Made in Italy: Wie Spaghetti Carbonara einen Perlenvorhang inspiriert hat
Nino glaubt an die Kraft des langsameren Lebens. Sie ist Mitgründerin des experimentellen Kunstateliers «Studio Terre» und entwirft Objekte, die einen Moment einfangen.
Eva Noemi (Nino), Francesca Guarnone (Jufà) und Riccardo Brunetti von Studio Terre sehen Schönheit in alltäglichen Dingen. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ihnen beim Kochen die Idee für ein neues Designstück kommt – und wenig später ein Vorhang aus 4000 handgefertigten Muranoglas-Perlen entsteht. Denn das Trio mit Sitz in Trivolzio, einer Stadt in der italienischen Provinz Pavia, will Objekte mit einer Geschichte entwerfen, die gestern und morgen verbindet. Nachdem ich die Designerin auf der Mailänder Möbelmesse kennengelernt hatte, habe ich in einem Video-Interview mit Nino darüber gesprochen, was das bedeutet.
Ihr habt mit dem Raumteiler «Lola» ein fast vergessenes Objekt aus den 60ern zurückgebracht – warum?
Nino: Wir sehen Perlenvorhänge oft im Süden Italiens in Haus- oder Ladeneingängen und mögen sie sehr. Nur sind sie oft aus billigem Plastik. Das wollten wir ändern und den Perlenvorhang aus einem wertvolleren Material neu erschaffen.
Woraus besteht euer Redesign jetzt?
Die Perlen bestehen aus mundgeblasenen Muranoglas-Perlen und Terrakotta-Puder. Die gesamte Hängekonstruktion ist aus Kupfer. Wir haben sie in Zusammenarbeit mit dem Eisenschmied Daniele Mingardo von der Firma Mingardo in Padua angefertigt.
Es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass ihr euch für diese Materialien entschieden habt?
Nein, wir waren von einem Abend inspiriert, an dem wir Spaghetti Carbonara gekocht haben. Genauer gesagt, von dem Moment, in dem das aufgeschlagene Ei im Glas mit Pfeffer gemischt wurde. Dieses Bild wollten wir festhalten und haben nach dem besten Glas dafür gesucht. Weil wir nur lokal produzieren, fiel unsere Wahl auf Muranoglas aus Norditalien. Das Terrakottapulver stammt aus Apulien.
Wie lange habt ihr an «Lola» gearbeitet?
Inklusive Entwurf und Umsetzung hat der Prozess acht Monate gedauert, von Oktober 2021 bis Juni 2022.
Haben du oder die anderen in dieser Zeit einmal die Geduld verloren?
Manchmal ja, aber wir haben trotzdem weitergemacht, weil wir das Endergebnis im Kopf hatten.
Welche Herausforderungen gab es neben dem Geduldsspiel während des Prozesses?
Es war zu Beginn schwer, die richtigen Hersteller für die Einzelteile zu finden. Aber auch das Design des Vorhangs war nicht ohne. Die Anordnung der Perlen ist nicht beliebig, sondern folgt einer bestimmten Reihenfolge.
Das Ergebnis habt ihr zusammen mit zwei weiteren Designstücken während der Mailänder Möbelmesse in Alcova ausgestellt. Worum ging es in der Installation?
Wir wollten die Gelegenheit nutzen, die Sinne der Besuchenden zu aktivieren. Mit der Bonboniere «Caramellaio» wollten wir den Geschmackssinn ansprechen und mit den Wandobjekten «Rocco» den Sehsinn. «Lola» spielt mit Licht, Ton und Schatten. Der Raumteiler wird bei einer leichten Brise lebendig, erzählt den Besuchenden mit seinem entspannenden Klirren etwas und gibt ihnen vielleicht ein gutes Gefühl.
Quelle: Giulio Ghirardi und Eleonora Grigoletto.
Jetzt, wo die Installation wieder abgebaut ist – siehst du den Perlenvorhang in einem Zuhause oder in einer Kunstgalerie?
In beidem! Aktuell hängt er in der Pariser Galerie Scène Ouverte, aber er kann auch beliebig angepasst werden und in Privaträumen hängen.
Alle ausgestellten Stücke waren aus demselben Material. Welche Eigenschaften verbindet eure Designs ausserdem miteinander?
Sie sind lustig, aber auch anspruchsvoll – eine Kombination aus Formen, Licht und Farbe, die wir am besten finden. Und wir haben sie nach den Prinzipien des Slow Designs gestaltet.
Welche sind das?
Wir wollen Objekte machen, die ehrlich und nachhaltig sind. Solche, die Zeit und Aufwand benötigen, um geschaffen zu werden. Sie sollen uns bereits beim Machen an die Bedeutung des Zusammenseins, Teilens und Sammeln von Geschichten erinnern. Wie ein Tagebuch.
Quelle: Pia Seidel
Quelle: Pia Seidel
Hast du schon immer nach diesen Kriterien gestaltet?
Nein, das ist erst seit der Gründung von Studio Terre so. Wir wollten alle drei weg von der Hektik, die wir in vorherigen Jobs sowie in Mailand erlebten. Davor war ich dort Schuh-Designerin bei Prada und Riccardo Koch in einem Restaurant. Jufà war und bleibt Bühnenbildnerin, aber mit einem kleineren Arbeitspensum.
Nimmst du dennoch etwas aus dieser Zeit bei Prada mit?
Auf jeden Fall. Dort habe ich das Auge fürs Detail bekommen. Heute geniesse ich es aber, nicht mehr so strengen Vorgaben folgen zu müssen und einen Schritt zurück zu machen, wenn mir etwas nicht gefällt. So entstehen oft viel bessere Lösungen.
Quelle: Pia Seidel
Quelle: Pia Seidel
Was unterscheidet euch neben dem Slow-Design-Ansatz von anderen Designstudios?
Studio Terre ist ein experimentelles Kunstatelier, wo Kunst aus dem Akt des Lebens entsteht. Wir wollen lieber persönliche Einzelstücke schaffen, statt ein Massenprodukt zu verkaufen. Dabei besinnen wir uns auch auf traditionelle Methoden vergangener Zeiten zurück und kombinieren diese mit modernem Handwerk.
Wenn ihr keine kommerziellen Produkte herstellt, wie wollt ihr dann als junges Label wachsen?
Wir wollen wie Kunstschaffende wachsen – sprich: individuelle Auftragsarbeiten für Privatpersonen, Galerien oder Architekturbüros realisieren. Dabei glauben wir daran, dass es wichtig ist, unseren Wurzeln treu zu bleiben, auf altes Handwerk und bewährte Materialien zurückzugreifen. Die Vergangenheit ist wichtig für die Zukunft.
Quelle: Pia Seidel
Was sind das für Menschen, die ständig auf der Suche nach besseren Designlösungen sind? Die einen neuen Stuhl oder Tisch entwerfen, obwohl es diese Dinge schon zig tausendfach gibt? In dieser Serie stelle ich dir solche Menschen und ihre Leitmotive vor. Folge mir, um den nächsten Beitrag auf dem Schirm zu haben.
Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit.