösen bei vielen Leuten einen Abwehrreflex aus. Das häufigste Gegenargument: «Benutz das Produkt halt einfach nicht!» Diese Logik basiert auf einem radikalen Glauben an Wirtschaftsliberalismus – der freie Markt werde schon dafür sorgen, dass sich die besten Produkte durchsetzen.

Doch das Modell stösst an seine Grenzen, sobald sich eine Firma eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet hat. Damit wird sie zur Puppenspielerin der unsichtbaren Hand des freien Markts – der dann nicht mehr funktioniert: Bindet eine Monopolistin die Kundschaft innerhalb ihres Ökosystems, werden die Einstiegshürden für Konkurrenten schier unüberwindbar. Handelt es sich gleichzeitig um ein essenzielles Produkt, kann das Unternehmen den Preis fast beliebig hoch ansetzen.

Es ist im echten Leben genau wie beim Brettspiel: Hat sich ein Spieler erstmal eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet, haben die anderen keine Chance mehr.
Es ist im echten Leben genau wie beim Brettspiel: Hat sich ein Spieler erstmal eine marktbeherrschende Stellung erarbeitet, haben die anderen keine Chance mehr.
Quelle: Shutterstock

Genau davor sollen Kartellrechte die Konsumenten schützen. Sie verbieten nicht, dass eine Firma Erfolg hat. Doch sobald diese eine gewisse Marktmacht angehäuft hat, gelten strengere Regeln als vorher. Dann darf ein Unternehmen der Konkurrenz etwa nicht den Zugang zum Markt erschweren. Das gilt auch dann, wenn eine marktbeherrschende Stellung mit fairen Methoden und guten Produkten erarbeitetet wurde.

Die Mathematik der Abschreckung

Der DMA ist eine spezielle Art eines solchen Kartellrechts. Er zielt nur auf ein paar wenige grosse Tech-Unternehmen. Die EU nennt diese «Gatekeeper». Alle Details findest du hier.

Doch Apple, Meta und Co. sträuben sich gegen die Umsetzung der neuen Regeln. Logisch. Denn sie bedrohen in der EU die fetten Gewinne, welche die Firmen mit gewissen Quasi-Monopolen erwirtschaften. Deshalb setzen die Unternehmen den DMA nur widerwillig und minimalistisch um. Sie machen bei jeder Entscheidung folgende Abwägung:

«Sollen wir die Regel umzusetzen?»

  • [Chance einer Klage] × [erwartete Strafe] > [erwarteter Profit] → Ja
  • [Chance einer Klage] × [erwartete Strafe] < [erwarteter Profit] → Nein

Aus ihrem Heimatland ist sich Big Tech die zweite Antwort gewohnt. In den USA verlaufen Kartellrechtsklagen meist im Sand. Und selbst wenn mal eine erfolgreich ist, sind die Bussen lächerlich klein. Damit fehlt der mathematische Anreiz, das Gesetz einzuhalten.

Anders in der EU. Dort wacht Kommissarin Margrethe Vestager mit Argusaugen darüber, ob der DMA sinngemäss umgesetzt wird. Falls nicht, eröffnet sie eine Untersuchung, die innert Jahresfrist zu einem Urteil führt. Davon sind schon diverse in Gang – von Dreien hat die EU kürzlich vorläufige Ergebnisse publiziert:

  • Apple erschwert es App-Entwicklern, User für den Kauf von Abos auf externe Webseiten zu lenken. Das besagt zumindest der vorläufige Untersuchungsbericht.
  • Microsoft hat nach Ansicht der Kommission die Teams-Plattform zu eng mit Microsoft365 verzahnt. Selbst nachdem es die Messenger-App vom Abo entkoppelt hat.
  • Meta verstösst gemäss der EU-Kommission gegen die Datenschutzgesetze des DMA. Es gebe Usern keine echte Wahl, die Nutzung von persönlichen Daten für Werbezwecke abzulehnen.

Die drohenden Strafen dürften den betroffenen Unternehmen durchaus Angst machen. Sie sind hoch. Richtig hoch: bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, im Wiederholungsfall bis zu zwanzig Prozent. Das sind Kosten, die auch die reichsten Unternehmen des Planeten nicht mehr aus der Portokasse bezahlen. Sie würden für massive Gewinneinbrüche und sinkende Aktienkurse sorgen.

Passiv-aggressive Retourkutschen

Das Silicon Valley reagiert mit Beteuerungen. Man wolle selbstverständlich weiterhin nahe mit der EU zusammenarbeiten. Man sei der Ansicht, den DMA korrekt umzusetzen. Man wolle doch nur das Beste für die Konsumenten, die ja die Produkte freiwillig kaufen oder nutzen würden.

Die zweite Antwort auf die drohende Regulierung gleicht einer Trotzreaktion eines Zehnjährigen: Apple kündigte an, die neue «Apple Intelligence» in der EU zurückzuhalten – wegen «regulatorischer Unsicherheiten, die der DMA mit sich bringt». Dabei ist nicht ersichtlich, inwiefern die KI-Funktionen vom Gesetz betroffen wären.

