Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 4): Das Problem der Rohstoffe und Seltenen Erden
Hintergrund

Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 4): Das Problem der Rohstoffe und Seltenen Erden

Martina Huber
9.12.2020

Seltene Erden wie Neodym stecken in jedem Smartphone. Bisher wurden sie kaum rezykliert – weil es sich nicht rechnet. Dabei ist die Umweltbelastung durch den Abbau des Rohstoffs sehr hoch. Swico, der Verband der Digitalisierer, teilt das Anliegen, dass Seltene Erden und andere kritische Metalle langfristig zurückgewonnen werden sollten.

Im Schein seiner Stirnlampe sucht der Kobaltschürfer die Felswand ab nach einer geeigneten Stelle, an der er den angespitzten Metallstab ansetzt, dann schlägt er mit dem Hammer aufs obere Ende, immer und immer wieder, bis sich ein paar Gesteinsbrocken lösen. «Das Weisse hier ist Abraum. Dieser kleine schwarze Fleck ist das eigentliche Kobalt. Und der Rest ist Müll, Müll, Müll!» Er prüft die Gesteinsbrocken, manche zerkleinert er nochmals mit dem Hammer, bevor er sie in einem grossen Sack verstaut. Die Szene aus dem Dokumentarfilm «Chinafrika.mobile» des deutschen Filmemachers Daniel Kötter gibt Einblick in eine Kobaltmine in Kolwezi in der Demokratischen Republik Kongo. Die Kamera begleitet den Schürfer auch dabei, wie er auf allen vieren durch den engen Stollen kriecht, zeigt ihn, wie er barfuss den steilen Schacht hinauf zurück ans Tageslicht klettert und sich den Staub aus der Kleidung klopft, während er aus dem Off von den Risiken seiner Arbeit erzählt: «Zuallererst der Tod. Und dann Knochenbrüche. Beim Abstieg in die Erdlöcher kann man leicht abrutschen. Entweder bricht man sich was oder verliert gleich das Leben. Oder ein Erdrutsch begräbt dich während der Arbeit.»

Bei Smartphones entsteht der grösste Teil des Abfalls nicht nach, sondern bereits vor der Verwendung des Geräts.
Flavia Caviezel, Forscherin und Dozentin

Was weit weg scheint von unserem Alltag, geht uns alle an, die wir Mobiltelefone, Tablets, Laptops oder weitere Geräte nutzen, die leistungsstarke Akkus enthalten, denn Kobalt ist ein wichtiger Bestandteil davon. Und mit zunehmender Elektromobilität wird die Bedeutung von Kobalt in Zukunft wohl noch zunehmen. «Die Rohstoffthematik hat eine grosse Dringlichkeit», sagt Flavia Caviezel, Forscherin und Dozentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst der Fachhochschule Nordwestschweiz. Sie leitete das Forschungs- und Ausstellungsprojekt «Times of Waste», das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wurde, und hat gemeinsam mit einem interdisziplinären Team eine sogenannte Objektbiographie eines Smartphones erstellt: Auf einer umfangreichen Website erhalten Besucherinnen und Besucher Einblicke in den gesamten Lebenszyklus eines Smartphones, vom Abbau ausgewählter Rohstoffe über die Produktion bis hin zum Recycling und der Deponie der Schlacke, die in der Kehrichtverbrennungsanlage übrig bleibt. Auch mehrere Ausschnitte des Dokumentarfilms von Daniel Kötter sind auf der Seite aufgeschaltet. «Die Ursprungsidee war, dass wir uns die Recyclingbewegungen anschauen», erinnert sich Caviezel. «Aber wir merkten sehr schnell, dass der ganze Weg vom Rohstoffabbau an wichtig ist, denn bei Smartphones entsteht der grösste Teil des Abfalls nicht nach, sondern bereits vor der Verwendung des Geräts. Und dass es immer Überreste gibt, selbst wenn das Recycling vorbildlich gemacht wird. Es ist eine gegenläufige Bewegung, wie wir mit Ressourcen und entstehenden Abfällen umgehen: Wir entnehmen Rohstoffe aus der Erde, nutzen sie eine Weile lang, und am Ende lagern wir in Deponien ab, was übrig bleibt, und hinterlassen diese neuen Schichten den nächsten Generationen.»

