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Fotograf testet Kinderkamera: Was mit der Nikon W100 möglich ist
Mit einem gelben Plastikknubbel, der stilistisch und von der Kompetenz her zu den Minions passt, schiesst unser Fotograf möglichst anspruchsvolle Bilder. Ziel ist nichts weniger als eine Ausstellung in der Kunstgalerie. Obs geklappt hat und was wir sonst noch für Schnapsideen hatten, erfährst du hier.
Unser Fotograf Thomas Kunz hat dieses Jahr bereits mit einer grottenschlechten Spielzeugkamera – oder wie er es nennt, mit einem «Kindermultimedia-Dings» – Fotos gemacht. Erstaunlich gute Fotos.
Ein User hinterliess dazu folgenden Kommentar:
warum wurde nicht die Nikon Coolpix w100 getest? Die hätte gut Bilder gemacht und wäre das Wort Kamera wert.,
Liebes Reiserezept, das war doch gerade der Witz der Sache: Zu zeigen, dass auch mit einer schlechten Kamera gute Fotos möglich sind. Aber deine Idee hat was. Die Nikon W100 ist zwar auch schlecht, aber tatsächlich etwas weniger Spielzeug und etwas mehr Kamera. Zu einem fast so günstigen Preis. Geht damit noch mehr als mit der Kidizoom? Das will ich gemeinsam mit Tom herausfinden.
Mittlerweile ist die W100 durch das Nachfolgemodell W150 ersetzt worden. Wir testen hier aber natürlich die Kamera, die Reiserezept gefordert hat. Die Unterschiede scheinen nicht gross zu sein.
Tom ist Feuer und Flamme. Durch seinen Erfolg mit der Kidizoom hat er offensichtlich Blut geleckt. «Wir schiessen Fotos und machen davon Fine-Art-Prints. Die verkaufen wir dann teuer oder stellen sie in einer Kunstgalerie aus. Was hältst du davon?»
Find ich gut. Tom traue ich sogar zu, dass er das schafft. Und wenn nicht, ist er wenigstens grandios gescheitert.
Tom macht Street- und Landschaftsfotos
Tom schnappt sich den Knipser und geht auf Fototour.
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Naja. Es hat ein paar nette Bilder drunter, und mir gefallen die Farben. Besonders originell ist das aber nicht. Da haben mich die Fotos mit der Kidizoom-Kamera mehr beeindruckt. Geht da nicht noch mehr, Tom?
Der Schwarzweiss-Trick und ein bisschen Artsy-Fartsy
Doch, da geht noch mehr. Schwarzweiss ist ein guter Trick, um Kameraschwächen zu kaschieren, wie wir schon bei der Kidizoom gesehen haben. Tom versucht mit Tiefenschärfe zu arbeiten, was mit dieser Kamera erwartungsgemäss nur sehr eingeschränkt möglich ist. Zu kleiner Sensor, zu wenig Lichtstärke.
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Mutig: Eine Aufnahme direkt in die Sonne. Das Resultat ist gar nicht mal so schlecht.
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Mein persönlicher Favorit bislang ist dieses Schwarzweiss-Bild. Allerdings ist dies kein Bild, das ich mir als Ausdruck kaufen und im Wohnzimmer aufhängen würde.
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Da die Kamera wasserdicht ist, bieten sich nassforsche Experimente an.
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Die letzten beiden Bilder haben es Tom angetan. Sie gehören vielleicht nicht gerade in eine Kunstgalerie, haben aber eine besondere Wirkung. Auch weil sie relativ abstrakt sind. Tom fragt, ob ich nun zufrieden bin. Ehrlich gesagt: Mich haut auch das nicht gerade von den Socken. Denn ich bin verwöhnt von Toms früheren Beiträgen. Er hat zum Beispiel mit einem Honor 9 und einem selbstgebastelten Ministudio ein tolles Foto einer Glühlampe produziert.
Ich so: «Wenn du nur mit vorhandenem Licht fotografierst, unterscheiden sich deine Bilder zu wenig von irgendwelchen Touristenfotos. Mach etwas mit künstlicher Beleuchtung.»
Tom: «Gute Idee, ich habe mir eh überlegt, auch Porträts zu machen».
Tom macht Studio-Porträts
Tom geht ins Studio und macht Porträts mit dem senfgelben Plastikknubbel. Resultat:
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Das sieht jetzt definitiv nicht mehr aus wie irgendein Urlaubs- oder Party-Schnappschuss. Die Gesichter sind schön ausgeleuchtet und wirken professionell. Dennoch: Selbst mit dem Handy ist mehr möglich. Die Smartphone-Bilder, die Tom bei der gleichen Session gemacht hat, beeindrucken mich viel mehr. Die Bilder der Nikon W100 sind generell recht unscharf, vor allem am Rand. Das merkst du vor allem, wenn du sie in der Originalauflösung anschaust.
