Des Mobiltelefons letzte Reise (Teil 5): Warum alte Geräte ein längeres Leben verdient haben
Sind neue Handys zu günstig, kann das Leute davon abhalten, ihr altes Gerät länger zu verwenden oder reparieren zu lassen. Dabei wäre es wichtig, mobile Geräte so lange wie möglich zu benutzen – denn die Herstellung von Smartphone, Laptop und Co. belastet die Umwelt stark.
Acht Millionen alte Handys liegen ungenutzt in Schweizer Schubladen, schätzt die Swisscom – Geräte, die unter anderem 136 Kilogramm Gold, 15 Kilogramm Palladium und mehr als 50'000 Kilogramm Kupfer enthalten und einen Materialwert von knapp zehn Millionen Franken haben. Vielleicht auch mehr, da in alten Geräten noch mehr wertvolle Metalle stecken als in modernen Smartphones. «Die acht Millionen Handys sind eine eher konservative Schätzung, vielleicht sind es auch mehr», sagt Marius Schlegel, der beim Unternehmen für Corporate Responsibility und zirkuläre Ökonomie verantwortlich ist. «Aber es ändert eigentlich nichts an der Story, ob es nun acht oder zehn Millionen Geräte sind: Es sind zu viele. Viel zu viele. Denn die Produktion von Handys und weiteren Mobilgeräten belastet die Umwelt stark, man sollte sie möglichst lange verwenden – und fachgerecht entsorgen, wenn sie defekt sind.»
Alte Handys liegen oft ungenutzt zu Hause herum
Dass das nicht immer geschieht, zeigt beispielsweise die «Global Mobile Consumer Survey», in deren Rahmen das Beratungsunternehmen Deloitte im Jahr 2018 rund 54'000 Konsumentinnen und Konsumenten in 35 Ländern auf 6 Kontinenten online befragte zur Nutzung ihrer Smartphones, Tablets, Laptops und weiterer internetfähiger Geräte. Auch 1000 Schweizerinnen und Schweizer im Alter von 18 bis 70 Jahren nahmen an der Online-Befragung teil. Dabei kam heraus, dass in der Schweiz 92 Prozent der Erwachsenen mindestens ein Smartphone besitzen, und dass nur rund ein Drittel der alten Geräte wiederverwendet wird: 17 Prozent der Befragten gaben an, dass sie ihr gebrauchtes Handy an Freunde oder Verwandte verschenken, wenn sie ein Neues kaufen, weitere 17 Prozent gaben an, es in diesem Fall zu verkaufen. Bei 37 Prozent liegt das alte Handy jedoch ungenutzt in der Schublade, «für den Notfall». Damit steht die Schweiz nicht allein da: Im weltweiten Durchschnitt sind es laut der Umfrage 41 Prozent, im europäischen Durchschnitt gar 45 Prozent, die ihre alten Handys ungenutzt zu Hause behalten. Nur gerade 6 Prozent der befragten Schweizerinnen und Schweizer gaben an, dass sie ihr altes Handy ins Recycling geben – und 7 Prozent gaben an, es im Hausmüll zu entsorgen. Darauf basierend rechnete die Umfrage hoch, dass pro Jahr mehr als 80'000 Handys in Schweizer Kehrichtverbrennungsanlagen landen.
98 Prozent des Umweltimpacts von Smartphones fallen auf Herstellung und Entsorgung
«Handys kommen viel schlechter zurück als andere Geräte», sagt Heinz Böni, der bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) die Forschungsgruppe Kritische Materialien und Ressourceneffizienz leitet. Im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt analysierte er vor ein paar Jahren für die fünf Gerätekategorien Waschmaschine, Kühlgerät, Fernsehgerät, Laptop und Smartphone, ob ihre Wiederverwertung ökologisch sinnvoll ist, wobei jeweils typische Geräte des Referenzjahres 2016 ausgewählt wurden für die Berechnungen. In der Analyse wurde jeweils die Umweltbelastung bei Herstellung und Entsorgung derjenigen gegenübergestellt, die in der Nutzungsphase geschieht. 2018 erschien der Schlussbericht «Weiter- und Wiederverwendung von elektrischen und elektronischen Geräten. Ökologische und ökonomische Analyse».