Gift aus dem Abbau von Neodym landet auch im Grundwasser

In einem einzigen Smartphone stecken etwa 50 unterschiedliche Elemente, neben dem Kobalt im Akku auch mehrere sogenannte Seltene Erden, oder Seltene Erdmetalle. Eines davon ist Neodym, aus dem sich leistungsstarke Magnete herstellen lassen. Etwa 0,4 Gramm davon sind in Lautsprecher, Mikrophon und Vibrator eines Smartphones verbaut. Abgebaut wird Neodym vor allem in China. «Es herrschen prekäre Arbeitsbedingungen, und auch ökologisch gesehen ist der Abbau sehr problematisch», sagt Caviezel. Denn bei der Gewinnung kommen starke Säuren zum Einsatz, und es entstehen auch radioaktive Elemente wie Thorium. In der inneren Mongolei, einem der wichtigsten Abbaugebiete, werden die giftigen Rückstände in sogenannte Tailing-Seen gepumpt, von denen manche mehr als zehn Kilometer lang sind. Giftstoffe gelangen auch in Flüsse und Grundwasser und vergiften die lokale Bevölkerung, die Sterblichkeitsrate an Krebs ist deutlich erhöht.

So sieht silbrig-weiss glänzendes Neodym aus.
So sieht silbrig-weiss glänzendes Neodym aus.
Quelle: Tomihahndorf

«Wirklich selten sind Seltene Erden nicht», sagt Erdwissenschaftlerin Ulrike Kastrup. Neodym beispielsweise sei etwa 5500-mal häufiger als Gold. Kastrup ist Direktorin von focusTerra, dem wissenschaftlichen Informationszentrum der ETH Zürich, das unserem Umgang mit Rohstoffen vor ein paar Jahren die Sonderausstellung «BodenSchätzeWerte» widmete, die derzeit im Seemuseum Kreuzlingen zu sehen ist. «Seltene Erden kommen an vielen Orten in der Erdkruste vor, und viele Mineralien enthalten jeweils mehrere davon», erklärt sie. Selten seien jedoch wirtschaftlich bedeutende Vorkommen, bei denen die Konzentration über einem Prozent liegt. Die grössten Vorkommen liegen in China, Brasilien und den USA, so Kastrup. «Doch da viele Seltene Erden mit radioaktiven Elementen vermischt sind, ist der Abbau sehr aufwendig und ohne die richtigen Vorkehrungen für Mensch und Umwelt sehr belastend.» Aufgrund geringer Umweltauflagen und billiger Arbeitskräfte habe China die Massenproduktion entwickeln und eine Monopolstellung aufbauen können. «Vor ein paar Jahren hat China aber einmal seine Exporte ausgesetzt. Da war guter Rat teuer und die anderen Länder mussten sich plötzlich überlegen: Was nun? Einige Länder haben daraufhin begonnen, selbst wieder Seltene Erden abzubauen, in anderen ist deren Rückgewinnung aus Elektroaltgeräten ein Thema geworden», sagt Kastrup. Denn anders als Gold, Palladium und weitere wertvolle Metalle werden sie bisher kaum rezykliert. Aufgrund der tiefen Preise fehlt bisher der Anreiz, sie wieder zu extrahieren.

