Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 2): Wie Schadstoffe sicher entsorgt werden
Hintergrund

Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 2): Wie Schadstoffe sicher entsorgt werden

Martina Huber
25.11.2020

Quecksilber in Leuchtstoffröhren, PCB in Kondensatoren, Flammschutzmittel im Kunststoff: Zahlreiche schadstoffhaltige Bauteile in alten Elektro- und Elektronikgeräten werden in Zerlegebetrieben in aufwändiger Handarbeit entfernt, bevor die Reste der Geräte im Schredder landen.

Elektrische Zahnbürsten, Stabmixer, Computer und Flachbildschirme, alte Röhrenfernseher und CD-Player, Kaffeemaschinen, Akkubohrer, Lampen und Geräte, von denen mir nicht ganz klar ist, was einmal ihre Funktion war: In der grossen Halle des Zerlegebetriebs Dock St. Gallen stehen Holzpaletten voller Geräte, die kaputt sind oder die niemand mehr haben wollte. Im Eingangsbereich sind die Palette so hoch gestapelt, dass man ihren Inhalt gar nicht erkennen kann.

Alles, was wertvoll oder Schadstoff ist, wird entfernt

Etwa 165 Tonnen Elektro- und Elektronikgeräte werden hier jeden Monat mit Lastwagen angeliefert, damit die Mitarbeitenden im Auftrag der Solenthaler Recycling AG (Sorec) die sogenannte Schadstoffentfrachtung durchführen, wie das im Fachvokabular heisst. Dabei entfernen sie soweit möglich alle Komponenten aus den Altgeräten, die Wert- oder Schadstoffe enthalten, und zwar in Handarbeit.

Dieser Akku ist gequollen. Das Gerät wird nur noch in Plastik gepackt und sicher im Stahlfass verstaut. Erst später wird der Akku auf einer Sicherheitswerkbank entfernt.
Dieser Akku ist gequollen. Das Gerät wird nur noch in Plastik gepackt und sicher im Stahlfass verstaut. Erst später wird der Akku auf einer Sicherheitswerkbank entfernt.

«Was hier reinkommt, wird erst einmal gewogen und sortiert», erklärt Markus Stengele, Umwelttechniker und Leiter Qualität und Umwelt der Sorec, der mir den Zerlegebetrieb zeigt. Das Dock St.Gallen gehört zur Dock-Gruppe und ist wie viele der gut 80 Zerlegebetriebe der Schweiz ein Sozialbetrieb des zweiten Arbeitsmarkts. Was hier nicht zerlegt werden kann, wird aussortiert. Etwa Geräte, die Öl enthalten können, wie Rasenmäher, Kettensägen oder Beistellöfen – sie werden auf ein separates Palett gepackt und bei Sorec von den Flüssigkeiten befreit, bevor sie in der Mühle zerkleinert werden. Ebenfalls aussortiert werden Klima- und Kühlgeräte, denn sie können klimaschädliche Kühlmittel enthalten. «Das muss auf einer speziellen Anlage abgesaugt werden, daher geben wir sie an einen Kühlgeräterecycler weiter», erklärt Stengele.

Alles, was man mit vernünftigem Aufwand herausnehmen kann, wird rausgenommen.
Hein Böni, Empa

An den Tischen im Innern der Halle findet dann die eigentliche Arbeit statt: Die Mitarbeitenden nehmen die Geräte aus den Paletten, entfernen Batterien und Akkus, wo dies gefahrlos möglich ist, schneiden Kabel und Stecker ab, öffnen Gehäuse, entnehmen Wertstoffe wie Leiterplatten oder hochwertige Kunststoffe – und Komponenten, von denen man weiss, dass sie Schadstoffe enthalten.
«Alles, was man mit vernünftigem Aufwand herausnehmen kann, wird rausgenommen», sagt Heinz Böni, der bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa die Forschungsgruppe Kritische Materialien und Ressourceneffizienz leitet und sich bereits seit rund 20 Jahren mit Fragen rund um den Umgang mit Elektro- und Elektronikaltgeräten beschäftigt.

