
Hintergrund
Was ist eigentlich 8-Bit-Sound?
von David Lee
Bei der Qualität von MP3 kommt es vor allem auf die Bitrate an – aber nicht nur. Auch die verwendete Software spielt eine Rolle. Und diese wurde im Laufe der Zeit besser. Ich habe Encoder aus dem letzten Jahrtausend ausprobiert und mit der heutigen Qualität verglichen.
Viele Menschen bilden sich zu einem Thema einmal eine Meinung und ändern sie dann nie mehr. Eine solche Meinung ist zum Beispiel: Wenn du MP3 nicht von unkomprimierter Musik unterscheiden kannst, hast du einen Gehörschaden.
So pauschal ausgedrückt, ist das sicher falsch. MP3 ist nicht gleich MP3. In erster Linie kommt es auf die verwendete Bitrate an. In der höchsten Qualitätsstufe von 320 Kilobit pro Sekunde (kBit/s) gilt MP3 als transparent. Das heisst, es ist kein Unterschied zum unkomprimierten Original hörbar. Das weiss man durch Blindstudien seit vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten. Lustigerweise ist es sogar umgekehrt: Nur Leute mit Gehörschaden können einen Unterschied in der höchsten MP3-Qualität hören.
Woher kommt denn die Meinung, dass MP3 generell Ohrenkrebs verursacht? Ich vermute, noch aus dem letzten Jahrtausend. Ich erinnere mich, dass meine ersten Erfahrungen mit MP3 negativ waren. Das lag wohl vor allem an den niedrigen Bitraten, die damals üblich waren. 128 kBit/s waren das höchste der Gefühle, und das liegt bereits im kritischen Bereich. Alles darunter klingt deutlich hörbar anders als unkomprimierte Musik.
Das Interessante dabei: Es gab auch MP3 mit 128 kBit/s, die richtig schlecht klangen. Dies könnte daran gelegen haben, dass die MP3-Encoder früher schlechter waren. Und damit den miesen Ruf von MP3 ein für alle Mal besiegelten.
Um herauszufinden, ob meine Vermutung stimmt, will ich das gleiche MP3 mit einem alten und einem neuen Encoder erstellen und dann vergleichen. Als neuen Encoder nehme ich eine aktuelle Version von LAME – der ist seit langem der Standard und gilt als hochwertig.
Bei den alten Encodern muss ich schauen, was ich überhaupt zum Laufen bringe. Ich habe einen Mac, und Apple hält nicht viel von Rückwärtskompatibilität. Nach einigen gescheiterten Software-Installationen hole ich mein antikes Powerbook von 2002 aus dem Keller und erstelle darauf MP3-Dateien mit iTunes. Das dauert, wie alles auf diesem Gerät, eine gefühlte Ewigkeit.
Bei den von iTunes erstellten Dateien ertönt zu Beginn jedes Stücks eine Frauenstimme, die sagt: «Encoded by N2MP3.» Das ist offenbar der Encoder, den mein antikes iTunes verwendet.
Aber 2002 ist offenbar bereits zu modern – ich höre jedenfalls keinen eindeutigen Qualitätsunterschied zum aktuellen Encoder. Dies bei 128 kBit/s. Eine schlechtere Qualität kann ich nicht auswählen.
Nun schaue ich mich bei Windows-Software um – schliesslich läuft auch Windows auf meinem M1-Mac. Schnell entdecke ich einen interessanten Kandidaten für mein Experiment: AudioCatalyst 2.1. Dieser CD-Ripper stammt von 1999, funktioniert aber unter Windows 11 immer noch. Er nutzt den MP3-Encoder Xing, und der ist für mein Vorhaben perfekt. Denn Xing gilt als sehr schnell, aber auch qualitativ unbefriedigend.
Ob und wie gut Unterschiede zu hören sind, kommt auch auf das Musikstück an. Qualitätseinbussen höre ich am besten in den hohen Frequenzen von Schlagzeug oder Perkussion. Oder bei grossen Lautstärkeunterschieden innerhalb des Stücks. Für diesen Test verwende ich fünf Stücke, welche die Stilrichtungen Pop, Rock, Funk, Jazz und Klassik abdecken.
Zu meiner Überraschung generiert Xing mit 128 kBit/s ganz brauchbare MP3-Dateien. Ich kann sie nicht zuverlässig von den Dateien unterscheiden, die LAME produziert. Beim Rock- und beim Funkstück tippe ich im Blindtest richtig, beim Klassik-Stück falsch und bei Jazz höre ich schlicht keinen Unterschied.