Das Resultat: Bei Kühlgerät und Waschmaschine geschieht mehr als die Hälfte der Umweltbelastung während der Phase der Nutzung – nämlich 61 Prozent im Fall des Kühlgeräts und 56 Prozent im Fall der Waschmaschine. Bei Fernsehgerät, Laptop und Smartphone überwiegt hingegen die Umweltbelastung in der Phase der Herstellung und Entsorgung, mit 61 Prozent beim Fernseher, 81 Prozent beim Laptop und 98 Prozent beim Smartphone. Gerade mal zwei Prozent der Umweltbelastung eines Smartphones geschehen also in seiner Nutzungsphase, und dies bei einer angenommenen Nutzungsdauer von fünf Jahren. «Bei Waschmaschinen und Kühlgeräten ist es ab einem Alter von etwa 12 Jahren nicht mehr sinnvoll, sie nochmals zu flicken und weiter zu verwenden», sagt Böni. «Aber bei Elektronikgeräten wie Handy, Laptop oder Bildschirm, wo der grosse Umweltimpact bei der Herstellung geschieht, macht es in jedem Fall Sinn, diese so lange wie möglich zu nutzen.»
Europäisches Ausland prüft Altgeräte auf Wiederverwertbarkeit
Dem Empa-Bericht ist auch zu entnehmen, dass heute aufgrund tiefer Preise und veränderter Konsumgewohnheiten viele elektrische und elektronische Geräte bereits entsorgt und rezykliert werden, bevor sie ihre technisch mögliche Lebensdauer erreichen. Im europäischen Ausland müssen die Rücknahmestellen vor der Entsorgung von Altgeräten erst prüfen, ob eine Wiederverwendung möglich ist. So wurden in einigen Ländern, wie etwa in Deutschland, Österreich und Belgien, ergänzend zu den Entsorgungssystemen Netzwerke für eine Wiederverwendung von Geräten aufgebaut. Allerdings bedeute es oftmals einen erheblichen Aufwand, die Geräte wieder in Stand zu stellen und für einen Kauf vorzubereiten, und der Absatz der Secondhand-Geräte sei aufgrund der Preissituation für Neugeräte erschwert. «Anstrengungen zur Wiederverwendung von solchen Gebrauchtgeräten wurden in der Schweiz von Seiten des Handels, der Importeure und Hersteller bisher kaum unternommen», hält der Bericht fest.
«Wir sind verpflichtet, die Geräte, die an uns gehen, fachgerecht zu entsorgen», bestätigt Markus Stengele, Umwelttechniker und Leiter Qualität und Umwelt der Solenthaler Recycling AG (Sorec). Danach gefragt, ob oft Geräte an die Sorec gehen, die eigentlich noch brauchbar wären, sagt er: «Ich bin seit 25 Jahren im Recycling, ich wundere mich eigentlich nicht mehr. Und doch ist es manchmal schade zu sehen, was wir alles vernichten müssen.»
Bedauerlich findet er beispielsweise, dass im Auftrag von Online-Versandhändlern und Elektronikfachgeschäften auch immer wieder unbeschädigte, fabrikneue Geräte zur Sorec gelangen. «Wenn ein Paket auf dem Transportweg beschädigt wird, und der Kunde deshalb die Annahme verweigert, kommt das Gerät nach einer Triage beim Händler direkt zu uns ins Recycling. Hier bin ich zuversichtlich, dass zukünftig Re-Use Möglichkeiten gefunden werden können.»