In alten Radios und Kondensatoren steckt noch giftiges PCB

Zu den wichtigsten Schadstoffen, die in diesen Geräten stecken können, gehört laut Böni nach wie vor PCB, kurz für Polychloriertes Biphenyl – ein Substanzgemisch, das früher zur Isolation in Kondensatoren und Transformatoren verwendet wurde. Da es schädlich ist für Mensch und Umwelt, sich sehr schlecht abbaut und sich daher in der Nahrungskette anreichern kann, ist es seit 1986 in der Schweiz verboten. In neuen Geräten ist PCB laut Böni kaum noch ein Problem, und auch in den Altgeräten haben PCB-haltige Kondensatoren inzwischen deutlich abgenommen. Man finde sie aber noch immer vereinzelt, vor allem in alten Radios, teilweise in Mikrowellengeräten oder in den Fassungen von Leuchtstoffröhren. «PCB ist nach wie vor ein Sorgenkind, und auch viele der Stoffe, die es inzwischen ersetzt haben, sind problematisch», sagt Böni. Daher entnehme man weiterhin alle Kondensatoren, die in einer Dimension 25 Millimeter erreichen, damit sie in der Hochtemperatur-Verbrennung vernichtet werden können. Und dennoch: Untersuche man das fein geschredderte Material, das bei Recyclingbetrieben rausgehe, finde man darin weiterhin auch Spuren von PCB. Woher genau dieses komme, wisse man nicht immer.

Schweizer Quecksilber wird in Deutschland deponiert

Ein weiterer gefährlicher Stoff, der in unseren Altgeräten stecken kann, ist Quecksilber. Es findet sich etwa in den kleinen Leuchtstoffröhren, die Flachbildschirme der 1. und 2. Generation beleuchten, oder in Kontaktschaltern mancher Haushaltsgeräte, beispielsweise in alten Waschmaschinen. «Quecksilber ist hochgiftig, und anders als PCB kann man es nicht vernichten», sagt Böni. Die Batrec Industrie AG in Wimmis gewinne es aus gewissen Abfällen zurück, aber meist werde der Stoff heute in Sicherheitsdeponien unter Tag deponiert, mit Quecksilber belastetes Material aus der Schweiz lande so beispielsweise in der Untertagedeponie im deutschen Heilbronn.

Eine kleine Leuchtstoffröhre, die von Hand aus einem Bildschirm entnommen wurde.
Eine kleine Leuchtstoffröhre, die von Hand aus einem Bildschirm entnommen wurde.

Relevante Schadstoffe sind auch die Flammschutzmittel im Plastik zahlreicher Geräte, die sich erwärmen, wenn sie in Betrieb sind. Etwa im Gehäuse von Computer, Laptop, Drucker, Föhn oder Staubsauger. «Kunststoffe mit Flammschutzmitteln muss man ausscheiden und verbrennen», sagt Böni. Kunststoff aus Schweizer Altgeräten gehen laut Böni zum grossen Teil an die Firma MGG Polymers in Österreich: «Die Firma ist in der Lage, das alles sauber zu trennen.»

Etwa 30 bis 40 Prozent des Kunststoffs sei nicht oder nur so wenig mit Schadstoffen belastet, dass daraus wieder neuer Kunststoff gemacht werden könne. Da die EU die Grenzwerte für verschiedene Schadstoffe zunehmend verschärfe, könne man aber immer weniger Kunststoffe wiederverwenden. Eingesetzt werde der Recyclingkunststoff meist wieder in IT- oder Haushaltsgeräten. Laut Böni gibt es verschiedene grosse Elektronikhersteller, die ihn einsetzen. «Sie kommunizieren das aber oftmals nicht. Denn einige haben festgestellt, dass Kunden manchmal Geräte nicht kaufen, wenn sie wissen, dass Recyclingkunststoff verwendet wurde. Die Kundschaft würde Einbussen bei der Qualität befürchten. Selbst wenn es sich nur um das Gehäuse eines Gerätes handelt.»

