«Guardians of the Galaxy: Volume 3» ist der bislang düsterste MCU-Film
Kritik

«Guardians of the Galaxy: Volume 3» ist der bislang düsterste MCU-Film

Luca Fontana
28.4.2023

Wenn «Guardians of the Galaxy: Volume 3» etwas ist, dann ein gefühlvoller und hoch emotionaler Abschied von liebgewonnen Charakteren. Mal lustig, mal traurig – und oft überraschend düster. Ein würdiger Abschied. Danke, James Gunn!

Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Ich erinnere mich noch haargenau daran, wie’s war, den ersten «Guardians of the Galaxy»-Film im Kino zu sehen. Von den Charakteren hatte ich noch keine Ahnung. Irgendwas mit einem Fuchs und einem Baum im All. Oder so. Kein Wunder, hatte man bei Marvel anfangs Zweifel am Erfolg des Films. Damals, 2014, galt der Comic-Gigant keineswegs als scheinbar unbezwingbarer Produzent von Kassenschlagern. Nicht so wie heute – Probleme zum Trotz.

  • Meinung

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    von Luca Fontana

Dabei waren es die Guardians selbst, die dieses Bild massgeblich mitschufen. Erst, als wir Zuschauende uns vergnügt zu Redbones «Come and Get Your Love» wippend in Gunns irren Mix aus missratenen, aber im Kern doch liebenswerten Aussenseiterinnen und Aussenseitern verliebten, wurde Marvel klar, dass die Welt bereit war, in die Tiefen des Comic-Kaninchenbaus zu treten. Selbst dann, wenn es um sprechende Füchse, Pardon, Waschbären und Bäume im All geht.

Die «Guardians of the Galaxy» plagten sich schon immer durch irrste und absurdeste Welten.
Die «Guardians of the Galaxy» plagten sich schon immer durch irrste und absurdeste Welten.
Quelle: Disney / Marvel Studios

Fast neun Jahre später steuern wir auf das unweigerliche Ende der Geschichte zu, das von der damals charakterisierenden Leichtfüssigkeit überraschend weit weg ist. «Guardians 3» ist deutlich erwachsener.

Und düsterer.

Darum geht’s in «Guardians of the Galaxy: Volume 3»

Wenn es etwas gibt, das der High Evolutionary (Chukwudi Iwuji) hasst, dann Imperfektion. Darum will er die perfekte Gesellschaft erschaffen, bevölkert von den perfekten Wesen. Aber eigentlich – so Rocket (Bradley Cooper) im Trailer – ist die Wahrheit viel einfacher: Er hasst einfach die Dinge, wie sie sind.

Um sein Ziel zu verwirklichen, fehlt dem High Evolutionary noch ein Puzzlestück: Rocket. Sicher, der Waschbär ist zwar bloss das Produkt grauenvoll scherzhafter Experimente. Eine Aneinanderreihung kruder Fehler – ein Verbrechen an der Natur. Aber immer noch ein sehr erfolgreiches Verbrechen, wenn man so will, das zudem über aussergewöhnliche Intelligenz verfügt. In ihm sieht der High Evolutionary darum den Schlüssel, um seine eigenen Experimente auf die nächste, endlich zufriedenstellende Evolutionsstufe zu bringen.

So kommt es, dass der Bösewicht seine bislang tödlichste Kreation – Adam Warlock (Will Poulter) – auf Rocket hetzt. Aber der High Evolutionary hat seine Rechnung ohne die restlichen Guardians of the Galaxy gemacht.

James Gunn: Heilsbringer, Messias – und Geächteter

Schon verrückt. Als Drehbuchautor und Regisseur James Gunn im Sommer 2018 von Disney gefeuert wurde, sah’s düster aus um «Guardians of the Galaxy: Volume 3». Wir erinnern uns: Gunn lieferte mit den beiden bisherigen «Guardians of the Galaxy»-Filmen nicht nur zwei seiner grössten Kinoerfolge, sondern zwei der populärsten Marvel-Filme überhaupt. Nicht zuletzt deswegen hatte Marvel-Studios-Boss Kevin Feige grosse Pläne für Gunn gehabt.

Bis 2018, als sich das Internet erinnerte.

Es war jener Sommer, in dem alte, geschmacklose, aber längst gelöschte Tweets von Gunn erneut zutage gefördert wurden. Bald schon mutierten die anfänglich surreal wirkenden Meldungen zum medialen Shitstorm. Marvel-Mutter Disney sah keinen anderen Weg, als Gunn aus dem Spiel zu nehmen. Ein Schock. Damit einverstanden waren längst nicht alle. Besonders jene nicht, die Gunn nahestanden und bereit waren, ihm seine nach Aufmerksamkeit lechzenden Provokationen zu verzeihen, die er in seinem jugendlichen Leichtsinn ins Internet posaunt und später wieder gelöscht hatte. Denn niemand bei Marvel wollte den dritten «Guardians of the Galaxy»-Film ohne Gunn machen. Nicht mal die Schauspielerinnen und Schauspieler selbst. Das Projekt drohte zu kippen.