Daher verringere ich die Qualität auf 64 kBit/s. MP3s in dieser Qualität will zwar niemand hören, egal mit welcher Software sie produziert wurden. Aber wenigstens sollte ich so in der Lage sein, Unterschiede zwischen den Encodern zu hören. Tatsächlich kann ich die Unterschiede klar benennen: Die Files des Xing-Encoders klingen durchgängig dumpf – Xing schneidet bei 64 kBit/s die hohen Frequenzen einfach raus, um Daten zu sparen. Der aktuelle Encoder hat auch hohe Frequenzen drin. Das klingt aber nicht in jedem Fall besser. Denn er muss die Daten anderswo sparen, um auf die extrem tiefe Bitrate zu kommen. Als Folge davon sind die typischen MP3-Artefakte besser hörbar.
Die Unterschiede sind so deutlich, dass ich sie dir sogar in einem Youtube-Video demonstrieren kann – obwohl Youtube den Sound auch nochmals komprimiert. Besonders krass fallen die Artefakte in einem MP3 auf, das ich mit dem Export aus der Software GarageBand erstellt habe.
Ich kann also festhalten: Selbst mit gleicher Bitrate und gleicher Originaldatei klingen nicht alle MP3s gleich. Es kommt auf den Encoder an. Wirklich gut hörbar wird das aber erst bei sehr tiefen Bitraten.
Damit ist aber die ursprüngliche Frage nicht beantwortet: Warum klangen alte MP3s so schlecht? Ich habe hier ein paar alte Stücke der Band U2 aus «nicht offiziellen Vertriebskanälen», die mit 128 kBit/s kodiert sind. Aus urheberrechtlichen Gründen kann ich sie dir nicht vorzeigen, aber ich schwöre bei meiner Hörschnecke: Die klingen so richtig scheisse. Mit welchem Encoder wurden die wohl erstellt?
Das Kommandozeilentool mp3guessenc analysiert MP3-Dateien, um das herauszufinden. Wie zuverlässig das ist – keine Ahnung. Aber ich probiere es aus.
Bei den fraglichen U2-Stücken gibt mp3guessenc als Encoder «Xing (old)» an. Bei den Dateien, ich mit AudioCatlyst 2.1 erstellt habe, spuckt mp3guessenc dagegen «Xing (new)» aus.
1999 ist für Xing tatsächlich bereits neu. Die Software wurde ab 1995 entwickelt und 1999 an RealNetworks verkauft. Da gibt’s nur eines: Ich brauche für meine Nachforschungen einen noch älteren Encoder.
Also lade ich mir den Xing-Encoder 3.0 von 1997 herunter. Das ist ein 83 KB kleines Kommandozeilentool für Windows. Und da sind nun tatsächlich klare Unterschiede hörbar. Am deutlichsten im Pop-Stück «Look at This». Das Schlagzeug klingt übers ganze Stück hinweg dumpfer als im MP3 mit modernem Encoder. Zudem fehlt es an Dynamik, und – ganz übel – es treten gelegentlich sogar kleine Aussetzer auf.
Ein MP3 mit gleicher Bitrate klingt anders, je nachdem, mit welchem Encoder es erstellt wurde. Bei der Bitrate von 128 kBit/s muss ich allerdings bis ins Jahr 1997 zurückgehen, um einen Encoder zu finden, dessen Files eindeutig schlechter klingen. Bei den getesteten Encodern aus den Jahren 1999 und 2002 sind die Unterschiede bereits so minim, dass ich sie in einem Blindtest nicht eindeutig zuordnen kann. Allgemein gut zu hören sind die Unterschiede bei 64 kBit/s – aber das spielt in der Praxis keine Rolle, da niemand in solch mieser Qualität hört.
Die Wahl des Encoders dürfte ganz zu Beginn der MP3-Ära eine Rolle gespielt haben. Für die teilweise unterirdische Qualität von MP3s aus Tauschbörsen gibt es aber eine Reihe von anderen möglichen Erklärungen. Die Bitraten waren generell tiefer als heute. MP3s wurden auch nicht immer aus Original-CDs erstellt. Ich selbst habe CDs aus MP3-Dateien gebrannt. Wenn aus einer solchen CD wieder MP3s gerippt werden, wird eine bereits komprimierte Datei nochmal komprimiert. Dasselbe gilt für Musik, die aus Internet-Radiostationen aufgenommen wurde.
Ich bin auch nach diesem Test davon überzeugt, dass MP3 seinen schlechten Ruf aus der Anfangszeit hat. Aber die Encoder dürften dabei ein eher untergeordnetes Problem gewesen sein.
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.