Ein zweites Leben für alte Handys
Gut findet Stengele etwa das Engagement der Swisscom, gebrauchten Handys ein zweites Leben zu geben, wo dies möglich ist. Handys, die im Rahmen des Projekts «Mobile Aid» in Sammelboxen der Swisscom-Shops gelegt werden, gehen erst fürs Recycling an die Sorec, nachdem geprüft wurde, ob sie nicht noch funktionstüchtig und verkaufbar wären. Laut Marius Schlegel, der das Projekt bei der Swisscom leitet, sind seit 2012 insgesamt rund 750'000 Geräte auf diese Weise gesammelt worden. Von den 80'000 Handys, die pro Jahr gesammelt würden, seien etwa zwei Drittel kaputt und landeten im Recycling, etwa ein Drittel könne nach dem Löschen persönlicher Daten und einer Aufbereitung nochmals verkauft werden. Der Erlös aus Verkauf und Recycling geht laut Swisscom ans Hilfswerk SOS Kinderdorf.
Wer sein altes Handy nicht verschenken mag, kann es auch verkaufen: So kauft etwa die Swisscom im Programm «Mobile Buyback» Smartphones zurück, um sie nach Löschen der Daten als Secondhand-Geräte zu verkaufen. Auch das 2013 in Basel gegründete Unternehmen Revendo kauft gebrauchte Smartphones, Tablets und Laptops und verkauft sie wieder. Der Fokus liegt dabei auf Produkten von Apple, aber auch Smartphones von Samsung, Huawei und weiteren Anbietern sind mittlerweile im Sortiment - auch bei digitec.
«Wiederverwendung ist super, solange die Geräte in der Schweiz bleiben», sagt Judith Bellaiche, Geschäftsführerin des Wirtschaftsverbands Swico, der Rücknahme und Recycling von Geräten aus den Bereichen Informatik, Unterhaltungselektronik, Büro und Telekommunikation organisiert. Der Innovationsfonds der Swico hat kürzlich 75'000 Franken für ein Projekt der Firma Le Bird in Lausanne gesprochen, welches zum Ziel hat, das Potenzial der Wiederverwendung von Laptops, Flat-TVs, Handys und weiterer Geräte vertiefter zu prüfen. Dabei soll auch evaluiert werden, welche Menge an Geräten, die in den Recyclingstrom von Elektro- und Elektronik-Altgeräten gelangen, tatsächlich wiederverwendbar und marktfähig wären. Bellaiche betont aber auch: «Eine Wiederverwendung im Ausland hingegen ist ökologisch heikel, denn da ist das saubere Recycling nicht immer gewährleistet und es landen viele Geräte im Abfall.»
Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden mit
In Pilotversuchen, welche die Swico in Vergangenheit durchgeführt habe, habe eine grosse Mehrheit der Leute gesagt, dass sie damit einverstanden wären, wenn ihre entsorgten Geräte nochmals weiterverwendet würden. Aber selbst wollen sie sie nicht länger nutzen. Für eine solche Wiederverwertung brauche es eben auch Konsumentinnen und Konsumenten, die bereit sind, Secondhand-Geräte zu kaufen. «Die Lebensdauer eines Smartphones ist viel länger als die tatsächliche Nutzungsdauer», hält Bellaiche fest. «Und das ist eine Konsumentenfrage, nicht eine Herstellerfrage. Wenn Sie es nicht fallen lassen, können Sie Ihr Smartphone problemlos fünf Jahre nutzen. Aber nach zwei Jahren wollen die allermeisten Leute ein Neues. In der Schweiz ist die Kaufkraft hoch, neue Geräte sind erschwinglich.»
Für Smartphones der neueren Generationen gibt es laut Marius Schlegel von der Swisscom auch in der Schweiz einen Markt für Secondhand-Geräte. Für ältere, wertärmere Handys hingegen sei dies nicht der Fall. Daher verkaufe der Swisscom-Partner RS Switzerland solche Geräte en Bloc an Abnehmer in Länder, in denen es noch eine Nachfrage gebe, sehr oft nach Asien.