Langfristig soll der Bedarf an Seltenen Erden stärker durch Recycling gedeckt werden

Im Bericht «Versorgung der Schweiz mit Seltenen Erden» von 2018 hielt der Bundesrat fest: «In Anbetracht der Tatsache, dass die Vorkommen der Seltenen Erden begrenzt sind, können Recycling und Substituierung von Seltenen Erden in der langen Frist einen Beitrag zur Versorgung leisten». Man habe 2013 im Rahmen des Aktionsplans Grüne Wirtschaft damit begonnen, sich mit der Frage des Recyclings Seltener Erden und weiterer kritischer Metalle wie etwa Indium befassen. Letzteres sorgt in Flachbildschirmen dafür, dass das Licht auf der ganzen Fläche gleichmässig verteilt ist.

Hauptzweck dieser Arbeiten besteht laut dem Bericht des Bundesrats nicht nur darin, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, sondern die Umweltbelastung durch die Verwendung von Seltenen Erden zu verringern. So wurden im vergangenen Jahrzehnt mehrere Studien durchgeführt, um zu evaluieren, inwieweit die Rückgewinnung von Hochtechnologiemetallen aus Elektronikabfällen technisch machbar, wirtschaftlich tragbar und ökologisch sinnvoll ist. 2015 erschien etwa der Schlussbericht des Projekts «Rückgewinnung von kritischen Metallen aus Elektronikschrott am Beispiel von Indium und Neodym», das vom Bundesamt für Umwelt und dem Herstellerverband Swico finanziert worden war. Laut dem Bericht könnten die Mengen an Indium- und Neodym, die sich potenziell aus Elektro- und Elektronikschrott zurückgewinnen liessen, die zurückgewonnenen Mengen an Gold und Palladium erreichen oder im Fall von Neodym sogar übersteigen. Aus Überlegungen zur Ressourcenschonung sei es deshalb wichtig, sich der Frage der Rückgewinnung von Indium und Neodym aus Elektronikschrott anzunehmen.

«Wo hört die Verantwortung des Herstellers eines Geräts auf?»

Laut Heinz Böni, Leiter der Studie und Leiter der Forschungsgruppe Kritische Materialien und Ressourceneffizienz an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa), wäre im Fall von Indium und Neodym die Rückgewinnung aus Altgeräten sowohl ökologisch sinnvoll wie auch wirtschaftlich tragbar. Bei Indium liesse sich das Recycling laut Böni durch eine Erhöhung der vorgezogenen Recyclinggebühr um ein paar Rappen bis ein paar Franken finanzieren. «Es wären relativ geringe Beträge, die man beim Preis des Geräts aufschlagen müsste, damit es sich rechnen würde für die Recycler», sagt Böni. Die Frage sei: Wo hört die Verantwortung des Herstellers auf? «Wenn ein Hersteller ein Gerät herstellt, das einen Schadstoff enthält, ist er heute bereit, dem Recyclingunternehmen etwas dafür zu bezahlen, dass es diesen herausnimmt. Aber die erweiterte Produkteverantwortung umfasst heute nicht, dass man sagt: Wenn Indium oder ein anderes seltenes Metall drin ist, muss man dieses zurückgewinnen.»

Bis heute gibt es laut Böni noch keine grossindustrielle Anlage, die in der Lage wäre, Seltene Erden zurückzugewinnen, lediglich Pilotanlagen stehen. Doch die meisten Projekte seien nicht weiterverfolgt worden, weil man gesehen habe, dass es sich zumindest heute noch nicht rechne.

«Wir teilen das Anliegen, dass man Seltene Erden und weitere kritische Metalle langfristig zurückgewinnen sollte», sagt Judith Bellaiche, Geschäftsführerin von Swico, dem Verband der ICT- und Internetbranche, dem auch die Hersteller angehören. Die Prozesse dazu seien allerdings noch nicht standardisiert. «Es braucht Anlagen, die hohe Investitionen erfordern. Und im Moment sind die Recyclingbetriebe nicht an einem Ort, wo sie investieren können.» Der Umwelt-Innovationsfonds von Swico unterstütze derzeit ein Pilotprojekt der Solenthaler Recycling AG Sorec, bei dem auch geprüft werde, ob die Rückgewinnung von Neodym wirtschaftlich vertretbar sei.