Meta-CEO Mark Zuckerberg will EU-Usern keine einfache Möglichkeit geben, die Verarbeitung von persönlichen Daten abzulehnen.
Meta-CEO Mark Zuckerberg will EU-Usern keine einfache Möglichkeit geben, die Verarbeitung von persönlichen Daten abzulehnen.
Quelle: Shutterstock

Mark Zuckerberg bläst ins gleiche Horn. Auch Meta zieht neue KI-Features aus Europa zurück. Dies, nachdem die EU die unnötig komplizierte Opt-Out-Option für die Verarbeitung von User-Inhalten gerügt hatte. Statt den Prozess zu vereinfachen, droht Zuckerberg lieber passiv-aggressiv mit einer «zweitklassigen Erfahrung für Europa».

Wer zuerst blinzelt, verliert

Solche Aktionen sollen wohl bewirken, dass die EU-Kommission den Rückhalt in der Bevölkerung verliert und ihre Regeln weniger strikt umsetzt. Es ist ein Machtkampf zwischen Politik und Privatwirtschaft. Wer zuerst blinzelt, verliert.

Margrethe Vestager wird sich von den Trotzreaktionen kaum beeindrucken lassen. Es scheint eine Frage der Zeit, bis die EU die erste konkrete Busse aussprechen wird. Spätestens dann wird Big Tech realisieren, dass es die EU ernst meint. Den Gatekeeper-Firmen bleiben drei Optionen:

  1. Sie sträuben sich weiterhin gegen den DMA. Der Preis: potenziell hohe Geldstrafen im Falle einer Verurteilung.
  2. Sie ziehen Produkte oder gewisse Features aus der EU zurück. Der Preis: garantierter Umsatzverlust.
  3. Sie setzen den DMA so um, wie die EU es will. Der Preis: potenziell weniger Marktmacht und damit weniger Gewinn und mehr Konkurrenz.

Die Unternehmen sind in erster Linie ihren Aktionären verpflichtet. Sie wählen die Option, die am wenigsten kostet – das dürfte in den meisten Fällen die dritte sein. Die erste ist zu teuer. Die zweite wäre ebenfalls eine grosse Überraschung. Denn Europa ist mit seiner zahlungskräftigen Kundschaft ein lukrativer Markt.

Die EU darf es nicht übertreiben

Aus Konsumentensicht scheint diese Entwicklung erfreulich. Einerseits sorgt der DMA schon jetzt für mehr Datenschutz und zwingt Big Tech dazu, Ökosysteme zu öffnen. Das zeigen die aktuellen Fälle. Andererseits könnte er eine präventive Wirkung haben. Die regulatorische Drohkulisse wird zu einem Faktor beim Design zukünftiger Produkte und Features.

Der Grat zwischen Konsumentenschutz und politischem Theater ist schmal.

Nun darf es die Kommission nicht übertreiben. Ihre Rolle ist es, einen funktionierenden Markt zu schaffen. Gleichzeitig muss sie aufpassen, dass die Gesetze nicht zu schlechteren Produkten oder Sicherheitsrisiken führen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass die EU bloss ihre Staatskassen füllen will. Der Grat zwischen Konsumentenschutz und politischem Theater ist schmal.

Bisher beschreitet Margrethe Vestager den Weg mit sicheren Schritten. Sie argumentiert rational, unaufgeregt und aus Perspektive der Kundschaft. Sie scheut keine Konflikte, aber lässt den betroffenen Unternehmen Raum, sich zu verteidigen – und gewährt Gnadenfristen für das Beheben von Fehlern. Dieser faire Prozess ist wichtig für den Rückhalt in der Bevölkerung.

USB-C am iPhone ist ein Beispiel für die erfolgreiche Durchsetzung einer EU-Regel.
USB-C am iPhone ist ein Beispiel für die erfolgreiche Durchsetzung einer EU-Regel.
Quelle: Samuel Buchmann

Besonders Apple hat eine treue Gefolgschaft, die sich im geschlossenen Ökosystem wohlfühlt. Sie schätzt die enge Verzahnung von mehreren Produkten und Dienstleistungen. Diese sollte Vestager weiterhin erlauben. Die Lösung liegt in der Integration freiwilliger Optionen für andere Anbieter. Das ist möglich, auch wenn Apple gerne das Gegenteil behauptet.

Die nächsten Monate werden die Richtung zeigen, in die sich der Machtkampf entwickelt. Es kann sein, dass es das Silicon Valley vorerst auf Bussen ankommen lässt – und sich erst beugt, wenn diese real werden.

Titelbild: Shutterstock

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Als Kind verbrachte ich zu viel Zeit vor selbstgebauten PCs. Viele Jahre und ein Journalismus-Studium später bin ich wieder gleich weit. Ich schreibe über Apple, Fotografie, Monitore und Geschichten an der Schnittstelle zwischen Technik und Wirtschaft.


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