Die Wogen glätteten sich. Ein Jahr später – im Mai 2019 – wurde Gunn wieder eingestellt. In der Zwischenzeit bandelte er aber mit DC Comics an und bescherte 2021 ausgerechnet Marvels Nemesis den ersten Kritiker- und Publikumserfolg seit langem: «The Suicide Squad». Mittlerweile ist er dank seinen Erfolgen gar zu DCs neuem Studio-Chef aufgestiegen. Genau deswegen bekommt «Guardians of the Galaxy: Volume 3» eine für Marvel selten dagewesene Gravitas: Der Film ist nicht nur der letzte Auftritt der Guardians in ihrer Originalbesetzung. Er ist auch Gunns letzter Marvel-Film. Sein tränenreicher Abschied.

Das Ende einer Ära.

Es wird emotional – richtig emotional

Tatsächlich fällt es mir schwer, von diesem Chaos-Trupp Abschied zu nehmen. Nicht, dass du das jetzt als Spoiler verstehst: Dass einige Akteure dem Marvel Cinematic Universe (MCU) den Rücken kehren werden, ist kein Geheimnis. Auch nicht, dass Gunn stets eine «Guardians of the Galaxy»-Trilogie vorschwebte, die er nicht fortzusetzen gedenkt. Das bedeutet natürlich nicht, dass Marvel nie mehr auf seine «Guardians» zurückgreifen wird. Nicht in einem Universum, in dem selbst Tote wieder zurückkehren können, wie Chris Pratt im Interview sagte.

Aber Gunn arbeitet in «seiner» Geschichte auf ein Ende zu, das diese Beschreibung auch verdient. Nicht nur, weil danach für ihn und für grosse Teile der Originalbesetzung Schluss sein wird. Sondern, weil die Geschichte der Guardians schlichtweg fertig erzählt wird – mit all ihren Konsequenzen. Ja, klingt kryptisch. Aber mehr will ich aus Spoilergründen nicht verraten.

Gunn jedenfalls nutzt diese ungewohnten Freiheiten geschickt. Er braucht ja nicht mehr auf die nächsten Phasen des niemals enden wollenden MCUs hinzuarbeiten. Stattdessen hat der Regisseur, der auch das Drehbuch zu all seinen Filmen selbst schreibt, allen Figuren ein letztes Mal genau jene Geschichte auf den Leib geschrieben, die sie sich nach all dieser Zeit verdient haben. Niemand bleibt auf der Strecke. Keine Charakterentwicklung kommt zu kurz. Und alle kriegen ihre letzten grossen und bedeutsamen Momente.

Allen voran Rocket.

Richtig emotional wird es immer dann, wenn Rockets Geschichte im Mittelpunkt steht.
Richtig emotional wird es immer dann, wenn Rockets Geschichte im Mittelpunkt steht.
Quelle: Disney / Marvel Studios

Leute, ich warne euch vor: Nehmt ein Taschentuch mit ins Kino. Denn «Guardians 3» nimmt sich viel Zeit, Rockets zu Herzen gehende Vorgeschichte zu erzählen. Nicht so plump wie etwa Boba Fetts Vorgeschichte in «The Book of Boba Fett». Dafür ist Gunns Drehbuch zu gut. Anders als in der «Star Wars»-Serie verwebt Gunn die Rückblenden immer wieder gekonnt mit dem aktuellen Geschehen. Stellt Verbindungen und Parallelen her. So wirken besagte Rückblenden nie als Plot-Bremse, sondern als emotionale Story-Elemente, die genau dann erzählt werden, wenn es sie braucht. Mehr noch: Sie verleihen «Guardians of the Galaxy» einen düsteren Einschlag, wie ich es in noch keinem Marvel-Film zuvor gesehen habe. Und diese Düsternis wird erstaunlich konsequent durchgezogen.

Bei Marvel ist das in 99 Prozent der Fälle nämlich so: Wenn’s traurig wird, wird der Moment mit denkbar unpassenden Humor kaputt gemacht. Ein regelrechtes Unding. Als ob die Marvel-Bosse dem jüngeren Publikum keine Gefühle zutrauen würden. Wer will schon Tiefgang, um Gottes Willen!?