Neodym-Magnete finden sich heute auch dort, wo sie nicht nötig sind – sogar in Spielzeug

Bei einer Besichtigung der Sorec erzählt Markus Stengele, Umwelttechniker und Leiter Qualität und Umwelt, dass derzeit in den Zerlegebetrieben der Sorec grosse Neodym-Magnete aus Computerfestplatten herausgenommen würden, manuell. Zum Recycling würden diese dann auf die Philippinen geschickt. Aber viele Geräte enthielten heute eine grosse Menge an winzigen Neodym-Magneten. «Die alle zu finden und herauszunehmen, wäre extrem aufwändig», sagt er. «Anstatt nur darüber zu diskutieren, ob und wie wir Neodym in Zukunft am besten zurückgewinnen, sollte man auch darüber reden, wo man diese Seltenen Erden überhaupt einsetzt.» Aus seiner Sicht würden Neodym-Magnete heute nämlich auch vielfach verwendet, wo sie nicht unbedingt nötig seien, etwa in Kaffeemaschinen oder in Kinderspielzeug.

Damit spricht Stengele einen Punkt an, den sowohl Ethnologin Flavia Caviezel als auch Erdwissenschaftlerin Ulrike Kastrup als sehr wichtig erachten: Mit gutem Recycling allein ist es nicht getan. «Wir haben eines der besten Recyclingsysteme der Welt, und selbstverständlich ist es wichtig, defekte Geräte fachgerecht zu entsorgen und möglichst viele Rohstoffe zurückzugewinnen», sagt Caviezel. «Aber das beste Produkt ist eigentlich das, welches gar nicht produziert wird. Mit unserem Konsumverhalten können wir ein Stück weit Einfluss nehmen – auch, indem wir beispielsweise Geräte länger nutzen.»

Im Augenblick zerstören wir gerade unsere Lebensgrundlage.
Ulrike Kastrup, Erdwissenschaftlerin

Das Thema sei extrem komplex, sagt Kastrup. Es sei zu einfach, mit dem Finger auf China zu zeigen oder alle Verantwortung an die Hersteller abzuschieben. Am Ende seien wir alle Teil dieses Systems und durch unsere Entscheidungen und unseren Konsum mitverantwortlich. «Wenn nicht alle Schlange stehen würden, wenn das neue iPhone rauskommt, gäbe es vielleicht nicht so oft ein neues», sagt sie. «Wir haben nicht unendlich viele Ressourcen. Und im Augenblick zerstören wir gerade unsere Lebensgrundlage. Wir zerstören sie einfach. Dabei wäre es doch schön, wir würden uns die Welt so erhalten, wie sie funktioniert. Anstatt immer noch mehr Mineralien oder Rohstoffe abzubauen, sollten wir das, was wir haben, sinnvoll anwenden, tauschen, teilen, flicken, in irgendeiner Form wiederverwerten. Da ist ganz sicher noch Raum nach oben.»

Der nächste und letzte Teil der Serie wird vom Thema Re-Use handeln und davon, weshalb es Sinn macht, Geräte möglichst lange zu verwenden.

Die weiteren Teile der Serie kannst du hier lesen:

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 1): Wie Wertstoffe gerettet werden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 2): Wie Schadstoffe sicher entsorgt werden

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 3): Von Europa auf die Mülldeponien Westafrikas

    von Martina Huber

  • Hintergrund

    Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 5): Warum alte Geräte ein längeres Leben verdient haben

    von Martina Huber

Titelbild: Szene aus dem Dokumentarfilm «Chinafrika.mobile» des deutschen Filmemachers Daniel Kötter

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Ich schreibe als freie Wissenschaftsjournalistin am liebsten vertiefte Geschichten rund um Gesundheit, Umwelt und Wissenschaft.


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