Es gibt strenge Audits für Zerlegebetriebe

Fürs Klima relevant ist die sichere Entfernung und Vernichtung von Kälte- und Treibmitteln, die beispielsweise in Kühlgeräten und Klimaanlagen zum Einsatz kommen. «Viele davon sind starke Treibhausgase, mehr als 1000 Mal stärker als CO2», sagt Flora Conte, Umweltnaturwissenschaftlerin und Projektleiterin im Bereich Umweltberatung bei der Carbotech AG, die im Auftrag der Rücknahmesysteme SENS und Swico regelmässig Audits von Zerlegebetrieben und Recyclern durchführt. Als Auditorin kontrolliert sie vor Ort, ob die Vorschriften zur sicheren Lagerung eingehalten werden, ob richtig sortiert wird, ob keine Wertstoffe verloren gehen, und ob alle Schadstoffe entfernt werden, die im spezifischen Zerlegebetrieb entnommen werden müssten. Sie prüft auch die Stoffflüsse – also wie viel Material in welcher Form rein- und wieder rausgeht, und wo die einzelnen Stofffraktionen hingehen.

Mitarbeitende benötigen viel technisches Wissen

«Sie machen ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen», sagt Conte. «Aber alles richtig zu erkennen und zu sortieren ist schwierig.» Geräte und Technologie entwickeln sich ständig weiter, gleichzeitig müssen sich die Mitarbeitenden von Zerlegebetrieben auch mit Geräten auskennen, die vor 30 oder 40 Jahren hergestellt worden sind. Etwa bei Leuchtmitteln aus Leuchten, Bildschirmen oder Druckern: Wo steckt Quecksilber drin? Wo wird bereits LED verwendet? Oder ist es noch eine alte Glühbirne? «Um das alles korrekt zu erkennen und richtig zu sortieren, ist sehr viel Knowhow nötig», sagt Conte. Sie sehe ab und zu, dass eine neue Information nicht vom Recycler bis zum entsprechenden Zerlegebetrieb gelangt sei: «Da merke ich dann beispielsweise: Oh, hier sind sie noch nicht informiert worden, dass es in Wäschetrocknern auch Wärmepumpen geben kann.» Manchmal entdecke sie auch kleine Fehler beim Sortieren. Etwa bei Waschmaschinen gebe es unterschiedliche Kondensatoren, manchmal würden gewisse übersehen.

Recyclingbetriebe erhalten einen Teil der vorgezogenen Recyclinggebühr (vRG)

Sehr oft sei auch die richtige Lagerung von Lithium-Batterien ein Thema. «Lithium-Akkus, besonders defekte, können einen Brand verursachen. Falls die übersehen werden oder im falschen Behälter landen, kann es schnell gefährlich werden.» Im Vergleich zu früher seien Elektro- und Elektronikgeräte heute weniger toxisch, dafür würden sie kleiner, verschweisster, kompakter, und damit auch schwieriger zu recyclen. Und sie enthalten immer häufiger Batterien oder Akkus, manchmal auch versteckt. Wegen der aufwändigen Schadstoffentfernung sei fachgerechtes Recycling sehr aufwändig und nicht kostendeckend, betont Conte. Daher erhalten Recyclingbetriebe von den Rücknahmesystemen der Stiftung SENS und des Hersteller-Verbands Swico Geld aus der vorgezogenen Recyclinggebühr. «Am freien Markt wäre das nicht machbar. Kupfer und Leiterplatten würden die Recyclingunternehmen sicher rausholen, denn das gibt Geld. Aber vielleicht würden sie die Waschmaschine direkt schreddern, um das Metall zu gewinnen. Denn die Recycler verdienen nicht direkt etwas daran, dass kein PCB in die Umwelt gelangt. Für die Umwelt ist aber jedes Kilo PCB, das man aus Altgeräten rausholt, von grossem Nutzen.»

