Games brauchen keine Gesundheitsbalken
Wie zeigt man in Games das Wohlergehen eines Charakters an? Die bekannteste Lösung ist unkreativ und durchbricht die Immersion. Trotzdem hält sich der Gesundheitsbalken hartnäckig.
Gemächlich bröckelt der rote Gesundheitsbalken des Alien-Monsters dahin, während ich Magazin um Magazin in seinen Körper ballere. Mit einem Auge schiele ich auf meinen eigenen roten Balken, der mit jeder gegnerischen Attacke schrumpft. Wird er zu schmal, pausiere ich zähneknirschend das Spiel, verspeise fünf Sandwiches und spüle sie mit zwei Heiltränken hinunter.
Mit aufgefüllter Lebensanzeige widme ich mich wieder dem Alien. Wobei, nicht direkt. Denn mein eigentlicher Gegner ist nicht der Ausserirdische, sondern der Balken über seinem Kopf. Alles, was zählt, ist, dass sein roter Balken vor meinem leer ist. Vom Kampfgeschehen bekomme ich deshalb nicht viel mit.
Unterschätzt nicht die Intuition
Die Erfahrung zeigt, dass diese Ablenkung vom eigentlichen Spielinhalt unnötig ist. Verzichtet ein Spiel auf den In-Your-Face-Gesundheitsbalken, finde ich eigene Mittel, um herauszufinden, wie gut oder schlecht es meinem Gegner geht.
So verzichtet zum Beispiel «Monster Hunter» auf einen Gesundheitsbalken. Ich hacke so lange auf ein Monster ein, bis es tot umfällt. Wie lange das noch dauern wird, weiss ich nicht. Doch mit der Zeit lerne ich den Zustand eines Monsters vage einzuschätzen. Was nicht möglich wäre, würde mir das Game immer seine Gesundheitspunkte anzeigen. Das nennt man Lernprozess: Hätten meine Eltern nicht irgendwann die Stützräder abmontiert, könnte ich noch heute nicht Velo fahren.
Hoch lebe die Verstümmelung
In «Monster Hunter» ist es ausserdem möglich, einem Monster den Schwanz abzuhacken. Das tötet es nicht sofort, lässt aber darauf schliessen, dass es ihm auch schon besser gegangen ist. Ich bin grosser Fan von Verstümmelungs-Mechaniken in Spielen: Ist mir ein Zombie zu schnell, schiesse ich ihm die Beine weg. Ziele ich einem Protektron in «Fallout 4» auf die Arme, hat er keine Knarre mehr und stürmt im Kamikaze-Modus auf mich zu. Nicht nur gibt mir dieses System ein Gefühl dafür, wie gefährlich ein Feind noch ist, es verleiht dem Kampf eine zusätzliche Facette.
Eine schön umgesetzte Verstümmelungsmechanik besitzt auch «Cyberpunk 2077», zu sehen im unten eingebetteten Video. Besonders cool ist die Stelle bei Sekunde 50: Der Arm des Gegners wird verletzt und unbrauchbar. Er lässt die Maschinenpistole fallen und zückt mit dem noch intakten Arm seine Handfeuerwaffe.
Manche Explosionen sind nur heisse Luft
Fahrzeuge eignen sich besonders für eine demonstrative Statusanzeige. Die Skala übersetzt sich klassischerweise wie folgt: Mit schlechter werdendem Zustand gehen zuerst die Scheiben eines Autos kaputt. Danach fliegt die Motorhaube ab, es steigt Rauch aus dem Motor, er fängt Feuer und explodiert schliesslich. Dieses intuitive System lässt mich jederzeit spüren, wie es um mein Fahrzeug steht.
Die gleiche Funktionsweise liesse sich auf Schiffe übersetzen. In einer Seeschlacht sollten meine Kanonenkugeln Löcher in den feindlichen Rumpf reissen, die Reling zersplittern, Segel durchlöchern, Masten umkippen und Ruder zerstören. Bricht auf dem Schiff ein Feuer aus, weiss ich: Der Untergang steht bevor. Perfekt veranschaulicht das «Sea of Thieves».
Dem gegenüber steht als jüngstes Beispiel «Skull and Bones»: Ein Treffer löst auf dem gegnerischen Schiff zwar eine Explosions-Animation aus. Doch es fährt unbekümmert weiter, bis sich der Gesundheitsbalken geleert hat. Visuell verändert sich das feindliche Schiff kaum.
Gäbe es keinen Gesundheitsbalken, müsste mir das Spiel auf andere Art und Weise signalisieren, in welchem Zustand der Gegner ist. Fallende Masten und durchlöcherte Segel zu animieren, ist aufwendiger. Doch sie würden meinen Fokus wieder aufs eigentliche Spielgeschehen lenken, statt auf ein HUD-Element. Schliesslich fördert ein intuitiv fühlbares Schadenssystem auch die Immersion. Denn auf diese Weise würde ich mich nicht mit einer Statusanzeige befassen, sondern mit einem Piratenschiff.
Es gibt wenige Situationen, in denen ich einen Gesundheitsbalken die beste Option finde. In manchem RPG, in dem die Bosse mehrere tausend Gesundheitspunkte haben, kann ich den Balken nachvollziehen. Andererseits zeigt «Monster Hunter», dass es auch ohne geht. Bei Fighting Games wie «Mortal Kombat» oder «Tekken» hingegen ist der Gesundheitsbalken zu wichtig, um darauf zu verzichten – gerade in kompetitiven Matches. Ich möchte dennoch dazu anregen, den Gesundheitsbalken zu hinterfragen: Braucht es ihn wirklich? Gibt es keine spannenderen Alternativen? Wie stark lenkt er vom Spielinhalt selber ab? Kannst du ihn als Spieler sogar selber ausblenden?
Wie auch bei der Minimap gilt: Manchmal ist weniger mehr. Wir Gamer müssen nicht ständig an der Hand gehalten werden. Wir finden einen Weg, Spiele zu meistern, selbst ohne Gesundheitsbalken.
Meine Rückzugsorte tragen Namen wie Mittelerde, Skyrim und Azeroth. Muss ich mich aufgrund von Reallife-Verpflichtungen von ihnen verabschieden, begleiten mich ihre epischen Soundtracks durch den Alltag, an die LAN-Party oder zur D&D-Session.