Oculus Quest: I have a Stream...
Ich hab mir die kabellose Oculus Quest zugelegt. Mit dem Ziel, sie vorwiegend mit dem PC zu verwenden. In diesem Beitrag erkläre ich dir, ob sich das lohnt und wie es gemacht wird. Es ist zwar nicht sonderlich kompliziert, auf dem Weg lauern aber einige Stolperfallen.
Oculus hat kürzlich die neue Generation VR-Brillen lanciert. Kollege Philipp Rüegg hat die Rift S und die Oculus Quest ausprobiert. Phils Fazit: Es gibt einen Sieger – und zwar die Oculus Quest. Grund: Die Standalone-Brille ist komplett drahtlos und die Auflösung ist mit 1440×1600 (pro Auge) erstaunlicherweise noch ein bisschen besser als die der neuen, kabelgebundenen Rift S. Auch punktet die Quest mit AMOLED-Displays, während Oculus bei der Rift S auf LCD setzt.
Mit ihren Android-Apps kann die Quest der Rift S und dem PC zwar nicht das Wasser reichen. Laut Phil halten sich die graphischen Unterschiede bei Games, die auf beiden Plattformen erhältlich sind, in Grenzen. Obendrein schrieb Phil, dass man die Oculus Quest mit einem Trick zur Zusammenarbeit mit dem PC bewegen könne. Das wollte ich unbedingt ausprobieren.
Lohnt sich das? Ja! Subnautica nicht am Pult, sondern mitten im Raum zu zocken, ist eine neue Erfahrung. Mich auf dem drehbaren Bürostuhl um die eigene Achse zu drehen, um mir rasch einen Überblick zu verschaffen – das ist der blanke Wahnsinn. Eine völlig neue VR-Erfahrung.
Subnautica war schon ohne VR mein liebstes Spiel im Jahr 2018. Mit VR ist es nochmals eine ganz neue Erfahrung. Unten in der pechschwarzen Tiefe überkommt einen die Gänsehaut. Die allgegenwärtigen Atemnot-Situationen sind noch viel beklemmender. Dafür macht es noch viel mehr Spass, sich ein lauschiges Unterwasser-Häuschen zwischen den phosphoreszierenden Anemonen zu bauen.
Aber der Reihe nach.
Das Prinzip – und eine Warnung
Die Oculus Quest ist eine Standalone-VR-Brille. Sie ist mit einem Snapdragon 835 ausgestattet, auf dem eine proprietäre Android-Version läuft.
Im Oculus-Store sind für die Quest um die 50 Apps verfügbar. Im Gegensatz zu den bisherigen Windows-Apps handelt es sich dabei um neu entwickelte Android-Versionen. Die Knaller wie Beat Saber, Vader Immortal, Superhot VR sind mit dabei.
Fast alle Apps, die du vielleicht schon für eine andere Oculus-Variante gekauft hast, musst du für die Quest nochmals kaufen. Apps kosten meist zwischen 10 bis 30 Franken. Die Publisher argumentieren mit dem Entwicklungsaufwand für die nativen Android-Apps. Das ist irgendwie verständlich, bleibt aber ärgerlich.
Die Quest hat WLAN und kann auch streamen. Auf dem noch jungen YouTube VR gibt es schon unzählige atemberaubende 360°-Produktionen. Wenn die Quest Videos streamen kann, dann sicher auch Inhalte vom PC, oder? Da liegt es nahe, dass ich meine VR-Spiele von Steam VR auf dem potenten Gamer-PC berechnen lasse und auf die Quest beame.
Die Quest ist sehr leistungsfähig und bietet in ihrem Ökosystem viel Spielspass. Dass sie als dummes Wiedergabegerät verwendet wird, ist so nicht gedacht. Im Gegenteil: Das ist wegen des separaten App-Stores nicht im Interesse von Oculus. Die Firma zeigt bereits ein gewisses Interesse, die Welten zu trennen. Die App Virtual Desktop im offiziellen Store, die das Streamen vom PC ermöglichte, wurde auf Druck von Oculus hin vom Entwickler kastriert, damit sie Steam VR nicht mehr unterstützt. (Das meint übrigens die Oculus-Community dazu.)
Weil es offiziell nicht mehr geht, musst du Programme, die vom PC auf die Quest streamen, auf inoffiziellem Weg besorgen. Es gibt mehrere Apps, die den Job erledigen. Allen gemein ist, dass du sie Sideloaden musst. Heisst, du lädst dir Pakete nicht vom Oculus-Store, sondern aus anderen Quellen herunter. Das ist nicht illegal, aber eben nicht der von Oculus vorgesehene Weg. Damit das geht, musst du bei Oculus beantragen, deine Quest in den Developer Mode versetzen zu dürfen.