«Finanzielle Aspekte spielen bei den Entscheidungen von Konsumentinnen und Konsumenten eine wichtige Rolle», sagt Psychologin Linda Burkhalter vom Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Sie ist Co-Projektleiterin des vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Forschungsprojektes «Lebensdauerverlängerung für Mobilgeräte», in dem derzeit untersucht wird, wie sich die Lebensdauer mobiler internetfähiger Geräte wie Smartphones, Tablets und Laptops verlängern liesse. Das Projekt ist Teil des Nationalen Forschungsprogramms 73, das sich für eine nachhaltigere Schweizer Wirtschaft einsetzt. «Uns interessieren die Entscheidungsprozesse der Konsumentinnen und Konsumenten und die wichtigsten Treiber und Barrieren, die dazu führen, dass sich jemand beispielsweise dafür oder dagegen entscheidet, sein Gerät reparieren zu lassen oder ein Secondhand-Gerät zu kaufen.»
Eine repräsentative Umfrage bei 1000 Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten ist eben erst angelaufen, aber erste Ergebnisse aus einer qualitativen Befragung liegen bereits vor. Darin zeichne sich ab, dass sowohl beim Neukauf eines Geräts wie auch bei der Entscheidung für oder gegen eine Reparatur nicht allein der Umweltgedanke eine Rolle spiele, sondern eben auch der finanzielle Aspekt. «Wenn man mit einem Abo gleich ein supergünstiges Smartphone erhält, motiviert das die Leute, eher ein neues Gerät zu kaufen und nicht ein Secondhand-Gerät, das unter Umständen gleich viel kostet», sagt Burkhalter. Zumal ein Secondhand-Gerät vielleicht auch schneller wieder kaputtgehe als ein Neugerät, so eine Befürchtung der befragten Konsumenten und Konsumentinnen. Auch liessen die Leute ihre Geräte eher dann reparieren, wenn sie die Wahrnehmung hätten: Da kann ich Geld einsparen. «Wenn die Reparatur nicht im Verhältnis zum ursprünglichen Preis steht, kann das ein Hinderungsgrund sein. Gerade bei Smartphones, die man mit einem Abovertrag sehr billig erhalten hat, fragen sich manche schon, ob sich eine Reparatur lohnt, die fast so teuer ist wie das Gerät selber.»
Eine Rolle bei Entscheidungsprozessen spiele auch, wie einfach es den Leuten gemacht werde, ihr Gerät wieder zu verkaufen. Vom Projektpartner Revendo wisse man beispielsweise, dass die Nachfrage nach Secondhand-Geräten grösser sei als das Angebot von Leuten, die ihre alten Geräte verkaufen. Und manchmal hätten die Leute zwar das Wissen, dass Reparatur und Recycling an sich wichtig wären, doch sie hätten das Gefühl, mit ihrem Handeln ohnehin nichts erreichen zu können. Entscheidungsprozesse seien sehr komplex und verliefen nicht immer rational, das dürfe man nicht unterschätzen. Ein Punkt liegt Burkhalter am Herzen, selbst wenn aus der Forschung bekannt ist, dass besseres Wissen allein nicht dazu führt, dass wir auch tatsächlich besser handeln: «Wir müssen unbedingt ein Bewusstsein dafür schaffen, dass elektronische Geräte wertvoll sind. Und dass alte Geräte eben oftmals noch nicht Schrott sind, wie der Begriff Elektroschrott suggeriert, sondern dass sie selbst dann noch einen Wert haben, wenn sie kaputt sind.»
Die weiteren vier Teile der fünfteiligen Serie kannst du hier lesen:
Ich schreibe als freie Wissenschaftsjournalistin am liebsten vertiefte Geschichten rund um Gesundheit, Umwelt und Wissenschaft.