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
Warum wird das nicht besser?
Tom erklärt: «Beim Smartphone kann ich die Belichtung korrigieren. Das war hier entscheidend. Bei der Nikon-Kamera kann ich überhaupt nichts einstellen.»
Er ist nicht der Typ, der nach billigen Ausreden sucht. Jetzt muss ich die Kamera doch mal selbst in die Finger nehmen. Schnell merke ich: Diese Kamera kann tatsächlich fast nichts. Sie kann ein bisschen zoomen, den Blitz manuell zuschalten oder unterdrücken und ein paar mehr oder weniger sinnvolle Motivprogramme wie Makro, Nachtaufnahme oder Toy-Effekt. Das wars dann.
Die Bedienung ist ganz anders, als ich es von anderen Kameras gewohnt bin. So etwas habe ich noch nie gesehen. Es gibt links vier Tasten, deren Funktion von dem abhängt, was gerade auf dem Bildschirm angezeigt wird – ganz ähnlich wie bei einem Bankomaten.
Als ich bereits den Bericht am Schreiben bin, entdecke ich zufällig, dass die Kamera doch eine Belichtungskorrektur hat. Oder zumindest so etwas Ähnliches. Nur befindet sie sich an einem Ort, wo sie kein Mensch erwarten würde: Unter «Scene» im Unterpunkt «Farben ändern». Dort befindet sich ein Punkt «Heller/Dunkler». Da kann ich fünf Helligkeitsstufen wählen, und das scheint gleich zu funktionieren wie an einer gewöhnlichen Kamera die Belichtungskorrektur.
Die Kamera ist irgendwie für Kinder gemacht. Unter anderem. Aus der Produkt-Website wird nicht ganz klar, was Nikon mit der W100 eigentlich bezweckt. Die Kamera hat ein Menü für Kinder und eines für Erwachsene – der einzige für mich erkennbare Unterschied ist, dass die Kinderversion bunt ist.
Tom macht Fotos im Hallenbad
Jetzt wo mir klar ist, wie wenig diese Kamera kann, stufe ich Toms Leistung plötzlich viel höher ein. Dennoch: Wir sind noch nicht fertig. Tom hat nämlich den Auftrag, Fotos im Hallenbad zu schiessen: Profischwimmerin Svenja Stoffel testet einen Schwimmkopfhörer für uns.
Theoretisch wären so auch Unterwasser-Aufnahmen möglich. Praktisch aber ist die Kamera dafür einfach zu langsam. Svenja musste etwa zehn Mal vom Startblock springen, bis Tom sie überhaupt mal vollständig aufs Bild kriegte. Mit Feinheiten wie einer genug kurzen Belichtungszeit wollen wir gar nicht erst anfangen.
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Bilder mit wenig Bewegung kommen dagegen ganz ordentlich.
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Tom macht Kunst
Ich bin jetzt endlich zufrieden. Die Frage ist nur, was wir nun mit den Fotos machen. Die Porträts und die Fotos der Schwimmerin eignen sich nicht für eine Kunstausstellung, da sind Tom und ich uns einig.
«Jetzt gehen wir einfach in den Keller und machen mit der Taschenlampe ein abstraktes Foto für die Kunstausstellung», schlägt Tom vor. «Das schaffe ich in zehn Minuten.»
Das ist so verrückt, dass ich sofort einverstanden bin.
Die Kamera steht auf einem Stativ und wir schwenken mit der Taschenlampe vor dem Objektiv rum. Probieren dies und das. Es dauert dann doch 20 oder 30 Minuten, bis wir fertig sind. Die Kamera hat zwar einen Nachaufnahme-Modus, der ist aber unbrauchbar. Er nimmt unabhängig von der Lichtsituation genau 25 Sekunden auf, das Resultat ist in unserem Fall ein völlig weisses Bild. Da geht es mit der Vollautomatik noch besser.
Der Vorteil von Kunst ist, dass alles scheissegal ist du immer behaupten kannst, es sei so gewollt. Darum: Was Tom hier erschaffen hat, muss genau so sein und nicht anders.
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Weil das Bild perfekt ist, machen wir einen Fine-Art Print davon. Und weil das Kunst ein witziges Projekt ist, erklärte sich Gwerder Art bereit, das Bild einen Monat lang in der eigenen Galerie auszustellen. Du kannst es den ganzen Juli am Sihlquai 75 in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs besichtigen. Unglaublich: Tom hat es geschafft!
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Würdest du dieses Bild in dieser Form kaufen und bei dir zuhause aufhängen? Wenn ja, wieviel würdest du bezahlen? Der Print, aufgezogen auf Aluminium, 40 x 50 cm, kostete 174.50 Franken.
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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.