Akkus und Batterien werden in spezielle Stahlfässer abgefüllt. Darin landen auch Geräte, bei denen der Akku nicht gefahrlos entnommen werden kann.
Akkus und Batterien werden in spezielle Stahlfässer abgefüllt. Darin landen auch Geräte, bei denen der Akku nicht gefahrlos entnommen werden kann.

Was passiert mit den Batterien der blinkenden Gummistiefel?

«Leiterplatten werden nie auf einer Deponie landen, denn damit kann man Geld verdienen», sagt auch Markus Stengele von der Sorec. «Aber wenn ich die nach Indien oder Pakistan schicken würde, würden sie da vielleicht mit Benzin oder Altöl übergossen und unter freiem Himmel angezündet, damit der Kunststoff verbrennt. Das will man natürlich verhindern, darum werden wir regelmässig kontrolliert, und die Aufsichtsbehörden wollen ganz genau wissen, wohin das alles geht.» Zum Transport der Leiterplatten aus Laptops, Computer und Mobiltelefonen zum Schmelzwerk in Belgien brauche man daher eine Spezialbewilligung, die alle paar Jahre erneuert werden müsse. Als ich mit Stengele durch die Halle des Dock St. Gallen gehe, vorbei an Paletten voller abgeschnittener Kabel, aussortierter Energiesparlampen und LED-Lampen, Tonerkartuschen, Leiterplatten, Kunststoffplatten aus Bildschirmen und weiterer aussortierter Geräteteile, vorbei an zwei Stahlfässern für Akkus und Batterien, die allen möglichen Geräten entnommen wurden, muss ich an die pinken Gummistiefel meiner fünfjährigen Tochter denken, die bei jedem Schritt leuchten. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, als ich sie gekauft habe, meine Tochter wollte die anderen Modelle nicht einmal anprobieren. Ich werde die Stiefel wohl nicht einfach im Hausmüll entsorgen dürfen, wenn sie einmal kaputt sind, denn irgendwo versteckt in den Sohlen, so gut verschweisst, dass sie auch bei Sprüngen in tiefe Pfützen nicht nass werden, müssen kleine Batterien drinstecken. Aber wenn ich mir versuche vorzustellen, wie genau jemand diese Batterien wieder rausholen soll, frage ich mich schon, ob es schlau war, genau diese Gummistiefel zu kaufen. Müssen sie wirklich leuchten?

Recycling funktioniert, das Problem ist zu viel Konsum

Und ich muss an das denken, was Flora Conte auch noch gesagt hat in unserem Telefongespräch. «Das Recycling wird in der Schweiz sehr gut gemacht. Unser Hauptproblem ist nicht die Technologie, sondern unser hoher Konsum. Die vielen Geräte, die wir verbrauchen, die ganzen Rohstoffe, die dafür abgebaut werden müssen. Hier liegt die hohe Umweltbelastung – selbst wenn wir das Recycling vorbildlich machen.» Sie habe sich daran gewöhnen müssen, wie häufig sie im Rahmen ihrer Arbeit Geräte sehe, die noch sehr neu aussehen, die man bestimmt noch länger hätte brauchen können. Von diesen Aspekten soll in den nächsten drei Teilen der Serie die Rede sein – vom Umgang mit Altgeräten in anderen Teilen der Welt, vom problematischen Abbau der Rohstoffe und seltenen Erden, die darin stecken und davon, weshalb wir unsere Geräte möglichst lange benutzen sollten, bevor wir sie fachgerecht entsorgen.

Hier findest du die weiteren Teile der Serie:

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 1): Wie Wertstoffe gerettet werden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 3): Von Europa auf die Mülldeponien Westafrikas

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 4): Das Problem der Rohstoffe und Seltenen Erden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 5): Warum alte Geräte ein längeres Leben verdient haben

    von Martina Huber

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Ich schreibe als freie Wissenschaftsjournalistin am liebsten vertiefte Geschichten rund um Gesundheit, Umwelt und Wissenschaft.


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