Developer-Mode aktivieren
Zunächst musst du in der Companion-App für die Quest auf deinem Android- oder iOS-Gerät den Developer-Mode aktivieren. Dazu musst du bei Oculus eine Entwickler-Firma registrieren. Oculus winkt derzeit Anträge einfach durch. Heisst, es ist wirklich so einfach: Nach dem Basis-Setup – das sowieso zwingend eine Registration bei der Facebook-Tochter Oculus voraussetzt – gehst du einfach auf developer.oculus.com/organizations/create und legst dir eine Firma zu. XY Solutions, Fantasy Inc., Megabug Softwarez – wird alles klaglos akzeptiert. Sobald du den Developer-Mode beantragst, hast du ihn auch schon. Das dauert keine fünf Minuten.
Danach geht's ans Sideloaden. Es gibt zwei gängige Programme, um Steam VR auf drahtlose Brillen wie die Quest zu streamen: ALVR (kostenlos) und VRidge von Riftcat (15 US-Dollar). Bei der Performance (Latenz) wird berichtet, dass ALVR die Nase vorn habe. Bei der Wahl des richtigen Codecs (HEVC) schenken sich die beiden meiner Meinung nach nicht viel. VRidge ist bedienungsfreundlicher, bietet mehr Optionen und wird aktiv weiterentwickelt.
Die einmalige Installation in Kürze:
- Quest mit USB-Kabel an den PC anschliessen
- Quest aufsetzen und USB-Debuggen erlauben (ein Klick bestätigen mit dem Controller)
- Windows Powershell öffnen und Installationsanweisungen von ALVR bzw. bzw. Script von VRidge ausführen
Ausführliche Anleitungen findest du hier (VRidge) und hier (ALVR).
Zum Spielen sind jeweils zwei Schritte notwendig:
- Auf dem PC das Programm von ALVR bzw. VRidge ausführen
- Quest aufsetzen und unter «Unbekannte Quellen» ALVR bzw. VRidge starten
Sowohl ALVR als auch VRidge starten auf dem PC selbständig SteamVR. Auf der Quest siehst du dann das Interface von Steam VR, mit dessen Hilfe du das gewünschte Spiel startest.
WLAN und Bitrate
Wenn du vom PC an die Quest streamen willst, musst du dein WLAN im Griff haben. Der Router muss korrekt positioniert sein und du solltest möglichst keine Konkurrenz auf dem gewählten Channel haben. Streaming bei hohen Auflösungen benötigt einiges an Bandbreite. VRidge empfiehlt 20 – 25 MBit pro Sekunde. Mehr bringt qualitativ nichts und erhöht die Latenz.
In der Theorie packt das selbst ein 2.4 GHz WiFi mit 54 MBit/s Übertragungsrate. In der Praxis empfehle ich dir, einen 5 GHz-Kanal zu nutzen. Der Access Point muss im selben Raum wie Brille und PC stehen. Im selben Raum wie der Access Point läuft der Stream bei mir einwandfrei. Ich habe den Test gemacht und PC und Quest um zwei Ecken positioniert. Das Resultat waren Bildartefakte und heftige Hänger. Bei VR nicht empfehlenswert: Sensible Naturen finden das wortwörtlich zum Kotzen.
Idealerweise ist der PC kabelgebunden an den Router angeschlossen. WiFi ist – im Gegensatz zu kabelgebundenem Ethernet – ein Half-Duplex-Medium. WiFi kann entweder senden oder empfangen, nicht beides gleichzeitig. Funkt der PC nicht, halbiert sich nicht nur der Funkverkehr, der Access Point kann sich aufs Senden zur Quest konzentrieren.
Framerate
Um die Framerate wurde in der Vergangenheit ein grosses Tamtam gemacht. 120 Hz müssten das Ziel sein, hiess es. Unter 90 Hz käme es zu Unwohlsein. Ich stimme prinzipiell zu: mehr ist besser. Auf der anderen Seite scheint das Problem nicht gar so schlimm zu sein. Immerhin hat Oculus selbst die Framerate sukzessive verringert:
- Rift, HTC Vive: 90 Hz
- Rift S: 80 Hz
- Quest, Go: 72 Hz
Ich finde auch die 72 Hz der Quest durchaus akzeptabel. Bei längeren Sessions – ich freu mich schon auf eine Session Space Truckers Elite Dangerous – wird sich zeigen, ob die Quest ein Fehlgriff war. Bisher sehe ich keine Probleme.
