Krafttraining: Wieso es uns alle betrifft
Hintergrund

Krafttraining: Wieso es uns alle betrifft

Der Alterungsprozess hat gravierende Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Die Muskulatur spielt dabei eine zentrale Rolle, die uns alle betrifft.

Wir werden immer älter. Die WHO schätzt, dass zwischen 2015 und 2050 der Anteil der Weltbevölkerung, der über 60 Jahre alt ist, von 12 % auf 22 % steigt. Bereits 2020 hat die Zahl der Personen über 60 Jahre die Zahl der Kinder unter fünf Jahren überstiegen. Was aber hat es mit dem älter werden auf sich?
Der Alterungsprozess ist ein verbreitetes Phänomen in der Welt der Lebewesen [1,2]. Noch immer ist dieses biologische Problem ungelöst und es stellt auch unsere Gesellschaft vor immense Herausforderungen.

Die Auswirkungen des Alterungsprozesses auf unsere Muskulatur und die gesundheitlichen Folgen

Das Altern des Menschen ist mit einer verminderten Fähigkeit zur Krafterzeugung verbunden. Das ist auf zahlreiche Veränderungen zurückzuführen, wie zum Beispiel den Verlust von Muskelmasse [3-7], die Verschiebung von Fasertypen [8-10], die Muskelarchitektur und -ultrastruktur [11-13] und die neuronale Ansteuerung der Muskeln [14,15], was sich erheblich auf die Gesundheit älterer Menschen auswirkt [16-21].

Die Skelettmuskulatur kann sich dem Alterungsprozess nicht entziehen und verschlechtert sich daher im Laufe der Zeit [3]. Nach der Pubertät und im Erwachsenenalter bleibt die Muskelmasse und -kraft bei gesunden Menschen stabil. Etwa ab dem 4. und 5. Lebensjahrzehnt werden degenerative Prozesse begünstigt, die zu einer Abnahme der Muskelmasse und -kraft führen [4]. In einer kürzlich durchgeführten quantitativen Studie wurde der Median des Verlusts an Muskelmasse pro Jahrzehnt bei Männern mit 4,7 % und bei Frauen mit 3,7 % berechnet [5]. Bis zum Alter von 80 Jahren gehen altersbedingt rund 30 % der maximalen Muskelmasse einer Person verloren [6,7].

Der Verlust an Muskelmasse ist jedoch nicht gleichmässig über den ganzen Körper verteilt, wie in einer Magnetresonanztomographie-Studie an 200 Frauen und 268 Männern festgestellt wurde. Die Rate des Verlusts an Muskelmasse in den Muskeln der unteren Gliedmassen war mehr als doppelt so hoch wie in den Muskeln der oberen Gliedmassen [22]. Obwohl Männer mehr Muskelmasse besitzen als Frauen, ist der Muskelmassenverlust zwischen den Geschlechtern ähnlich, wenn der Verlust als Anteil der maximalen Muskelmasse betrachtet wird [22].

Der Muskelquerschnitt nimmt ab

Die Alterungsprozesse gehen mit einer Verringerung der Querschnittsfläche vor allem der Typ-II-Fasern einher [8]. Der Anteil und das Volumen der Fasern vom Typ I nehmen dementsprechend zu [8-10]. Zwischen dem 22. und 74. Lebensjahr wurde für den M. vastus lateralis bei Männern eine Abnahme der Querschnittsfläche vom Typ II von 58 % auf 52 % beobachtet [8]. In Anbetracht der Tatsache, dass die spezifische Spannung der Typ-II-Fasern 1,4-mal höher ist als die spezifische Spannung der Typ-I-Fasern [23,24], könnte dies bestenfalls einen Kraftrückgang von 2 % und nicht von 45 % erklären, der zwischen diesen Altersgruppen festgestellt wurde [25]. Es ist auch bemerkenswert, dass es Studien gibt, in denen keine Spannungsunterschiede zwischen den Fasertypen beobachtet wurden [26-28]. Daher kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass eine Verschiebung des Fasertyps nur in geringem Masse zu der altersbedingten Reduktion der Kraft beiträgt, die während des Alterns beobachtet wird.

Die Alterungsprozesse werden mit ultrastrukturellen Veränderungen wie einer Zunahme des Bindegewebes und einer Fettinfiltration in Verbindung gebracht (Bild) [29-31]. Die nicht kontraktionsfähige Fläche war beim Vergleich zwischen jungen und alten Männern doppelt so gross und könnte daher den beobachteten Kraftverlust besser erklären als die Verringerung der Typ-II-Querschnittsfläche [31].

Symbolbild
Symbolbild
Magnetresonanzbilder durch die Oberschenkelmitte eines 25-jährigen gesunden Erwachsenen (links) und eines 75-jährigen gesunden Erwachsenen (rechts), die eine Sarkopenie zeigt. Man beachte die geringere Muskelmasse (hellgrau), das grössere subkutane Fett (dunkelgrau) und das erhöhte intramuskuläre Fett (dunkelgraue Linien) im Bein des älteren Teilnehmers. Adaptiert von [32].
Magnetresonanzbilder durch die Oberschenkelmitte eines 25-jährigen gesunden Erwachsenen (links) und eines 75-jährigen gesunden Erwachsenen (rechts), die eine Sarkopenie zeigt. Man beachte die geringere Muskelmasse (hellgrau), das grössere subkutane Fett (dunkelgrau) und das erhöhte intramuskuläre Fett (dunkelgraue Linien) im Bein des älteren Teilnehmers. Adaptiert von [32].

Die Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem

Die Verringerung der Kraft bei älteren Menschen kann auch darauf zurückgeführt werden, dass die Fähigkeit, den Muskel zu rekrutieren, nicht mehr vollständig vorhanden ist [14]. Bei Rattenmuskeln erklärte die Denervierung von Muskelfasern 11 % der Kraftreduktion [15]. In Anbetracht der Tatsache, dass die Skelettmuskelmasse bis zu 40 % der Gesamtkörpermasse eines Menschen ausmacht [33], hat der Verlust von Muskelmasse und -kraft grundlegende Auswirkungen auf die Gesundheit der älteren Bevölkerung, da er mit dem Risiko negativer Folgen wie körperlicher Behinderung, schlechter Lebensqualität und Tod verbunden ist [16-18].

Darüber hinaus führt die enge Verbindung zwischen Skelettmuskelmasse und Knochendichte zu einem Knochenverlust, wenn die Skelettmuskelmasse abnimmt. Osteopenie, der Verlust von Knochenmasse [19], stellt zusammen mit Sarkopenie ein grosses klinisches Problem dar. Die Beeinträchtigung des Bewegungsapparats führt zu Gleichgewichtsstörungen und erhöht das Risiko von Stürzen, die osteoporotische Frakturen begünstigen [20]. Daher ist eine geringe Skelettmuskelmasse und Kraft ein Treiber der öffentlichen Gesundheitskosten, da Krankenhausaufenthalte in dieser Kohorte eine hohe Prävalenz aufweisen [21]. Allein in den Vereinigten Staaten wurden die Gesamtkosten für Krankenhausaufenthalte von Personen mit Sarkopenie im Jahr 2014 auf 40,4 Milliarden US-Dollar geschätzt [34]. In der Schweiz war im Jahr 2016 ein Viertel der Hochbetagten von Sarkopenie betroffen [35].

Im nächsten Beitrag zeigen wir, wie wir die Lebensqualität im Alter erhöhen und dem Muskelschwund und Kraftverlust entgegenwirken können: Ich lasse mich nicht vom Alter verändern. Ich werde die Art und Weise ändern, wie ich altere.

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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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