Bei Marvel scheint es oft so, dass tiefschürfende Gefühle explizit unerwünscht sind. Nicht hier.
Bei Marvel scheint es oft so, dass tiefschürfende Gefühle explizit unerwünscht sind. Nicht hier.
Quelle: Disney / Marvel Studios

«Guardians 3» ist meilenweit davon entfernt. Nicht, dass der Film nicht auch von Gunns bekanntem schrägen und oftmals schwarzen Humor leben würde. Aber er gibt nicht mehr den Ton an. Zu viel steht auf dem Spiel. Auch das Leben der Guardians selbst. Das spüren wir Zuschauende in jeder Filmsekunde. Besonders im letzten Drittel traut sich Marvel eine Szene zu, die so heftig ist, dass ich mich im falschen Film wähnte: Zuerst wird mir das Herz in tausend Stücke gesprengt, dann folgt ein Akt derart unheimlicher Brutalität, dass mir noch jetzt, beim Schreiben dieser Zeilen, der Schock über das Gesehene tief in den Knochen sitzt. Von wegen «billiger Humor, über den nur Kinder am Samstagmorgen beim Schauen von Disney Channel lachen», wie ich in einem meiner Artikel kürzlich schrieb. «Guardians 3» ist verblüffend starker Tobak.

Selbst für mich.

Ein mieser Hund, dieser Bösewicht

Dazu trägt auch der neue Bösewicht bei – der High Evolutionary. Zugegeben: Seine Motive sind reichlich flach und bleiben gänzlich ungeklärt. Er will Perfektion, weil… weil darum. Da hat Marvel mit Killmonger aus «Black Panther» oder «Avengers»-Bösewicht Thanos schon Besseres geboten. Nur: Dem Film tut das keinen Abbruch. Denn wo der High Evolutionary charakterlich kaum Tiefe bietet, setzt er in seinen unfassbar verabscheuungswürdigen Taten eine neue Messlatte, die so schnell niemand mehr im MCU übertreffen wird.

Der High Evolutionary hat nicht viel Tiefgang – und trotzdem könnte er einer der besten Bösewichte Marvels sein.
Der High Evolutionary hat nicht viel Tiefgang – und trotzdem könnte er einer der besten Bösewichte Marvels sein.
Quelle: Disney / Marvel Studios

Was genau er tut, verrate ich natürlich nicht. Nur soviel: Es ist grässlich. Geht unter die Haut. Keinen einzigen Moment lang fiel es mir schwer, den von Chukwudi Iwuji gespielten High Evolutionary abgrundtief zu hassen – eine Leistung, die keinem Marvel-Film zuvor gelungen ist. Das geht sogar so weit, dass ich mich frage, ob Iwuji die Rolle zugesetzt haben könnte. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich eine Schauspielerin oder ein Schauspieler von ihrer oder seiner Rolle so abgestossen fühlt, dass sie oder er am Ende eines Drehtages kaum noch in den Spiegel zu schauen wagt.

Irgendwas muss Gunns Drehbuch – oder Iwujis Schauspiel – also richtig gemacht haben, wenn ein Marvel-Bösewicht trotz fehlender Motive so starke Gefühle auslöst. Auch wenn oft gesagt wird, dass die besten Bösewichte jene seien, deren Motive wir nachvollziehen können. Aber letzten Endes ist das «Warum» wohl doch nicht so wichtig wie das «Wie». Meinen Abscheu jedenfalls hat sich der High Evolutionary reichlich verdient.

Fazit: Kein Familienspass, sondern Dramatik mit echten Gefühlen

Ich bin begeistert. Nicht auf die «Geilster Film des Jahres, werde ich mir gleich fünfmal im Kino anschauen gehen»-Art. Viel mehr, weil mich «Guardians of the Galaxy: Volume 3» tief berührt und bewegt hat. Vielleicht, weil ich auf meine «alten» Tage hin weich werde; selten fiel es mir so schwer wie heute, inmitten anderer Medien-Vertreterinnen und -Vertretern die Contenance zu wahren und nicht lauthals in Tränen auszubrechen. Oder aber, weil Gunn nicht nur einen würdigen, aber emotionalen Abschluss seiner «Guardians»-Trilogie abgeliefert hat, sondern weil Marvel überhaupt endlich mal wieder ein Film gelungen ist, bei dem es nicht die Szene nach dem Abspann ist, die das Aufregendste am Ganzen war – zur Abwechslung.

Gunn bleibt seinem Stil dabei meistens treu: Noch immer zeigt er sein meisterhaftes Geschick, mit seinen Filmen eine einzigartige Mischung aus Action, Humor und Tiefgang zu schaffen, bei der er aus einer bunten Ansammlung verkorkster Charaktere eine ungewöhnliche, aber umso liebenswertere Heldentruppe formt. Überhaupt: Da gibt's gegen Ende eine Action-Szene – ich nenn' sie mal einfach «Hallway Scene» – die in Punkto Inszenierung zum Besten gehört, was das MCU je geboten hat. Was diesmal aber noch dazukommt, ist der verdammt düstere Einschlag, der erfrischend konsequent durchgezogen wird. Und was 2014 als Feel-Good-Weltraum-Abenteuer mit ganz viel 1980er-Rockmusik anfing, ist heuer der vielleicht erwachsenste und berührendste Film aus dem Hause Marvel geworden.

Gut gemacht, James Gunn.


«Guardians of the Galaxy: Volume 3» läuft ab dem 3. Mai 2023 im Kino. Laufzeit: 150 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.

Titelfoto: Disney / Marvel Studios

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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