Als suboptimal empfand ich das sehr beliebte 360°-Video der Angel Falls. Es ist zwar in Auflösungen bis 8K verfügbar – aber mit viel zu wenig FPS. Es ruckelt, und das ist auf jeder VR-Brille so, weil die Produktionsfirma Mist gebaut hat.
So muss das aussehen, dann gibt’s auch keine Probleme:
Die Sache mit der Latenz
Ebenfalls sehr wichtig ist bei VR-Brillen die Latenz, also die Zeitverzögerung zwischen dem Bewegen des Kopf und der Darstellung auf der Quest. Für Hardcore-Gamer ist Latenz sowieso schon ein Reizwort. Im Fall von VR kommt hinzu, dass Latenz den Übelkeits-Faktor massgeblich beeinflusst. Je höher die Latenz, desto verwirrter das äusserst sensible Gleichgewichtsorgan. Millisekunden entscheiden über «gut» oder «geht gar nicht».
Die Aufgabe beim Streamen ist nicht ganz einfach. und fordert viel Rechenkraft, vor allem von der Grafikkarte. Schon bei der Wiedergabe auf einer kabelgebundenen VR-Brille ist die Aufgabe kompliziert: Statt einem einzigen Bild müssen zwei für jedes Auge berechnet werden. Die Übertragung folgt über HDMI-Kabel und spricht direkt zwei Displays an.
Im Fall vom Streaming
- muss die Grafikkarte zusätzlich zum Spiel auch noch das Signal komprimieren. Das dauert einige Millisekunden.
- der Router verpackt und verschickt die Daten. Das dauert einige Millisekunden.
- die Brille empfängt und entpackt die Daten. Das dauert einige Millisekunden.
Heisst: Spiele, die Grafikkarte oder CPU stark beanspruchen, eignen sich nicht. Auch Spiele, bei denen es auf Geschwindigkeit ankommt, würde ich nicht empfehlen.
Mit ALVR und VRidge gelingt das Kunststück in etwa 65 Millisekunden. Das ist in der VR-Welt viel. Empfindlichen Naturen wird es schon bei geringeren Latenzen übel. Ich scheine dagegen eher unempfindlich zu sein. Wer auf Latenz sensibel reagiert, sollte besser zu einem kabelgebundenen Headset greifen.
Fazit
Nach den ersten Spielstunden ist für mich klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Mit der Oculus Quest habe ich eine VR-Brille gekauft, die mir soliden Standalone-Spielspass bietet. Technisch ist sie der Rift S mit der höheren Auflösung und vor allem den AMOLED-Displays leicht überlegen. Mit dem Streaming-Trick kann ich mir zusätzlich die PC-Gamingwelt erschliessen.
Es bleibt ein Restrisiko. Wenn Oculus will, kann die Vergabe von Developer-Accounts von heute auf morgen deutlich erschwert werden. Nicht nur das, wie bei allen Always-Connected-Geräten kann die Erlaubnis auch rückwirkend entzogen werden. So wie Elon Musk mit einem Software-Update sämtliche Teslas stehenbleiben lassen kann, kann Oculus mir den PC-Betrieb nachträglich verbieten.
Es bleibt abzuwarten, wie Oculus reagiert, wenn sich plötzlich sehr viele Quest-Käufer ausserhalb der Gefilde des Stores tummeln. Fakt ist, dass es Stand jetzt geht und dass die drahtlose VR-Erfahrung sehr viel immersiver ist. Räumliche Freiheit kombiniert mit der Power deines Gaming-Rigs, das ist ein Quantensprung. Zumindest wenn du wie ich mit der höheren Latenz und der geringeren Bildwiederholrate klarkommst.
Uneingeschränkt empfehlen will ich meinen Lösungsweg nicht. Allerdings ist es für mich die mit sehr weitem Abstand eleganteste VR-Lösung mit akzeptablen Kompromissen Das würde ich wieder so machen und stülpe mir gleich wieder die Quest über den Kopf. Nur noch schnell ein einziges 360°-Video gucken. Schwör!
Bei Interesse melde ich mich gerne mit einem Langzeittest nochmals wieder.
Ich bändige das Editorial Team. Hauptberuflicher Schreiberling, nebenberuflicher Papa. Mich interessieren Technik, Computer und HiFi. Ich fahre bei jedem Wetter Velo und bin meistens gut gelaunt.